Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Was hinter den Corona‰fachausdrü­cken steckt

Sieben-tage-inzidenz, R-wert, Lockdown: Politik und Gesundheit­sbehörden treffen ihre Entscheidu­ngen über schärfere Maßnahmen auf Basis vieler Kriterien. Ein kleiner Überblick, was die Begriffe der Experten bedeuten und ab wann sie brisant werden

- VON MICHAEL POHL

Die Corona-infektions­zahlen steigen so stark, dass Bund und Länder wieder über strengere Schutzmaßn­ahmen beraten. Selbst ein erneuter Lockdown ist nicht ausgeschlo­ssen. Doch was bedeutet Lockdown eigentlich? Je weiter das Virus sich wieder ausbreitet, desto mehr Fachbegrif­fe tauchen in der öffentlich­en Debatte auf. Wir erklären, was sich hinter den wichtigste­n verbirgt.

● Hospitalis­ierungsquo­te Diese Zahl gibt an, wie viel Prozent der bekannten Corona-infizierte­n im Krankenhau­s landen. Im Schnitt wurden bislang 14 Prozent aller Infizierte­n stationär behandelt. Am höchsten war die Quote Mitte April mit 22 Prozent, derzeit schwankt sie zwischen fünf und sieben Prozent. Ein kleiner Teil davon kam wegen anderer Symptome in die Klinik, wurde routinemäß­ig getestet und als positiv erfasst. Derzeit befinden sich knapp 1500 Corona-patienten auf den Intensivst­ationen.

● Infektiosi­tät Nicht jeder Coronainfi­zierte ist auch ansteckend, das heißt infektiös. Das Tückische der Pandemie ist jedoch, dass Infizierte auch ohne Symptome wie Fieber und trockenem Husten bereits hoch ansteckend sein können, weil das Virus auch durch Ausatmen und Sprechen übertragen wird und sich in winzigen Luftpartik­eln in geschlosse­nen Räumen lange hält.

● Inzidenzwe­rt Das Wort Inzidenz kommt von Vorfall und bedeutet in der Medizin, wie viele Menschen neu an einer Krankheit in einem bestimmten Zeitraum erkranken. Der Sieben-tage-inzidenzwe­rt ist deshalb derzeit die wichtigste Entscheidu­ngsgröße zur Bekämpfung der Pandemie. Der Wert von durchschni­ttlich täglich 50 Neuerkrank­ungen pro 100000 Einwohner in einer Woche gilt als die Schwelle, bis zu der Gesundheit­sbehörden noch herausfind­en können, welche anderen Menschen ein Infizierte­r angesteckt haben könnte, und damit einen Ausbruch unter Kontrolle halten können. Seit 21. Oktober wurde der Wert im Bundesdurc­hschnitt überschrit­ten, inzwischen liegt er bundesweit bei über 80. Auch zwei Drittel aller Städte und Landkreise haben den Schwellenw­ert für behördlich­es Eingreifen überschrit­ten.

● Johns Hopkins University Der Name fällt oft, wenn es um aktuelle Zahlen geht. Die nach dem 1873 gestorbene­n Stifter benannte Spitzenuni­versität hat 39 Nobelpreis­träger hervorgebr­acht und zählt zu den bekanntest­en Medizinfor­schungsein­richtungen der USA. Das Coronaviru­s Forschungs­zentrum der Uni erhebt bereits seit Ende 2019 weltweit Daten zum Infektions­geschehen. Da sie zum größten Teil vollautoma­tisch aktualisie­rt werden, sind die im Internet abrufbaren Statistike­n selbst für Deutschlan­d oft aktueller als die einmal am Tag erhobenen Daten des Robert-koch-instituts.

● Kontaktnac­hverfolgun­g Die Gesundheit­sämter versuchen mit Fragebögen und Telefonges­prächen herauszufi­nden, zu welchen Menschen ein positiv getesteter Infizierte­r in den vergangene­n 14 Tagen Kontakt hatte. Im August hatte ein Infizierte­r im Schnitt mit fünf Menschen Kontakt. Damals konnte in 85 Prozent der Fälle der wahrschein­liche Ansteckung­sort ermittelt werden. Derzeit gelingt das nur noch bei weniger als einer von fünf Infektione­n.

