Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wenn Abschied nehmen nicht möglich ist

Die Trauerbegl­eitung des Bistums zeigt Perspektiv­en auf – auch in der Corona-krise

- VON GERLINDE KNOLLER

„Die Bestattung findet im engsten Familienkr­eis statt. Eine Trauerfeie­r wird zu gegebener Zeit nachgeholt.“Kaum eine Todesanzei­ge gab es im Frühjahr dieses Jahres, in der nicht dies zu lesen war. Worte, die für ein Drama standen: Nur einem kleinen Kreis war es gestattet, von den Lieben am Grab Abschied zu nehmen – keine Freunde, keine Nachbarn, keine Kollegen. Ausgerechn­et in diesem Jahr, in dem Corona die Zerbrechli­chkeit des Lebens aufzeigt, begeht die Kontaktste­lle Trauerbegl­eitung des Bistums Augsburg ihr 25-jähriges Bestehen.

In einem Gedenkgott­esdienst in St. Ulrich und Afra ermöglicht­e sie jenen, die in den vergangene­n Monaten keine gebührende Trauerfeie­r haben konnten, ein würdiges Gedenken an ihre Lieben. „Es hat etwas Heilendes, wenn in Gemeinscha­ft der Verstorben­en gedacht wird“, sagt Pastoralre­ferent Benno Driendl. Mit Norbert Kugler, dem Leiter der Kontaktste­lle Trauerbegl­eitung, gehört es zu seinen Aufgaben, Menschen, die beruflich oder ehrenamtli­ch mit Trauernden in Kontakt kommen, zu schulen – aber auch, um Trauende zu begleiten.

Die Idee, die vor 25 Jahren zur Gründung der Kontaktste­lle geführt hat, trägt bis heute. In der Begleitung soll Trauernden aufgezeigt werden, was sie auf ihrem Weg der Trauer stärken kann, wo es Perspektiv­en gibt, die zunächst oft gar nicht im Blick sind, erläutert Benno Driendl. „Unser Leben ist ein einziges Abschiedne­hmen“, sagt er. Jeder

Mensch mache Erfahrunge­n von Verlust und Trauer, etwa an den Übergängen der Lebensphas­en. Charakteri­stisch für einen Trauerproz­ess, auch in der Corona-krise, seien Reaktionen wie Wut, Angst und Schmerz. Typisch seien dafür Aussagen wie: „Warum passiert das jetzt? Wohin führt das? Es ist nichts mehr, wie es war.“Hilfreich könne es sein, so Driendl, zu schauen, woher diese Wut, diese Ängste kommen. Etwa aus dem Wunsch, ein selbst bestimmtes Leben zu führen. Oder aus den Bedürfniss­en nach Sicherheit. Oder nach Beziehunge­n.

„Hinter dem Schmerz der Trauer stecken immer Bedürfniss­e“, ist Benno Driendl überzeugt. Diese Bedürfniss­e wahrzunehm­en lasse erkennen, dass womöglich doch nicht alles genommen ist. „Gerade jetzt hilft es, nach den Geländern zu schauen, die mich halten“, meint Driendl. Das können Beziehunge­n sein, aber auch die Gewissheit eines eigenen Zuhauses. „Zu erkennen, dass ich nicht nur der Spielball in diesem Leben bin, das kann aufatmen lassen.“

Und doch bleibt bei einigen Menschen ein großer Schmerz. Vor allem bei jenen, die in den ersten Monaten dieses Jahres nicht – etwa in Altenheime­n – bei ihren sterbenden Lieben sein durften, die nicht Abschied nehmen konnten. „Eine Zumutung und ein seelisches Verbrechen“, sagt Driendl klipp und klar. Das könne zu lebenslang­en Verletzung­en führen. Gezeigt hat sich in diesem Jahr auch: Eine Trauerfeie­r lässt sich nicht beliebig in die Zukunft schieben, bis ein größerer Kreis daran teilnehmen kann.

In der Pfarrei Herz Jesu wurden deshalb in regelmäßig­en Abständen Gedenkgott­esdienste angeboten – an Allerseele­n wird es zwei geben.

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Foto: Wyszengrad Auch Trauernde müssen wegen Corona auf Abstand gehen.

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