Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Kein Christkind­lesmarkt: „Schlag in den Magen“

Viele Händler trifft die Absage des Augsburger Christkind­lesmarktes hart. Bei manchen steht die Existenz auf dem Spiel. Die Reaktionen sind zwiegespal­ten

- VON INA MARKS

Als unbekannte Feuerteufe­l im vergangene­n Jahr auf dem Augsburger Christkind­lesmarkt seinen Stand mit den Schutzenge­ln in Brand steckten, schwor sich Werner Rödel, seinen nächsten Stand schöner aufzubauen und mit seinen Kunden darauf anzustoßen. Doch daraus wird nun nichts. Aufgrund der steigenden Infektions­zahlen hat die Stadt den Augsburger Christkind­lesmarkt 2020 am Montag abgesagt. Manche Händler trifft das hart. Die Entscheidu­ng wird zwiegespal­ten aufgenomme­n.

Marion Perl ist bedrückt. Sie und ihren Mann plagen aufgrund der Corona-pandemie sowieso Existenzän­gste. Nun ist die Angst weiter gestiegen. „Auch wenn wir es befürchtet hatten, die Absage war ein Schlag in den Magen.“Das Ehepaar aus Aichach verkauft normalerwe­ise in der Adventsgas­se des Christkind­lesmarktes auf dem Rathauspla­tz selbst gefertigte­n Schmuck aus Edelsteine­n. Heuer wäre es das zehnte Jahr gewesen.

Der Christkind­lesmarkt sei ihre wichtigste Einnahmequ­elle. Finanziell trage er sie bis in den April. „Die Märkte sind unser einziges Standbein“, erzählt die 52-jährige Marion Perl. Nur auf der Dult haben sie mit ihrem „Perlenzaub­er“zwei Wochen lang Waren verkaufen können. Zudem war das Ehepaar zwei Wochen lang mit seinem Stand vor dem Karstadt präsent. Das war alles in diesem Jahr.

„Wegen Corona haben wir vor drei Monaten einen Onlineshop eröffnet, aber der läuft bislang nicht. Außerdem weiß ich nicht, wie ich unsere Stammkunde­n erreichen soll“, beschreibt Perl das Dilemma. Glück im Unglück sei, dass sie im Vorfeld des Christkind­lesmarktes nicht viel Ware bestellt haben. „Wir produziere­n selber und haben Anfang des Jahres vor Corona auf einer Messe Edelsteine eingekauft.“Werner Rödel hingegen hatte schon in großen Mengen für seinen Schutzenge­l-stand geordert.

„Zum Glück habe ich eine Stornomögl­ichkeit bis Anfang November. Nicht auszudenke­n, die Absage wäre erst gekommen, wenn wir schon aufgebaut hätten“, sagt der Beschicker. So richtig begeistert war Rödel von den Planungen des diesjährig­en Marktes sowieso nicht. Aufgrund Corona sollten der Christkind­lesmarkt entzerrt und die Buden auf die Innenstadt verteilt werden. Für ihn wäre das nur Makulagewe­sen, sagt der Händler. „Ist das denn noch unser Christkind­lesmarkt, wenn alles zerrissen ist?“Angesichts der steigenden Infektions­zahlen in Augsburg müsse die Vernunft vorne anstehen, findet Rödel. Einige Händler sehen es differenzi­erter.

Sandra Erlinger etwa, die an ihrem Stand Bonbonnier­e Süßigkeite­n wie gebrannte Mandeln anbietet, will die Entscheidu­ng der Stadt nicht als falsch bewerten. „Aber der Ersatzplär­rer und die Dult haben gezeigt, dass sie keine Ansteckung­sherde sind und dass das Hygienekon­zept funktionie­rt.“Sie verstehe die Stadt wegen des hohen Inzidenzwe­rtes, „aber ich tue mir schwer, weil es genügend andere Vergnügung­sund Einkaufsmö­glichkeite­n gibt.“Es wurme sie, dass bei Corona-maßnahmen in bestimmten Bereichen mit zweierlei Maß gemessen werde. Auch Marion Perl kann die Absage nicht ganz nachvollzi­ehen. „Wir wären doch an der frischen Luft gewesen, der entzerrte Plan der Stadt hätte funktionie­rt. In Geschäften geht es enger zu.“

Oberbürger­meisterin Eva Weber (CSU) hingegen machte in einer Videobotsc­haft klar, warum die Weihnachts­inseln über die Stadt verteilt derzeit keine Option sind. „Wir wollen und wir dürfen momentan keinen Anlass bilden, dass die Menschen in die Innenstadt kommen“, betonte sie.

Tina Held versucht das Aus des Christkind­lesmarktes pragmatisc­h zu sehen. „Trotz aller Hygienekon­zepte steigen die Zahlen ja weiter. Es nützt einfach nichts.“Dabei ist ihre Familie auch schwer von den wirtschaft­lichen Auswirkung­en durch Corona getroffen. Normalerwe­ise betreiben die Helds das Schaltur ler-festzelt auf dem Plärrer, die Almhütte auf dem Christkind­lesmarkt und arbeiten für Messeveran­staltungen – bis auf zwei kleinere Events an der Messe wurde dieses Jahr alles gestrichen. Um diese Zeit, sagt die 29-jährige Held, hätten sie normalerwe­ise längst bei ihrer Weinkeller­ei die Bestellung für den Christkind­lesmarkt aufgegeben. „Zum Glück hatten wir uns dieses Jahr damit bewusst zurückgeha­lten.“

Manche Händler geben die Hoffnung nicht ganz auf, dass die Zahlen der Covid-19-infektione­n in Augsburg bald wieder sinken. „Vielleicht entscheide­t die Stadt dann, doch einzelne Verkaufsst­ände aufzustell­en“, so Perl. Das Wirtschaft­sreferat, das auch für das Marktwesen zuständig ist, gibt sich an dieser Stelle vorsichtig. „Für eine konkrete Aussage ist es leider noch ein wenig zu früh.“Den Verantwort­lichen der Stadt sei aber bewusst, dass sich die Marktkaufl­eute und Schaustell­erfamilien durch die Absage in einer schwierige­n Lage befinden. „Wir werden alle Vorschläge gemeinsam mit unseren Partnern diskutiere­n. Entscheide­nd für die Handlungso­ptionen ist aber stets, wie sich die Fallzahlen in den nächsten Wochen entwickeln werden“, heißt es.

Sandra Erlinger von der Bonbonnier­e überlegt sich bereits eine Alternativ­e. „Zwar befinde ich mich noch in einer Art Schockstar­re“, sagt Erlinger, „aber möglicherw­eise bauen wir den Süßigkeite­nstand auf unserem Grundstück am Mittleren Moos wieder auf, wie nach dem Lockdown im Frühjahr.“Eventuell bekomme sie auch einen Platz bei einer Firma in Lechhausen.

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Archivfoto: Michael Hochgemuth Diese stimmungsv­ollen Momente werden in diesem Jahr viele Menschen vermissen. Der Augsburger Christkind­lesmarkt 2020 fin‰ det wegen Corona nicht statt.
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Archivfoto: Anne Wall Sandra Erlinger denkt über alternativ­e Standorte nach.
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Foto: Perl Marion und Michael Perl wären das zehnte Jahr dabei gewesen.
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Foto: Silvio Wyszengrad Werner Rödel hatte schon viel Ware be‰ stellt.

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