Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals (93)
MIn die italienische Botschaft in Damaskus wird ein toter Kardinal eingeliefert. Was hatte der Mann aus Rom in Syrien zu schaf fen? Kommissar Barudi wird mit dem Fall betraut, der ihn zu reli giösen Fanatikern und einem muslimischen Wunderheiler führt. anche Eltern kleiden ihre Jungen wie Mädchen und lassen ihnen die Haare wachsen, um den Teufel zu täuschen, weil er gern Jungen umbringt.
Meine Großmutter pflegte eine Wasserkanne aus Ton zu zerbrechen, wenn lästige Gäste das Haus verlassen hatten, damit die Geister dafür sorgten, dass diese Gäste nie wieder zu Besuch kamen. Nie in der Nacht den Boden kehren, mahnte sie, weil das die Engel in ihrem Schlaf stört und sie dann das Haus verlassen.
Bevor wir das ABC und die Summe aus vier plus drei lernten, wussten wir, dass schwarze Katzen Teufelstöchter sind, die man meiden soll.
Am meisten Angst hatte ich als Kind vor dem Plumpsklo, das in einer dunklen Ecke des Hofes lag. Es wurde von mehreren armen Familien benutzt. In der Grube wohnten, wie unsere Nachbarin immer erzählte, die bösesten Geister. Eines Nachts musste ich dringend aufs
Klo. Meine Öllampe beleuchtete mir spärlich den Weg. Ich hockte über dem Loch, die Grube darunter war düster und stank, und ich hörte Geräusche, als würde sich jemand bewegen. Und plötzlich berührte mich etwas am nackten Hintern. Später wusste ich, es war ein verwirrter Falter, damals aber schrie ich laut auf und rannte davon.
Ich war fasziniert von jeder abergläubischen Handlung. Wenn ein Trauerzug an einem Haus vorbeiging, schüttete man Salzwasser vor die Tür. Es hieß, dass sich Tote in der ersten Nacht unter der Erde sehr einsam fühlen, und deshalb kommen die Seelen zurück, um jemanden zu holen, der ihnen Gesellschaft leistet. Das Salzwasser aber hindert sie daran. Bis heute kriege ich Gänsehaut bei der Vorstellung der ersten Nacht unter der Erde.
Das alles bestimmte unser Leben und Denken in einem Dorf am Ende der Welt vor sechzig Jahren, aber was ist mit dem Aberglauben heute?
Heute bietet ein Scharlatan seine
Dienste auf höchstem technischen Niveau an. Er betreut seine abergläubische Kundschaft über Facebook und Twitter. Man findet die Preisliste auf seiner Internetseite: Je nach Position zahlt man zwischen 10 und 100 Dollar, für den ersehnten Ehemann 100 Dollar, garantierte Potenz in der Hochzeitsnacht 200 Dollar, absolute Herrschaft über den Ehemann 300 Dollar. Ein Imam schämte sich vor ein paar Wochen nicht einmal, im Radio zu behaupten, im Paradies spreche man Arabisch.
Schukri hat mir vor ein paar Wochen von einem raffinierten Trick eines Scharlatans berichtet. Eine wohlhabende Frau wollte unbedingt ein Kind. Nach vielen Ehejahren und zahllosen Medikamenten war sie sehr verzweifelt. Sie suchte einen Scheich auf, den ihre Nachbarin empfohlen hatte.
Der Scheich war ein athletischer junger Mann. Er fragte sie nach Namen, Alter und auch nach ihrer Adresse und schickte sie dann höflich weg, da er sich mit den Geistern beraten wollte. Sie sollte nach einer Woche wiederkommen. Sie kam und war erstaunt, wie viel er inzwischen über sie wusste. Er fragte nach ihrer kranken Mutter und ob sie wisse, dass ihr Mann mehrere Geliebte habe. Das wusste die Frau, aber sie erschrak, als der Scheich ihr auch die Namen ihrer Freundinnen und Feindinnen nennen konnte.
Sie wusste nicht, dass der Scheich einen befreundeten Privatdetektiv beauftragt hatte, sie auszuspionieren.
