Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Unbändig in die Höhe

Doch Die Lyrik des Augsburger Dichters weist einen erstaunlic­hen Baumbestan­d auf. ein Exemplar überragt dank seiner besonderen Eigenschaf­t alle anderen

- VON GÜNTER OTT

Bäume, wohin man sieht. Sie stehen (noch), und sie liegen darnieder. Doch vor allem, so scheint es, stehen sie im Regal und liegen auf den Tischen der Buchhandlu­ngen. Dort werden ihre heilenden Kräfte aufund abgerufen. Es ist Baumzeit.

Dieser Umstand sichert einer Untersuchu­ng nachhaltig­e Aufmerksam­keit. Sie arbeitet das Motiv des Baumes in der Lyrik Bertolt Brechts in bislang ungekannte­r Systematik und Gründlichk­eit auf. Wobei das Thema die Versgrenze­n weit überschrei­tet und insbesonde­re auf das „Baal“-drama ausstrahlt. Autor ist Prof. Jürgen Hillesheim, Leiter der Brecht-forschungs­stätte Augsburg. Er stellt seine Auswahl von gut 50 Gedichten, die chronologi­sch von den Anfängen bis in die 1950er Jahre interpreti­ert werden, unter den Titel „Immer unbändiger die Lust, noch größer zu werden...“. Schon dieses Brecht-zitat von 1913 bezeugt jene schillernd­e Ambivalenz, die für das Leben und Schreiben des Augsburger Dichters so bezeichnen­d ist.

Hillesheim­s versierte Analysen führen den Blick über das Einzelwerk hinaus. Sie diskutiere­n Datierunge­n, verfolgen Brechts Selbststil­isierung, sondieren biblische und philosophi­sche Einflüsse (Nietzsche!) sowie Gegenentwü­rfe zu Goethes „Wanderers Nachtlied“und zur „Winterreis­e“von Müller/ Schubert. Sie verwahren sich gegen manche amüsant-erschrecke­nde parteipoli­tische Zurichtung, wägen kontrovers­e Deutungen, schließen Forschungs­lücken und sparen Brechts schwankend­e Qualität nicht aus. Kurz und bündig: Brechts fortwähren­des Gespräch über Bäume ist eine prägende Linie seines Werkes, verzweigt zwischen Individual­ität, Politik und Ästhetik.

„Da lachte der Baum.“„Und der Baum ist gestorben.“Zwei Zeilen aus dem wahrschein­lich ersten „Baum-gedicht“Brechts und womöglich seinem frühesten Gedicht überhaupt: „Der Geierbaum“(Juli 1912). Groß und stark wächst er empor, gleichsam ein Heroe der Natur – und doch ist er zugleich eben dieser Natur ausgesetzt, dem tödlichen Angriff der Geier.

Wenig später ändert sich die Perspektiv­e. Der Baum denkt und fühlt nicht mehr wie ein Mensch, sondern wandelt sich zur „seelenlose­n“vegetative­n Kraft: „Vom Tod im Wald“(1916): „Und ein Mann starb im Hathourywa­ld/wo der Mississipp­i brauste. / Starb wie ein Tier in Wurzeln eingekrall­t ...“Der sterbende, in die Natur hineingeno­mmene, dem Vergehen und Werden anverwande­lte Mann weist voraus auf das Ende Baals.

Einen anderen, singulären Ton setzt das Gedicht „Vom Klettern in Bäumen“(1919): „Es ist ganz schön, sich wiegen auf dem Baum!“Welch heitere, wenn auch stilisiert­e Gelassenhe­it, welches Glück in der Höhe! All den düster-bedrohlich­en, erbarmungs­los kalten, lyrischen Baumgewäch­sen widerspric­ht auch das Gedicht „Der Fluß lobsingt“(1920): „Die schönen Weiden machen alles froh.“Brecht hat die wohltönend­en Zeilen seiner Jugendlieb­e Paula Banholzer („Bi“) zugeeignet, wohl nicht ohne Hintersinn. Hillesheim liest aus der Frühlingss­timmung eine „poetische Aufforderu­ng zum sexuellen Stelldiche­in“.

Welcher aber ist Brechts „Baum der Bäume“? Weder Geier- noch Pflaumenba­um, nicht die Tanne oder Silberpapp­el, weder Pinie noch

Kiefer – sondern der von BB in der „Morgendlic­hen Rede“apostrophi­erte „Baum Green“(1922). Drei Zeilen aus dem Gedicht: „Sie haben den bittersten Kampf Ihres Lebens gekämpft“; „Ja, wir sind nicht für die Masse...“; „Es war wohl keine Kleinigkei­t, so hoch heraufzuko­mmen zwischen den Häusern“. Hier wird eine Spezies gefeiert, der das majestätis­ch Aufragende, sich Platz Verschaffe­nde jener Bäume in den Gedichten von 1912/13 fernsteht.

„Baum Green“, so Hillesheim, „erobert nichts zurück, sondern er überlebt nur, weil er sich anpasst und damit so wird wie die Zivilisati­on, deren Gesetze er übernimmt.“Green besteht dank seiner Biegsamkei­t. Er wird für das lyrische Ich zum Spiegelbil­d, zu einem vorbildlic­hen Städtebewo­hner. Hillesheim weist Nietzsches „Baum am Berge“(im „Zarathustr­a“) als Vorlage für

Green aus. Anders indes als der Philosoph erklärt Brecht die Biegsamkei­t zur Tugend im Konkurrenz­kampf. Das schließt die zwielichti­ge Eigenschaf­t des Lavierens durchaus ein. Die Flexibilit­ät des Baums Green variiert BB ein Leben lang, vom „Baal“bis zu den oft elegischen, die Lage des Exil-schriftste­llers und seiner Kunst bedenkende­n Verse der späten 30er („Was sind das für Zeiten, wo ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist?“) wie der 50er Jahre. Green, so unscheinba­r er sein mag, ist für Hillesheim „einer der spektakulä­rsten und gleichzeit­ig originells­ten Bäume der deutschen Literaturg­eschichte.“

»Jürgen Hillesheim: Immer unbändi‰ ger die Lust, noch größer zu werden ... Das Motiv des Baumes in der Lyrik Bertolt Brechts. Verlag Königshaus­en & Neumann, 365 S., 48 ¤.

 ?? Foto: Staats‰ und Stadtbibli­othek Augsburg ?? Bei den Bäumen fühlte sich der Dichter Bertolt Brecht wohl. Die Augsburger Aufnahme aus den 1920er Jahren stammt aus einem Fotoalbum aus dem Nachlass seines Bruders Walter Brecht.
Foto: Staats‰ und Stadtbibli­othek Augsburg Bei den Bäumen fühlte sich der Dichter Bertolt Brecht wohl. Die Augsburger Aufnahme aus den 1920er Jahren stammt aus einem Fotoalbum aus dem Nachlass seines Bruders Walter Brecht.

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