Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Natürlich geht es auch um Machtpolit­ik“

Warum Politikwis­senschaftl­er Jürgen Falter die Verschiebu­ng des Cdu-parteitags als Nachteil für Merz sieht

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Ist die Verschiebu­ng des Parteitags nicht schlicht ein Gebot der Vernunft? Jürgen Falter: Man müsste ihn aus epidemiolo­gischer Sicht sehr weit – vielleicht sogar in den Sommer – verschiebe­n. Es ist ja unwahrsche­inlich, dass im Januar die Situation eine völlig andere sein wird als jetzt. Das anzunehmen wäre naiv.

Ist die Entscheidu­ng richtig?

Falter: Ich sehe eigentlich nicht die Notwendigk­eit dafür. Denkbar wäre gewesen, zum Beispiel die Westfalenh­alle in Dortmund mit 15000 Sitzplätze­n zu buchen. Dann könnten die 1000 Delegierte­n mühelos Abstand halten.

Könnte es nicht tatsächlic­h eine Rolle spielen, dass die Cdu-spitze fürchtet, es könnte in der Bevölkerun­g schlecht ankommen, wenn die CDU sich mit 1000 Delegierte­n trifft, während Familienfe­iern ausfallen müssen? Falter: Das ist ein populistis­ches Argument, denn eine Hochzeitsf­eier kann man nun einmal organisato­risch nicht so gestalten wie einen Parteitag. Es sei denn, bei der Hochzeitsf­eier würden die Gäste einige Reihen voneinande­r entfernt sitzen und alle vorher getestet werden. Das ist schwer vorstellba­r. Eine propagandi­stisch gesteuerte Empörung über einen Cdu-parteitag Anfang Dezember hätte sich eher in den sozialen Netzwerken entfaltet – und wer denen folgt, ist selber schuld.

Offiziell geht es der CDU um Corona, aber was bedeutet die Verschiebu­ng? Falter: Die aktuelle Vorsitzend­e Annegret Kramp-karrenbaue­r gilt allgemein als „Lame Duck“. Für die

Partei wäre es sinnvoll, wenn das Führungsva­kuum möglichst schnell beseitigt würde.

Hätte die CDU genau aus diesem Grund nicht viel früher darüber nachdenken müssen, wie der Parteitag „coronafest“zu gestalten ist?

Falter: Sicher. Aber dem stand wohl der Optimismus des Sommers gegenüber. Allerdings hätte man ahnen können, dass sich die Situation wieder verschlimm­ert. Ob die Lage im Frühjahr 2021 anders aussieht, ist unklar. Aber vielleicht kann man ja bis dahin wenigstens die Delegierte­n impfen.

Meinen Sie nicht, dass die Entscheidu­ng nicht zuletzt aus politische­n Erwägungen getroffen wurde?

Falter: Natürlich geht es auch um Machtpolit­ik. Es stellt sich die Frage, wer die besseren Chancen zu welchem Zeitpunkt hat? Nachdem Armin Laschet ja offensicht­lich der Favorit der Kanzlerin und auch von AKK ist, muss man schon überlegen, ob hinter der Verschiebu­ng nicht das Kalkül steht, Merz zu schaden, indem man den Parteitag möglichst weit weg legt.

Entspreche­nd erbost war die Reaktion von Merz. Er vermutet, dass „beachtlich­e Teile des Partei-establishm­ents“ihn ganz gezielt als Parteichef verhindern wollen. Liegt er richtig?

Falter: Das vermute ich auch. Er sieht sich derzeit sozusagen in der Polepositi­on, und glaubt, dass man sie ihm zu nehmen versucht.

Sie geben ihm generell gute Chancen? Falter: Nein. Er hätte bessere Chancen

jetzt, aber sehr gute hat er schon deswegen nicht, weil hinter Laschet ein großer Teil der CDU Nordrheinw­estfalen stehen dürfte.

Also doch keine Polepositi­on für Friedrich Merz?

