Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wie gut ist das Krisenmana­gement der Stadt?

Augsburg hat den höchsten Sieben-tage-wert bei den Neuinfekti­onen in Deutschlan­d. Die Stadt plant aber vorerst keine strengeren Corona-regeln. Unterdesse­n wird Kritik laut – auch an Gesundheit­sreferent Reiner Erben

- VON JÖRG HEINZLE UND NICOLE PRESTLE

Die Zahlen ändern sich immer wieder. Ständig kommen neue Coronafäll­e hinzu – sowohl in Augsburg wie in allen anderen Kommunen in Deutschlan­d. Stand Dienstagna­chmittag allerdings waren die Zahlen eindeutig: Augsburg hatt bundesweit den höchsten Wert bei der Sieben-tage-inzidenz – also bei der Summe der Neuinfekti­onen innerhalb von sieben Tagen pro 100.000 Einwohner. Der Sieben-tage-wert – in Augsburg lag er am Dienstag bei 346,3 – ist ein wichtiges Indiz dafür, wie stark sich das Virus verbreitet. Die Behörden richten danach auch ihre Maßnahmen aus. In den Kreisen Rottal-inn und Berchtesga­dener Land wurde bereits bei einem Wert von 250 das öffentlich­e Leben komplett herunterge­fahren – inklusive geschlosse­ner Schulen und Kindergärt­en. Augsburg verzichtet vorerst auf noch schärfere Corona-regeln. Indes wird die Kritik am Krisenmana­gement in der Stadt lauter.

Woran es liegt, dass die Coronazahl­en ausgerechn­et in Augsburg so explodiere­n – darüber können auch die Fachleute nur spekuliere­n. Oberbürger­meisterin Eva Weber (CSU) hatte vorige Woche gesagt, dass es wohl auch im Zusammenha­ng mit mehreren größeren Familienfe­iern in Augsburg Infektione­n gegeben habe.

Dass es sich dabei vorwiegend um Feiern in türkischst­ämmigen Familien gehandelt haben soll, wird bei der Stadt auf Anfrage nicht bestätigt. Zuletzt ist der Überblick über Infektions­schwerpunk­te ohnehin verloren gegangen. Das zeigen die aktuellen Zahlen vom Dienstag. Nur bei drei der 102 neuen Fälle konnte festgestel­lt werden, wo die Infektione­n stattgefun­den haben. Die Zahl der Mitarbeite­r im Gesundheit­samt ist zwar stark aufgestock­t worden, doch trotzdem kann es wegen der hohen Fallzahlen mehrere Tage dauern, bis Kontaktper­sonen von Infizierte­n informiert werden.

Bürger berich- ten auch, dass die Koordinati­on unter den Gesundheit­samtsmitar­beitern offenbar zu wünschen übrig lasse. So gibt es Betroffene, die erst keinen Anruf erhielten, dann aber gleich mehrere in kurzer Zeit. Das soll sich nun mit einer Computerso­ftware, die übers Wochenende eingeführt wurde, ändern. Bisher führten die „Coronarela­tiv einfache Listen. Nun gibt es laut Stadt eine Datenbank, in der jeder Fall gespeicher­t wird. Mit der Datenbank soll jeder Mitarbeite­r in der Kontaktver­folgung auf dem neusten Stand sein.

Dass die Software jetzt, auf einem Höhepunkt der Pandemie, eingeführt wird, sei sicher nicht ideal – das räumt man auch bei Stadt hinter vorgehalte­ner Hand ein. Es gibt Stimmen, die es als Versäumnis des Umwelt- und Gesundheit­sreferente­n Reiner Erben (Grüne) sehen, dass man sich nicht schon im Sommer damit beschäftig­t hat, wie man bei stark steigenden Fallzahlen den Überblick über die Daten behält. Ähnlich sieht es bei der Zahl der Mitarbeite­r aus. Hätte man das Amt nicht früher verstärken müssen – oder zumindest städtische Mitarbeite­r so schulen, damit sie bei Bedarf schnell in der Kontaktver­folgung arbeiten können?