Die Frau war ihm nun vollkommen hörig und ergeben. Er verlangte eine große Summe Geld und empfahl ihr, vor dem Sexualverkehr mit ihrem Mann bestimmte Sprüche aufzusagen. Als das nichts half, behauptete der Scharlatan, er müsse ihr Inneres erkunden und es den Geistern vermitteln. Sie solle am Freitag gegen elf Uhr kommen, dann sei seine Seele nach dem Freitagsgebet rein und er könne diese heikle Aufgabe erfolgreich lösen. Die Frau kam am Freitag schon um viertel vor elf. Sie solle sich im Nebenraum ausziehen und auf das Bett legen, befahl ihr der Scheich fast unbeteiligt und kehrte zu seinem Gebet zurück. Der Nebenraum war dunkel. Eine kleine Lampe zeigte ihr den Weg zum Bett. Weihrauch stieg von einer großen kupfernen Schale auf. Die Glut zischte. Die Frau war wie benommen, als der Scheich nackt hereinkam. Er beruhigte sie, dass er nur der Vermittler zwischen den Geistern und ihrem Inneren sei. Dann drang er in sie ein und führte mit den Geistern ein Gespräch in einer Sprache, die sie nicht verstand. Sie spürte ihre Lust, denn anders als ihr Mann war der Scheich raffiniert zärtlich und rücksichtsvoll. Sie genoss den Orgasmus.
„Mein Herr, wenn ein primitiver Mensch uns beobachtet hätte, würde er Ihre Vermittlung zwischen den Geistern und meinem Innern Ficken nennen“, sagte sie fast schüchtern.
„Das sah nur so aus. Denn in Wirklichkeit haben die Geister mit dir geschlafen. Sie haben jede meiner Bewegungen und Handlungen dirigiert. Ich bin nur ihr Instrumeund siehe da, die Frau wurde schwanger. Bald machte sie unter ihren wohlhabenden Freundinnen Werbung für den Scharlatan, und der Scheich konnte sich vor Anfragen kaum noch retten.
Als ich diese Geschichte Mancini erzählte, lachte er herzlich und konnte gar nicht mehr aufhören.
Ich rief Nariman heute an, nur um ihr Lachen zu hören. So ein Lachen gibt es nur einmal auf der Welt. Und wenn sie lacht, fühle ich Kraft in mir aufsteigen. Narimans Liebe ist meine Tankstelle. Sie füllt mich mit Hoffnung.
Man hat uns alle unsere Sachen zurückgebracht, bis auf meine Dienstpistole und Mancinis Fotoapparat. Mancini fragte Scharif in scheinbar gleichgültigem Tonfall nach dem Grund. Scharif antwortete – wie immer – sehr direkt. Die Pistole habe er aufbewahren lassen aus
Sorge um meine Sicherheit. Er kenne meine Wutanfälle und fürchte, dass ich in einem unbedeutenden Streit die Nerven verlieren, zur Pistole greifen und so mein Leben gefährden könne. Der Fotoapparat werde auf Geheiß des Geheimdienstchefs aufbewahrt, bis wir das Gebiet verlassen. Dies sei notwendig für die Sicherheit der Kämpfer. Fotografieren ist strengstens verboten.
Ich habe mit Major Suleiman telefoniert, ohne auch nur ein Wort über unsere Festnahme und Scharifs Gastfreundschaft zu verlieren. Nach ein paar Sätzen bemerkte ich Atifs schlechte Laune. Ich fragte ihn nach dem Grund. Er erzählte, dass der Präsident dafür gesorgt hatte, seinen, Atifs, Bruder aus dem Gefängnis freizulassen. Aber am selben Abend noch sei dieser in einem Nachtlokal gewalttätig geworden. Er hatte eine Tänzerin niedergeschlagen, die ihn nicht begleiten wollte, und den Barkeeper lebensgefährlich verletzt, der ihr zu Hilfe eilte.
„Willst fragte ich.
„Ja, gern“, antwortete Suleiman. Seine Stimme klang müde.
„Geh in die Offensive, suche den Präsidenten auf und bitte ihn, deinen Bruder im Gefängnis schmoren zu lassen, bis er sein verdientes Urteil bekommt.
du
auf
mich
hören?“,