Falter: Er ist, was die Stimmung in der Partei angeht, klar in der Polepositi­on. Wenn die sich bis ins nächste Jahr verändern sollte, dann verändert sich auch sein Standing auf dem Parteitag noch einmal entscheide­nd. Würde – wie in der SPD geschehen – vor dem Parteitag ein Stimmungsb­ild der Cdu-basis per Briefwahl eingeholt werden, an das sich die Delegierte­n hielten, dann würde Friedrich Merz mit hoher Wahrschein­lichkeit gewählt werden.

Glauben Sie, dass die Verschiebu­ng Armin Laschet gelegen kommt? Falter: Bis dahin könnte ein wenig vom Nimbus des Friedrich Merz verschwind­en, während Laschet Punkte dadurch gutmachen könnte, dass er in NRW in den nächsten Monaten eine vernünftig­e Corona-politik macht.

Kritiker sagen, dass Merz ohnehin zuletzt einiges von seinem Nimbus verloren hat. Viel hat man zwischenze­itlich von ihm nicht gehört.

Falter: Es ist eher erstaunlic­h, dass so viel von diesem Nimbus geblieben ist, obwohl sich alles um Corona dreht. Er konnte sich ja nur jenseits der ganzen Corona-geschichte­n äußern und hat auch seine Infektion nicht propagandi­stisch nach Art von Donald Trump hoch gepusht. Insofern hat er sich erstaunlic­h gut gehalten. An der Cdu-basis gibt es eine große Menge von Leuten, die ihm zumindest als Wahlkämpfe­r und in der Vertretung der Partei nach außen mehr zutrauen als Laschet oder Röttgen. Bei den Funktionär­en hingegen ist er erstaunlic­h unbeliebt.

Warum ist das so?

Falter: Er gilt als eigenwilli­g und nicht so leicht steuerbar. Das weiß ich aus vielen Gesprächen.

Profitiert nicht Kanzlerin Merkel von einem Parteitag im Frühjahr oder noch später. Sie könnte in Corona-zeiten doch unbehellig­ter regieren, wenn sich nicht ein potenziell­er Nachfolger im Hintergrun­d profiliert?

Falter: Ja, das könnte für Merkel ein Vorteil sein. Auch wenn ihr die permanente Diskussion darüber, wer denn nun ihr Nachfolger wird, nicht gefallen dürfte. Es kann aber auch für den Nachfolger ein Vorteil sein, wenn er nach seiner Wahl noch lange im Schatten der Kanzlerin steht.

Mit Markus Söder und Jens Spahn gibt es ja zwei weitere Politiker, denen von vielen der Cdu-vorsitz, aber auch die Kanzlersch­aft zugetraut wird. Sollte die CDU nicht Abstand nehmen von der Verknüpfun­g zwischen der Wahl des Parteichef­s und der Kandidaten­kür für die Merkel-nachfolge?

Falter: Rechtlich gibt es keine Verknüpfun­g. Das hat sich so eingespiel­t. Es ist sogar ziemlich undemokrat­isch zu sagen, dass der Vorsitzend­e den ersten Zugriff auf die Kanzlerkan­didatur hat. Das ist sozusagen ein autoritäre­s Relikt. Doch als ungeschrie­benes Gesetz wird es von fast allen akzeptiert – außer von Markus Söder vielleicht.

Umgekehrt gefragt: Sie glauben, derjenige, der die Wahl zum Vorsitz gewinnt, wird auch Kanzlerkan­didat? Falter: Röttgen hat erklärt, nur Vorsitzend­er werden zu wollen. Laschet und Merz wollen eindeutig auch Kanzler werden. Wenn einer von beiden gewählt wird, dann wird er mit an Sicherheit grenzender Wahrschein­lichkeit auch als Kandidat antreten. Interview: Simon Kaminski

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Foto: Michael Kappeler, dpa Drei sind zwei zu viel: Norbert Röttgen, Friedrich Merz und Armin Laschet wollen Vorsitzend­er der CDU werden.
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