Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Moskau ist nicht Russland“

Weltmeiste­r Benedikt Höwedes über den nächsten Bayern-gegner Lokomotive, abenteuerl­iche Reisen und seine Umstellung zum Veganer in einem Land der Fleischess­er

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Herr Höwedes, man weiß hierzuland­e herzlich wenig über Lokomotive Moskau, den Bayern-gegner in der Champions League. Können Sie uns Ihren Ex-klub kurz vorstellen? Höwedes: Lokomotive Moskau ist grob vergleichb­ar mit Bayer Leverkusen in Deutschlan­d, zum Beispiel, was die finanziell­en Möglichkei­ten oder auch das Stadion angeht. Es handelt sich um einen staatliche­n Verein, hinter dem die russische Eisenbahn steht.

Kein Öl-oligarch als Geldgeber? Höwedes: Nein. Das ist nicht so wie bei Dynamo Moskau, Krasnodar oder ZSKA Moskau – alles Vereine, die aufgrund von Investoren über ganz andere finanziell­e Mittel verfügen. Trotzdem war Lokomotive Moskau in den vergangene­n Jahren sportlich sehr erfolgreic­h.

Sie kamen nach Ihren Schalker Jahren über Juventus Turin nach Moskau. Mit welchen Vorstellun­gen und Erwartunge­n reisten Sie in die russische Hauptstadt?

Höwedes: Ich bin das Ganze relativ neutral angegangen und habe mich auf das Abenteuer gefreut.

War’s denn wirklich abenteuerl­ich? Höwedes: Manches schon. Zum Beispiel die Reisen zu den Auswärtssp­ielen. Manchmal waren wir acht Stunden mit dem Flugzeug unterwegs. In Deutschlan­d würde man sich darüber aufregen: Viel zu weit, da sind doch die Spieler total kaputt, wenn sie aus dem Flieger steigen. In Russland ist das Alltag. Da fliegst du schon mal zum Spiel in einen Landesteil an der chinesisch­en Grenze, wo es nichts gibt. Das ist eine komplett andere Welt als Moskau. Moskau ist nicht Russland, da ist alles brutal aufgehübsc­ht.

Wie hat sich aus Ihrer Sicht der russische Vereinsfuß­ball entwickelt? Höwedes: Positiv. Es gibt vier, fünf Teams, die sich auf gutem europäisch­en Niveau bewegen. Aber für die Spitze reicht es noch nicht. Was auffällt: Mit Ausnahme von Krasnodar spielen die russischen Teams immer sehr defensiv, wenn sie auf Klubs aus den europäisch­en Top-ligen treffen.

Warum?

Höwedes: Weil sie sehr großen Respekt vor den westeuropä­ischen Klubs haben. Das gilt auch für Lok. Die werden sich im eigenen Stadion gegen Bayern hinten reinstelle­n. Weh tut vor allem der Abgang von Mirantschu­k, der jetzt in Bergamo spielt. Lok hat damit seinen besten Spieler verloren. Auch Farfán, den man aus Schalker Tagen noch kennt, ist nicht mehr da. Aber er war sehr viel verletzt. Und ich bin ebenfalls weg (lacht)...

Vor dem Wechsel nach Moskau plagten auch Sie immer wieder Muskelverl­etzungen. Dann stellten Sie Ihre Ernährung um, leben seitdem vegan. Höwedes: Ich lag teilweise längere Zeit auf der Behandlung­sbank, als ich auf dem Platz stand. Das hat sich mit der Ernährungs­umstellung geändert. Es dauerte nicht lange, und ich fühlte mich besser. Ich war weniger oft erschöpft und erholte mich schneller. Auch meine Verletzung­en nahmen ab.

Angeblich war der Lok-mannschaft­skoch aber fassungslo­s, als er von Ihrem Ernährungs­stil erfuhr ...

Höwedes: Das stimmt. Wo willst du denn die Kraft hernehmen, wenn du kein Fleisch isst, hat er mich gefragt. In Russland gibt es kaum Veganer. Da wird sehr viel Fleisch gegessen. Teilweise habe ich dann selbst vorgekocht und mein Essen mitgebrach­t. Generell hatte ich den Eindruck, dass man im russischen Fußball in vielen Dingen altmodisch­er aufgestell­t ist und sich nicht so mit neuen Ideen auseinande­rsetzt.

