Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Was smarte Helfer für Senioren taugen

Was tun, wenn im Alter das Gedächtnis nachlässt, die Sicht schlechter, der Gang unsicherer wird? Moderne Apps und smarte Gadgets sollen Abhilfe schaffen. Doch lassen sie sich auch gut bedienen?

- Bernadette Winter, dpa

Augsburg Apps erinnern an die Einnahme der Medikament­e, Bedienungs­hilfen machen Schriften auf dem Handy leichter lesbar. Sensoren in der Wohnung „lernen“die Verhaltens­weisen des Bewohners und melden ungewöhnli­che Ereignisse an Pflegedien­st oder Angehörige. Altersgere­chte Assistenzs­ysteme oder auch Smart-home-anwendunge­n wollen älteren Menschen und ihrem Umfeld den Alltag erleichter­n. Doch leisten sie das wirklich? Und welche Angebote gibt es auf dem Markt?

Auf diesem Gesundheit­smarkt den Überblick zu behalten, fällt jedenfalls schwer. Smartphone und Tablet können einen einfachen Einstieg bieten. Falls man nicht mehr gut hört, hilft beispielsw­eise eine Transkript­ions-app: Sie wandelt das gesprochen­e Wort in Schrift um, wie Michael Hubert von der Agentur Barrierefr­ei NRW erklärt. Wer wiederum Videotelef­onate über das Programm Skype führt, kann sich Untertitel anzeigen lassen. Die kostenlose App „Greta“untertitel­t Kinofilme

oder spielt im Kinosaal passend zum Film die Audiodeskr­iption – also eine akustische Beschreibu­ng dessen, was auf der Leinwand läuft – über Kopfhörer ab.

Christoph Zimmermann empfiehlt bei Gehörverlu­st ein Blinklicht, das signalisie­rt, ob es an der Tür schellt oder das Telefon klingelt. Die Kosten hierfür lägen bei unter 200 Euro, so der Leiter des Living Lab smarthome/aal am FZI Forschungs­zentrum Informatik in Karlsruhe. AAL steht für das englische Ambient Assisted Living, also Konzepte und Produkte, die das Leben im Alter leichter machen wollen.

Man muss sich nicht immer spezielle Anwendunge­n auf das Smartphone oder Tablet laden. Auch systemeige­ne Bedienungs­hilfen könnten etwa durch vergrößert­e Ansichten oder Sprachbefe­hle den Alltag erleichter­n, so Michael Hubert. Bei den Betriebssy­stemen Android und IOS gibt es in den Einstellun­gen viele Optionen, um sich die Bedienung des Geräts einfacher zu machen. Sogenannte Launcher Apps reduzierte­n indes den Funktionsu­mfang, vergrößert­en die Ansicht für bessere Lesbarkeit und vereinfach­ten dadurch die Bedienung. „Die Apps bereinigen den Desktop und gestalten ihn nach den Wünschen des Nutzers neu“, erklärt Hubert. Das nehme Ängste, das Gerät falsch zu bedienen oder Wichtiges zu löschen. Hubert rät dazu, sich bei der Einrichtun­g Hilfe zu holen, beispielsw­eise bei Smartphone-affinen Enkeln, bei Freunden, in einer Beratungss­telle oder in einem Handy-kurs, den manche Volkshochs­chulen im Programm haben. Auch viele Mehrgenera­tionenhäus­er oder das Projekt „Digitaler Engel“bieten Hilfe zu einem sicheren Umgang mit digitalen Diensten und Geräten an.

Auch im Gesundheit­sbereich sehen Experten Potenzial bei digitalen Anwendunge­n für Ältere: Apps überwachen etwa die Körperfunk­tionen und Fitness-armbänder oder digitale Lernspiele „können zur Erhaltung und Förderung der Autonomie und Lebensqual­ität dienen“, heißt es im Achten Altersberi­cht für die Bundesregi­erung. Die Nutzung von Monitoring-apps könne bei chronisch erkrankten Personen das Selbstmana­gement verbessern und die Häufigkeit von Krankenhau­saufenthal­ten senken. Die kostenlose Anwendung „My Therapy“beispielsw­eise erinnert an die rechtzeiti­ge Einnahme oder den Einkauf von Arzneimitt­eln. Automatisc­he Tablettens­pender können ebenfalls dazu beitragen, die Pillen nicht zu vergessen, ergänzt Prof. Andreas Hein, Direktor des Department­s für Versorgung­sforschung an der Universitä­t Oldenburg. Diese Geräte stellen nur die jeweilige Tagesdosis an Medikament­en zur vorgeschri­ebenen Zeit bereit. Manche erinnern akustisch sowie durch ein Lichtsigna­l an die Einnahme. Besonders smarte

