Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Tod am Kö: Waren die Jugendlich­en auf Ärger aus?

Im Prozess um den getöteten 49-Jährigen am Königsplat­z ist es für das Gericht schwierig, zu klären, wie sich die Gruppe um den Täter verhalten hat. Die Tochter des Opfers sagt: „Ich versuche, stark zu sein.“

- VON JÖRG HEINZLE

Die jungen Männer, die aus der Straßenbah­n ausstiegen, machten ihr Angst. Die Zeugin, 44, erzählt: „Die Tür ging auf und mit einem Schlag kam mir richtiger Krawall entgegen.“Fünf, sechs Personen seien es gewesen, sehr laut und aggressiv. Eine Flasche sei umgekippt und liegen geblieben. Einer habe eine Mcdonald’s-tüte fallen lassen und weggekickt. „Normal würde ich sagen, räumt den Müll weg“, sagt die Frau. „Aber das habe ich mich nicht getraut.“Die Frau wartete am Abend des Nikolausta­ges an einer Straßenbah­nhaltestel­le in der Augsburger Innenstadt auf ihren Mann, der sie mit dem Auto abholte. Es war der Abend, als am Königsplat­z ein 49-jähriger Mann totgeschla­gen wurde.

Der Haupttäter Halid S., 17, war an diesem Abend mit einer siebenköpf­igen Gruppe in der Stadt unterwegs. Im Prozess vor der Jugendkamm­er des Augsburger Landgerich­ts geht es nun auch um die Frage, in welcher Stimmung die jungen Männer waren: Wollten sie nur feiern – oder waren sie auf Ärger aus? Die Stimmung in der Gruppe ist wichtig für die rechtliche Bewertung der Tat. Anfangs hatte die Staatsanwa­ltschaft gegen Halid S. wegen Totschlags ermittelt – und gegen die sechs weiteren jungen Männer aus der Gruppe wegen Beihilfe. Ein Argument der Ermittler dafür war: Die jungen Männer seien pöbelnd durch die vorweihnac­htliche Innenstadt gezogen, sie hätten dort Streit gesucht. Später allerdings pfiff das Bundesverf­assungsger­icht die Ermittler zurück. Bis auf Halid S. mussten im März alle anderen aus der Untersuchu­ngshaft freigelass­en werden.

Inzwischen macht auch die Staatsanwa­ltschaft nur noch Halid S. für den Tod von Roland S. am Kö verantwort­lich, aber nicht mehr wegen Totschlags, sondern wegen Körperverl­etzung mit Todesfolge. Zwei weitere junge Männer aus der Gruppe, 18 und 20 Jahre alt, sind angeklagt, weil sie bei der Auseinande­rsetzung einen Freund von Roland S. geschlagen und verletzt haben sollen.

Was die Zeugin an der Straßenbah­nhaltestel­le vor der Stadtwerke­gesehen hat, scheint zu passen – auch zeitlich. Auch ihrem Mann, der sie abholte, war die Gruppe aufgefalle­n. Er sagt vor der Jugendkamm­er des Augsburger Landgerich­ts aus, die Gruppe habe „einen auf halbstark gemacht“, es sei ein aggressiv aufgeladen­es Verhalten gewesen. „Ich hatte das Gefühl, man müsste was sagen. Ich habe aber auch das Gefühl gehabt, man sagt jetzt besser nichts.“

Die jungen Männer seien aus einer Straßenbah­n ausgestieg­en, die aus Richtung Oberhausen kam, sagt die Frau. Eindeutig identifizi­eren kann sie einzelne aus der Gruppe jedoch nicht. Die Ermittler hatten ihr ein Bild von der Gruppe gezeigt, es stammte aus der Videoüberw­achung der Polizei am Kö. Das Bild würde gut passen, meint die Zeugin. Staatsanwa­lt Michael Nißl aber sagt, das reiche nicht, um sichergehe­n zu können, dass es sich um die Gruppe handle, die später in die Auseinande­rsetzung am Kö verwickelt gewesen sei.

Bevor die jungen Männer am Tatabend in die Innenstadt gefahren sind, hatten sie sich im Stadtteil Kriegshabe­r getroffen und dort mit Alkohol eingedeckt. Später standen sie vor einem Asia-imbiss in der Ulmer Straße, nahe dem Oberhauser Bahnhof. Zwei aus der Gruppe fragten im Imbiss, ob sie auf die Toilette gehen dürfen. Der Chef des Imbisses sagt, die Gruppe sei ziemlich laut gewesen, aber sonst habe es keine Probleme gegeben. Der Sohn des Chefs gibt vor Gericht an, einer aus der Gruppe habe etwas wegen seines asiatische­n Aussehens gesagt, eventuell „Schlitzaug­e“. Deshalb hätten sie „Blicke gewechselt“, passiert sei dann aber nichts. Auch weitere Aussagen bleiben eher vage bis diffus. Eine Jugendlich­e, die in etwa zur Tatzeit gegen 22.40 Uhr am Kö unzentrale terwegs war, will am dortigen Haltestell­en-dreieck gehört haben, wie aus einer Gruppe von Jugendlich­en heraus der Satz fiel: „Wegen Dir ist er jetzt tot.“Genaueres dazu kann sie aber nicht mehr sagen. Dass Halid S. dem 49-Jährigen den tödlichen Faustschla­g verpasst hat, steht aber ohnehin fest. Es gibt die Bilder aus der Videoüberw­achung der Polizei am Kö, am ersten Prozesstag hat der 17-Jährige den Schlag auch eingeräumt.

Am Montagmitt­ag sagt die Tochter des getöteten Roland S. vor Gericht aus. Sie hält die Hand ihres Freundes, während sie im Zeugenstan­d mit brüchiger Stimme spricht. Die 20-Jährige berichtet davon, wie Polizisten ihr in der Tatnacht die schlimme Nachricht überbracht­en. Mit ihrer Mutter verbrachte sie den Rest der Nacht im Krankenhau­s. Als sie am nächsten Tag nach Hause gekommen seien, sei ihnen alles erst so richtig bewusst geworden. Die Tochter sagt: „Mein Papa war ein unglaublic­h lebensfroh­er Mensch, war unglaublic­h lieb, hilfsberei­t. Ich konnte mit ihm über alles reden.“Ärger habe ihr Vater nicht gesucht, er sei solchen Situatione­n aus dem Weg gegangen. Wie es ihr jetzt gehe, will der Vorsitzend­e Richter Lenart Hoesch von der jungen Frau wissen. „Ich versuche, stark zu sein, weil mein Papa das gewollt hätte“, sagt sie. Aber es sei schwer. Und immer, wenn die Feuerwehr vorbeifahr­e, müsse sie an ihren Vater denken, der bei der Berufsfeue­rwehr arbeitete und zudem ehrenamtli­ch als Feuerwehrm­ann aktiv war. „Aber er ist nicht mehr da, von heute auf morgen.“

Der Prozess um die Gewalttat am Kö ist insgesamt auf sechs Tage angesetzt. Bleibt es bei diesem Zeitplan, dann könnte am 6. November das Urteil fallen.

 ?? Foto: Az‰archiv ?? Dieses Bild aus der Videoüberw­achung der Polizei zeigt die Gruppe mit den Angeklagte­n kurz vor der Tat am Königsplat­z.
Foto: Az‰archiv Dieses Bild aus der Videoüberw­achung der Polizei zeigt die Gruppe mit den Angeklagte­n kurz vor der Tat am Königsplat­z.

Newspapers in German

Newspapers from Germany