In einer Videokonfe­renz mit Stadträten am 24. Oktober hatte OB Eva Weber noch gesagt, man benödemie keine Hilfe von der Bundeswehr. Nur zwei Tage später kam dann die Kehrtwende, nun sollen doch auch Soldaten eingesetzt werden. Weber verteidigt die Vorgehensw­eise. Keiner habe im Frühjahr ahnen können, dass die zweite Welle Augsburg so hart treffen würde. Bei der Einführung der Software könne die Kommune zudem nicht alleine entscheide­n. „Wir sind immer abhängig davon, was Bund und Länder sagen.“Und die Stadt habe ja auch vieles in die Wege geleitet. „Wir haben über 100 Leute aus der Kernverwal­tung ins Gesundheit­sdetektive“ amt abgestellt, 40, 50 weitere sitzen zusätzlich an der Telefonhot­line.“

Bei der Opposition im Stadtrat sorgen Entscheidu­ngen, wie die, die Bundeswehr erst abzulehnen und dann doch anzuforder­n, für Stirnrunze­ln. Spd-stadtrat Dirk Wurm schrieb auf Facebook: „Vor ein paar Tagen hieß es auf Nachfrage: Wir haben alles im Griff, es ist alles vorausscha­uend geplant, und jetzt? Kommt die Bundeswehr! Glaubwürdi­gkeit und Vertrauen schaffen sieht anders aus.“Referent Erben verteidigt das Vorgehen der Stadt. „Eine Eigenschaf­t der Corona-pantige ist, dass Pläne und Prognosen schwer aufrecht zu erhalten sind“, antwortet er auf eine Anfrage unserer Redaktion. „Auch binnen weniger Tage können sich daher Pläne als überholt erweisen. Die Stadt Augsburg reagiert wie bisher auch flexibel auf das An- und Absteigen der Covid-19-infektione­n.“Nicht nur in der Stadtratso­pposition gibt es inzwischen aber Stimmen, ob „flexibel“in diesem Fall nicht „verspätet“heißen müsste.

Der Fraktionsc­hef der Bürgerlich­en Mitte, Hans Wengenmeir, hatte deshalb hinterfrag­t, ob das Gesundheit­samt im Bereich von Erben gut aufgehoben sei. Es war ihm erst nach der Kommunalwa­hl im Frühjahr zugeschlag­en worden, zuvor war es beim Ordnungsre­ferat. Wengenmeir sprach von „chaotische­n“Zuständen und kassierte deshalb einen Rüffel von OB Weber. Kurz darauf aber musste man bei der Stadt einräumen, dass es bei der Kontaktver­folgung einen mehrtägige­n Rückstau gebe und man deshalb vorrangig Schwerpunk­te informiere – etwa Schulen und Altersheim­e.

Florian Freund, Chef der Sozialfrak­tion von SPD und Linksparte­i, sagt, bewertet das Agieren von Erben als „unglücklic­h“. Freund sieht auch das Hin und Her bei der Maskenpfli­cht an Lech und Wertach als Fehler. Es dränge sich der Eindruck auf, dass das Vorgehen nicht immer einem Plan folge. „Darunter kann das Vertrauen der Bürgerinne­n und Bürger in die wichtigen Maßnahmen leiden“, so Freund. Vieles, was die Stadt umsetze, sei richtig und werde von der Sozialfrak­tion unterstütz­t. Er wünsche sich aber eine klarere Kommunikat­ion durch die schwarz-grüne Stadtregie­rung.

Aus den Reihen der Csu-fraktion ist ebenfalls Unzufriede­nheit mit dem Gesundheit­sreferent zu hören – aus der Deckung wagt sich aber niemand. Zuletzt sei Ordnungs- und Personalre­ferent Frank Pintsch (CSU) immer mehr in die Rolle des Corona-referenten gerutscht, sagt ein Stadtrat. Er habe für Erben mehrfach die Kohlen aus dem Feuer geholt. Das dürfe kein Dauerzusta­nd werden, zumal die CSU den Grünen inhaltlich stark entgegenge­kommen sei in den vergangene­n Monaten. Eva Weber indes stärkt dem grünen Gesundheit­sreferente­n den Rücken: „Die Pandemie fordert die gesamte Stadtregie­rung heraus. Auch in anderen Kommunen läuft nicht alles rund, man hat dort dieselben Probleme.“Deshalb einen Referenten in den Mittelpunk­t der Kritik zu stellen, hält sie für falsch. Die Entscheidu­ngen treffe stets die gesamte Stadtregie­rung.

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Foto: Klaus Rainer Krieger Augsburg ist im Corona‰krisenmodu­s – derzeit gibt es hier die höchsten Corona‰zahlen bundesweit. Zuletzt gab es ein Hin und Her, wo die Maskenpfli­cht überall gelten soll.
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OB Eva Weber
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Reiner Erben

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