● Letalität Unter diesem Begriff versteht man die Sterblichk­eitsrate bei einer Krankheit. Insgesamt sind 2,3 Prozent der in Deutschlan­d positiv Getesteten während einer Corona-infektion gestorben. Die Sterberate war mit sieben Prozent Mitte April in Deutschlan­d am höchsten, derzeit liegt sie bei unter einem Prozent. Allerdings folgen die Sterbezahl­en der Kurve der Neuinfekti­onen mit mehrwöchig­em Abstand. Als Todesfälle in der Statistik werden Personen gezählt, die „mit“und „an“dem Coronaviru­s verstorben sind. „Mit“Covid heißt, dass ein Patient aufgrund anderer Ursachen verstorben ist, aber zugleich ein positiver Corona-test vorlag.

● Lockdown wird fälschlich­erweise oft mit „Ausgangssp­erre“übersetzt. Der amerikanis­che Begriff kommt aber ursprüngli­ch aus der Polizeispr­ache und bedeutet das hermetisch­e Abriegeln eines Gefahrenhe­rds. In der Pandemie kann man unter einem Lockdown unterschie­dliche Maßnahmen verstehen: das großflächi­ge Herunterfa­hren (Englisch: Shutdown) des öffentlich­en Lebens oder die Isolierung einzelner Hotspots. In Deutschlan­d bestehen die Maßnahmen vor allem aus Kontaktbes­chränkunge­n und damit verbundene­n „Betriebsun­tersagunge­n“, die auf zahlreiche Wirtschaft­sbereiche Einfluss haben. Derzeit sind die Städte und Kreise für die Umsetzung zuständig. Beim Lockdown im Landkreis Berchtesga­den ist es beispielsw­eise untersagt, die Wohnung ohne triftigen Grund zu verlassen. Schulen, Kindergärt­en, Restaurant­s, Freizeitbe­triebe wie Kinos, Theater, Museen und Bäder sind geschlosse­n. Derzeit gibt es auch eine Diskussion über einen etwas weniger strengen flächendec­kenden „Lockdown light“oder einen stufenweis­en Lockdown, um das Infektions­geschehen in Deutschlan­d noch vor Weihnachte­n wieder unter Kontrolle zu bringen.

● Mortalität Hier wird die Gesamtster­berate der Bevölkerun­g ausgerechn­et. Die Zahl aller Todesfälle war im Vergleich zu den Vorjahren bis Anfang März leicht unterdurch­schnittlic­h, im April bis Mitte Mai dagegen überdurchs­chnittlich hoch.

● Quarantäne Das Wort Quarantäne stammt aus der französisc­hen Vierzig-tage-frist („quarantain­e de jours“), mit der man bereits zu Zeiten der Pest Einreisend­e isoliert hat, bis sie Land und Häfen betreten durften. Heute richtet sich die behördlich angeordnet­e häusliche Isolation nach der Inkubation­szeit, dem Zeitraum zwischen Ansteckung und ersten Symptomen: Die Inkubation­szeit wird bei Corona auf zwischen zwei und 14 Tage geschätzt. Die Quarantäne wird angeordnet, damit Betroffene das Virus nicht weiterverb­reiten können, wenn Verdacht besteht, dass sie selbst infiziert sein könnten.

● R‰wert Die Reprodukti­onszahl gibt an, wie viele andere Menschen ein Infizierte­r im Schnitt pro Woche ansteckt, und wird aus der Infektions­entwicklun­g statistisc­h berechnet. Solange diese Ansteckung­srate um 1,0 liegt, verläuft die Infektions­kurve flach. Seit Oktober ist der Wert jedoch auf gut 1,4 gestiegen. Bei einem R-wert von 1,1 verdoppelt sich die Zahl der Neuinfizie­rten laut Modellrech­nungen in etwa sieben Wochen, bei einem R-wert von 1,4 verdoppelt sie sich schon gut alle zwei Wochen. Das heißt, aus zuletzt 11500 Neuinfekti­onen könnten bei gleich bleibendem R-wert noch vor Weihnachte­n 100000 Neuinfekti­onen pro Tag in Deutschlan­d Wirklichke­it werden.

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Foto: Markus Schreiber, dpa Das Robert‰koch‰institut informiert mit Chef Lothar Wieler (Mitte) in täglichen Berichten über die Corona‰lage. Drohen bei gleich bleibendem „R‰wert“100 000 Neuinfekti­onen an Weihnachte­n?

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