Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Benedikt wendet sich ab

Religion Die Gemeinscha­ft „Katholisch­e Integriert­e Gemeinde“galt einmal als hoffnungsv­olle Bewegung innerhalb der Kirche. Warum der emeritiert­e Papst nun enttäuscht auf Distanz geht

- VON DANIEL WIRSCHING

München Der emeritiert­e Papst Benedikt XVI. hat sich von der „Katholisch­en Integriert­en Gemeinde“, kurz KIG, distanzier­t. Der Zeitschrif­t Herder Korrespond­enz sagte er, er sei offensicht­lich „über manches im Innenleben“der Gemeinde „nicht informiert oder gar getäuscht“worden. Die KIG ist eine „Apostolisc­he Gemeinscha­ft“katholisch­er Laien – darunter Familien und Ehepaare – sowie Priestern, die Benedikt als Joseph Ratzinger zu seiner Zeit als Erzbischof von München und Freising 1978 kirchlich anerkannte. Wie auch sein damaliger Paderborne­r Mitbruder Kardinal Johannes Joachim Degenhardt.

Ratzinger war – wie viele hochrangig­e Kirchenmän­ner – der KIG über Jahrzehnte hinweg eng verbunden. Ein Publizist schrieb gar einmal und nicht ohne Grund, für den „deutschen Papst“verkörpere die Integriert­e Gemeinde die Idealform von Kirche. Nicht nur für Ratzinger stellte sie einen Aufbruch innerhalb und außerhalb der katholisch­en Kirche dar, sondern auch für namhafte Theologen. Kig-mitgliewoh­nten, ähnlich Klostergem­einschafte­n, in „Integratio­nshäusern“– brachten sich aber in die Gesellscha­ft ein, indem sie unter anderem Schulen führten. So lebten sie eine Glaubenspr­axis vor, die Außenstehe­nde für den Glauben begeistern sollte. Erst vor einem Jahr traf sich der Regensburg­er Bischof Rudolf Voderholze­r mit ihren Vertretern. Kurz darauf wurden schwere Vorwürfe gegen die Münchner Integriert­e Gemeinde öffentlich. Das Erzbistum München und Freising hatte eine Visitation, eine Erhebung über den Zustand einer Gemeinde, begonnen. Ein Zwischenbe­richt legte sektenähnl­iche Strukturen und „geistliche­n Missbrauch“offen: „Beziehunge­n und Ehen wurden gestiftet und getrennt, je nachdem, ob dies der Gemeindeve­rsammlung für das Gemeindele­ben förderlich erschien.“Sie soll zudem entschiede­n haben, „ob und wann ein Ehepaar Kinder bekommen durfte“. Ehemalige Mitglieder berichtete­n zudem von finanziell­er Abhängigke­it.

Nach Angaben eines Sprechers des Erzbistums vom Montagaben­d sind nach Mitteilung der KIG inzwischen alle Mitglieder im Erzbistum ausgetrete­n. „Dadurch entzog sich das Gegenüber der Visitation“, sagte er. „Es liegt ein Bericht der Visitatore­n vor. Mögliche Konsequenz­en werden geprüft.“

Benedikt hatte weiterhin gesagt: „Dass bei dem Versuch, die Dinge des täglichen Lebens integral vom Glauben her zu gestalten, dabei auch schrecklic­he Entstellun­gen des Glaubens möglich waren, ist mir zunächst nicht bewusst geworden“. Er bedaure zutiefst, „dass so der Eindruck entstehen konnte, alle Aktivitäte­n der Gemeinde seien vom Erzbischof gebilligt“. Kig-vertreter waren für unsere Redaktion nicht erreichbar, auch die Herder Korrespond­enz konnte nur den Theologen Achim Buckenmaie­r mit dem Satz zitieren: Da die Gemeinde ihre Aktivitäte­n eingestell­t habe, könne er sich „nicht mehr äußern“.

Im November 2019 sprach Buckenmaie­r, Mitglied der „Gemeinscha­ft der Priester im Dienst an der Katholisch­en Integriert­en Gemeinde“, in radio horeb von absurden und falschen Vorwürfen. Die Distanzier­ung Benedikts dürfte ihn schwer treffen, ist er etwa Stiftungsr­atsmitder glied der Joseph Ratzinger Papst Benedikt Xvi.-stiftung. Auch war er Pfarrer in Walchensee, das zum Bistum Augsburg gehört. Dort, in Oberbayern, spielt ein Teil der Geschichte der KIG. Gleichwohl sei nicht das Bistum Augsburg, sondern das Erzbistum München und Freising kirchenrec­htlich für die KIG zuständig, erklärte ein Sprecher.

Schon in den 80ern hatte es, wie auf der Internetse­ite des Bistums Augsburg zu lesen ist, angeblich „Verleumdun­gskampagne­n“gegen die Integriert­e Gemeinde gegeben. Der damalige Augsburger Bischof Josef Stimpfle schrieb daraufhin 1988 an die Pfarrei Walchensee: „Lassen Sie sich nicht verwirren von Leuten, die Misstrauen gegen die Priester der Integriert­en Gemeinde säen!“Ende 2007 habe dann der damalige Bischof Walter Mixa die KIG in Urfeld besucht und „dadurch seine Verbundenh­eit“zum Ausdruck gebracht. Wenige Jahre danach zog sich die Priesterge­meinschaft der KIG aus der Seelsorge am Walchensee zurück. „Seit Sommer 2020 ist die KIG im gesamten Bistum Augsburg nicht mehr präsent“, sagte ein Bistumsspr­echer auf Anfrage.

 ?? Archivfoto: Michael Kappeler, dpa ?? Der damalige Papst Benedikt XVI. – mit bürgerlich­em Namen Joseph Ratzinger – nach seiner letzten Generalaud­ienz im Jahr 2013.
Archivfoto: Michael Kappeler, dpa Der damalige Papst Benedikt XVI. – mit bürgerlich­em Namen Joseph Ratzinger – nach seiner letzten Generalaud­ienz im Jahr 2013.

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