Geräte sind so ausgestatt­et, dass sie zuvor festgelegt­e Personen informiere­n können, sollte die Einnahme ausbleiben.

Typischerw­eise beginnt die häusliche Pflege älterer Menschen nach einem Sturz. „Besser wäre es, Probleme in der Mobilität frühzeitig zu erkennen und gegenzuarb­eiten“, sagt Hein, der als Experte am Altersberi­cht mitgewirkt hat. Als einen wesentlich­en Baustein der Versorgung älterer Menschen in ihrer eigenen Wohnung bezeichnet er daher Hausnotruf­systeme. Sie ließen sich mit Zusatzgerä­ten wie Uhren mit Beschleuni­gungssenso­ren, Brand- oder Wassermeld­ern, Türund Bewegungss­ensoren kombiniere­n.

Auch Teppiche oder feste Bodenbeläg­e mit Sturzsenso­ren sind mit einem Alarmsyste­m koppelbar. „Das ist aber derzeit noch teuer“, erklärt Hein und spricht von „tausenden Euros“. Je nach Pflegegrad gibt es hier aber womöglich Unterstütz­ung durch die Pflegekass­e.

Für Küche und Bad gibt es Systeme, die warnen, falls der Herd eingeschal­tet bleibt oder das Wasser zu lange läuft. Haus automati sie rungs systeme können lernen, wie sich die Bewohner einer Wohnung normalerwe­ise bewegen und Abweichung­en melden. Das Problem: Für all das benötigt man immer jemanden, der das System oder die Systeme installier­t, konfigurie­rt und aufeinande­r abstimmt. Gerade bei Smarthome-anwendunge­n sieht Forscher Zimmermann Schwierigk­eiten in der Installati­on. Häufig seien Systeme verschiede­ner Hersteller nicht miteinande­r kompatibel. Menschen ohne Technik-affinität könnten vieles nicht intuitiv bedienen, bemängelt er. Eine Einrichtun­g mithilfe von Handwerker­n sei meist teuer.

Wer nach smarten Produkten und Anwendungs­fällen recherchie­ren möchte, kann auf der Fzi-website

Wenn der Tablettens­pender Signale gibt

Wo es Übersichte­n zu den Produkten gibt

„Wegweiser für Alter und Technik“fündig werden, wo aktuell mehr als 200 konkrete Produkte gelistet sind. Hubert wiederum empfiehlt für einen Überblick die Datenbank Rehadat, ein Projekt des Instituts der deutschen Wirtschaft, sowie die Datenbank der Stiftung „barrierefr­ei kommunizie­ren!“, die eine Suche nach Computerte­chnologien, die Menschen mit Behinderun­g helfen sollen, ermöglicht. Zudem nennt er den Produktkat­alog der gemeinnütz­igen Einrichtun­g Demenz Support Stuttgart. Darüber hinaus bieten Demonstrat­ionswohnun­gen die Möglichkei­t, „die Technik auch mal anzufassen und zu erfahren: Es sieht nicht schlimm aus“, wie Prävention­sexperte Hein sagt. Denn wichtig sei, dass die Produkte nicht stigmatisi­erten, ergänzt Christoph Zimmermann. Sonst würden sie nicht angenommen.

Fazit: Von der Smartphone-app bis zur smarten Fußmatte gibt es eine Menge Technologi­en, die älteren Menschen das Leben leichter machen wollen. Das Wichtigste ist aber, dass Senioren den Nutzen dahinter sehen und die Hilfsmitte­l auch verwenden wollen.

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Foto: Jens Kalaene/dpa Zeit für die Tabletten! Es gibt Smartphone‰apps, die an die Einnahme der Medikament­e erinnern.
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