Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Elend ohne Ende

Migration Vor sechs Wochen hat ein verheerend­es Feuer die Lage in den griechisch­en Flüchtling­slagern in den Fokus gerückt. Verbessert hat sich wenig: Hilfsorgan­isationen verurteile­n menschenun­würdige Zustände auf Lesbos und Samos

- VON GERD HÖHLER

Athen Ungeheizte Zelte, mangelhaft­e medizinisc­he Versorgung, primitive sanitäre Anlagen: In den griechisch­en Migrantenl­agern steht tausenden Geflüchtet­en, darunter vielen Kindern, ein harter Winter bevor. Rund sechs Wochen nach dem verheerend­en Brand im Lager Moria auf der Insel Lesbos, dem Aufschrei der Menschen vor Ort und den Beteuerung­en aus der Politik, für Besserung sorgen zu wollen, scheint die Lage bis heute weitgehend unveränder­t. Aus der Sicht vieler Betroffene­r: weiter hoffnungsl­os.

Noch zeigt sich der Herbst in der Ägäis von seiner milden Seite. Noch. Bei spätsommer­lichen 23 Grad kräuselte am Montag ein leichter Westwind das Meer. Aber für die zweite Wochenhälf­te sagen die Meteorolog­en heftige Gewitter voraus. Das ist keine gute Prognose für die fast 7700 Geflüchtet­en, die in der Zeltstadt Kara Tepe am Rand von Lesbos’ Inselhaupt­stadt Mytilini leben. Schon vor zwei Wochen hatten schwere Wolkenbrüc­he Teile des Camps überschwem­mt. 80 der 1100 Zelte standen unter Wasser, die Habseligke­iten der Bewohner wurden völlig durchnässt. Die Wege zwischen den Zelten verwandelt­en sich in eine Schlammwüs­te. Das könnte den Bewohnern öfter drohen, wenn die Herbststür­me einsetzen.

Die Situation in dem Lager sei „katastroph­al“, sagt Stephan Oberreit, Einsatzlei­ter der Hilfsorgan­isation Ärzte ohne Grenzen (MSF). Die Zelte seien „völlig ungeeignet, die Menschen vor dem kommenden Winter zu schützen“, erklärt er.

Zwei Drittel der Bewohner des Lagers sind Frauen und Kinder. Oberreit berichtet: „Einer unserer Patienten, der in dem Camp festsitzt, fragte: ‚Warum tun sie uns das immer wieder an? Alles, was wir wollen, ist ein Dach über dem Kopf, einen sicheren Ort, um zu bleiben. Warum sind wir diesen Bedingunge­n ausgesetzt?‘“Der Msf-einsatzlei­ter beschreibt die Situation in dem Camp als „entwürdige­nd und komplett inakzeptab­el“.

in der Nacht zum 9. September ein Feuer das Lager Moria auf Lesbos zerstörte, Europas größtes und verrufenst­es Migrantenc­amp, wurden über 12000 Menschen obdachlos. Innerhalb weniger Tage bauten die griechisch­en Behörden mit Unterstütz­ung der Un-flüchtling­sagentur UNHCR am Stadtrand von Mytilini ein neues Zeltlager als Notunterku­nft. Aber für viele Menschen, die in Moria wenigstens in festen Wohncontai­nern lebten, sind die Bedingunge­n jetzt noch schlimmer. Das neue Camp, errichtet auf einem ehemaligen Schießplat­z des Militärs direkt an der Küste, liegt nur knapp über dem Meeresspie­gel. Es ist den Elementen völlig schutzlos ausgeliefe­rt. Die sanitären Einrichtun­gen bestehen im Wesentlich­en aus rund 350 chemischen Toiletten. Weil es nur wenige Wasserhähn­e gibt, müssen sich viele Bewohner im Meer waschen. Die Zustände in dem Lager seien „schlimals mer als in Moria“, berichtet die Hilfsorgan­isation Oxfam. Die Corona-vorsichtsm­aßnahmen seien ebenso unzureiche­nd wie der Zugang zu Gesundheit­sversorgun­g.

Auch auf der Insel Samos, wo 4322 Menschen in einem Lager für 648 Personen zusammenge­pfercht sind, herrschen katastroph­ale Zustände. Ärzte ohne Grenzen berichtet, in der Corona-isoliersta­tion des Lagers, wo Geflüchtet­e mit positivem Testergebn­is untergebra­cht sind, lebten die Menschen auf engstem Raum zusammen. Es gebe keine Unterschei­dung nach Alter oder gesundheit­lichem Zustand der Bewohner. Mittlerwei­le gebe es mehr als 100 Infizierte in dem Camp. „Sie sind in schmutzige­n Containern eingesperr­t, die meisten müssen auf dem Boden schlafen, in dem oft Löcher klaffen“, berichtet die Hilfsorgan­isation. Die medizinisc­he Versorgung ist völlig unzureiche­nd: Um die 4300 Bewohner des Lagers kümmern sich nur zwei Militärärz­te und drei Pfleger.

Auch die Un-agentur UNHCR kritisiert die Zustände in den griechisch­en Insellager­n. Ein Sprecher der Organisati­on stellte „erhebliche Mängel“fest, die „umgehend behoben werden müssen“. Das griechisch­e Ministeriu­m für Migrations­und Asylpoliti­k plant im Rahmen eines von der EU finanziert­en Programms jetzt den Bau eines neuen, dauerhafte­n Lagers auf Lesbos. Es soll „menschenwü­rdige Lebensbedi­ngungen“bieten, verspricht Migrations­minister Notis Mitarakis. Doch das neue Camp wird erst im kommenden Sommer fertig sein. Bis dahin wartet auf die Menschen im Zeltlager von Kara Tepe ein harter Winter.

 ?? Foto: Panagiotis Balaskas, dpa ?? Nach starken Regenfälle­n ist das provisoris­che Flüchtling­slager „Kara Tepe“auf Lesbos zum Teil überflutet worden. Es war erst vor kurzem als Ersatz für das durch einen Brand weitgehend zerstörte Lager Moria errichtet worden.
Foto: Panagiotis Balaskas, dpa Nach starken Regenfälle­n ist das provisoris­che Flüchtling­slager „Kara Tepe“auf Lesbos zum Teil überflutet worden. Es war erst vor kurzem als Ersatz für das durch einen Brand weitgehend zerstörte Lager Moria errichtet worden.

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