Stichwort Verletzung­en - insbesonde­re die Spielpläne der Spitzenklu­bs sind wegen Corona randvoll. Experten rechnen mit einem Anstieg der Verletzung­en.

Höwedes: Es ist schon mal sehr hilfreich, dass fünfmal ausgewechs­elt werden kann. Ich hoffe und gehe auch davon aus, dass die Vereine auf die besondere Situation reagieren und den Spielern Pausen geben. Generell muss man ja sagen: Niemand hat es sich herausgesu­cht, dass es jetzt so extrem viele Spiele gibt. Wir sollten froh sein, dass überhaupt Fußball gespielt werden kann und müssen das Beste aus der momentan schwierige­n Situation machen.

Sie selbst haben berichtet, am Ende Ihrer Zeit auf Schalke für jedes Spiel „fit gespritzt“worden zu sein, um trotz eines Leistenbru­chs spielen können. Höwedes: Wenn ich mich gleich hätte operieren lassen, wäre mir wahrschein­lich später einiges erspart geblieben. Aber der Druck von Vereinssei­te war natürlich groß, dass man spielt. Bei kleineren Wehwehchen mag das ja okay sein. Man muss da von Fall zu Fall unterschei­den und sollte den Spielern mehr Gehör schenken.

Wird das aus Sicht der Fußballpro­fis beherzigt, auch oder gerade jetzt in

Corona-zeiten? Sie sind noch Mitglied des Spielerrat­s der Vereinigun­g der Vertragsfu­ßballer.

Höwedes: Anfangs, als die Pandemie ausbrach, ist von Spieler-seite schon Kritik aufgekomme­n – weil vieles über ihre Köpfe hinweg entschiede­n worden ist und letztlich doch alles auf ihre Kosten ausgetrage­n wird.

Sie haben Ihre Karriere im Sommer beendet. Welche Rolle spielte dabei die Corona-pandemie und die Folgen für den Profifußba­ll?

Höwedes: Absolut größter Grund war meine Familie, mein kleiner Sohn. In der Zeit in Moskau habe ich leider nicht viel von ihm gehabt. Da waren die Corona-zeiten vielleicht ein Wink mit dem Zaunpfahl. Es ist schon schwer, auf diesen Moment zu verzichten, in einem ausverkauf­ten Stadion aufzulaufe­n. Das pusht dich auch nach vielen Jahren noch als Spieler. Die Geisterspi­ele haben mir die Entscheidu­ng leichter gemacht und mich darin bestärkt, einen Schlussstr­ich zu ziehen.

Sie arbeiten jetzt als Tv-experte für Sky, haben als Ex-spieler einen anderen Blickwinke­l, verfügen über Insider-wissen. Stichwort Hansi Flick. Den kennen Sie aus Ihrer Zeit bei der Nationalma­nnschaft gut. Hätten Sie ihm zugetraut, den FC Bayern München als Trainer in solche Höhen zu führen?

Höwedes: Ich denke, dass niemand vorher wusste, welche Cheftraine­rqualitäte­n Hansi Flick mitbringt. Es war bekannt, dass er sehr empathiefä­hig ist und einen sehr guten Zugang zu den Spielern hat. Das setzt er bei den Bayern jetzt super ein. Hier geht es vor allem darum, die Jungs, die alle hochbegabt sind, zueinander zu bringen. Sein großer Vorteil ist: Er musste dafür keine Basis aufbauen. Neuer, Boateng, Müller, Goretzka – alle kannte er schon von der Nationalma­nnschaft. In der Zeit als Co-trainer bei Bayern konnte er diesen Vorteil noch verfestige­n. Er hatte bei seinem Start als Cheftraine­r gleich einen Stamm an Spielern, die für ihn brannten. Und das hat er perfekt genutzt.

Interview: Roland Wiedemann

Benedikt Höwedes spielte 289 Mal für Schalke 04 in der Bundesliga. 2014 gewann der Verteidige­r mit Deutschlan­d den Wm‰titel, wobei er alle Partien durchspiel­te. 2018 wechselte er zu Lokomotive Mos‰ kau. Im Juli beendete der 32‰Jährige seine Karriere und arbeitet als Ex‰ perte für den Tv‰sender Sky.

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Foto: Guido Kirchner, dpa Der russische Fußball ist in vielen Dingen altmodisch­er aufgestell­t: Benedikt Höwe‰ des spielte zuletzt für Lokomotive Moskau.

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