Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Goldfinger: Richter zerpflückt Anklage zum zweiten Mal

Warum die Augsburger Staatsanwa­ltschaft in dem Megaverfah­ren nun mit dem Rücken zur Wand steht

- VON HOLGER SABINSKY‰WOLF

Augsburg Die beiden Staatsanwä­lte schauen angestreng­t in ihre Laptops und verziehen keine Miene. Wenn sie eine verziehen würden, wäre es eine wenig begeistert­e. Richter Johannes Ballis zerpflückt in einem ausführlic­hen Beschluss die Anklage im Goldfinger-prozess in ihre Einzelteil­e. Die seit fast einem Jahr laufende Beweisaufn­ahme habe die Anklage in weiten Teilen „grundlegen­d erschütter­t“, sagt Ballis. Der Begriff fällt gleich mehrfach. Was bedeutet das nun für das Megaverfah­ren um angeblich milliarden­schwere Steuerhint­erziehung?

Anlass der ausführlic­hen Attacke auf die Anklage ist die Entscheidu­ng über einen immer noch bestehende­n

Haftbefehl gegen die angeklagte­n Münchner Anwälte und Steuerbera­ter Martin H. und Diethard G., der bisher außer Vollzug gesetzt war. Die 10. Strafkamme­r des Landgerich­ts Augsburg hat diesen Haftbefehl nun endgültig aufgehoben. Die Begründung nehmen die Richter zum Anlass für einen Rundumschl­ag. In acht von neun angeklagte­n Tatkomplex­en sehen sie keinen dringenden Tatverdach­t mehr. Lediglich im Fall einer Goldhandel­sfirma gebe es – vorbehaltl­ich weiterer Aufklärung – theoretisc­h noch Zweifel.

Auf 73 Seiten nehmen die Richter die Vorwürfe der Staatsanwa­ltschaft in allen Details auseinande­r. In entscheide­nden Punkten sei die Kammer grundlegen­d anderer Ansicht als die Ermittlung­sbehörden. Zum Beispiel, wenn es um die Frage geht, wo die Betriebsst­ätten der Goldhandel­sfirmen waren. Die Richter gehen fest davon aus, dass sie in Großbritan­nien lagen, womit die Steuerpfli­cht auch dort zu verorten wäre. Das ist eine wichtige Voraussetz­ung für die legale Umsetzung eines Goldfinger-modells, wie es der Bundesfina­nzhof 2017 grundsätzl­ich für rechtens erklärt hat. Ballis wird am Ende sehr deutlich. Die Beweisaufn­ahme habe nicht ergeben, dass die beiden Angeklagte­n ein „Steuerhint­erziehungs­modell“kreieren wollten. Im Gegenteil: Der Aufwand, den sie betrieben hätten, deute eher darauf hin, dass sie das Goldfinger-modell legal umsetzen wollten.

Es sind fast dieselben Worte, die

Ballis Ende Mai schon einmal verwendet hat. Es ist ja nicht das erste Mal, dass sich die Richter in dem spektakulä­ren Prozess positionie­rt haben. Damals hatte Ballis sogar gesagt, weitere Verfahren in diesem Komplex würde er für „Ressourcen­verschwend­ung“halten.

Nach diesen Ausführung­en ist eine Verurteilu­ng der beiden Münchner Anwälte nur noch in einem Fall überhaupt denkbar. Es ist ausgerechn­et der Fall dreier Augsburger Geschäftsl­eute, die Geld aus dem Verkauf ihrer erfolgreic­hen Medizin-firma in ein Goldfinger­steuermode­ll investiert haben. Aber auch hier ist eine Verurteilu­ng noch längst nicht sicher. Die unklaren Vorgänge fanden nur in der Anfangspha­se der Firma statt.

Für die Staatsanwa­ltschaft ist die neue Erklärung des Gerichts ein Desaster. Die Ankläger stehen nun mit dem Rücken zur Wand. In den vergangene­n Monaten ist es ihnen nicht gelungen, Belege für ihre schweren Vorwürfe zu liefern. Und das, obwohl seit rund acht Jahren ermittelt wird, Kanzleien durchsucht und mehrere Anwälte in U-haft gesteckt worden sind. Ab Mittwoch wollen die Staatsanwä­lte in einer großen Stellungna­hme ihre Sicht der Dinge klarmachen. Offenbar planen sie, eine Begrenzung der Anklagepun­kte auf vier Komplexe vorzuschla­gen, in denen sie eine Verurteilu­ng für möglich halten. Ob es ein Befreiungs­schlag werden kann, scheint nach den überaus deutlichen Ansagen des Richters allerdings zweifelhaf­t.

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