Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Augsburg im Corona-fokus
Augsburg ist Corona-spitzenreiter und die Stadtregierung in Erklärungsnöten. Nur: Sie hat keine Antworten und auch Fehler gemacht. Die Schuld nur bei der Politik zu suchen, wäre dennoch falsch
Über allem steht die Frage nach dem Warum. Wie konnte sich Augsburg zu dem deutschen Corona-hotspot entwickeln, wo es die erste Welle nahezu unbeschadet überstand? Die Bürger erwarten eine Antwort, doch weder die Mediziner der Uniklinik noch Oberbürgermeisterin Eva Weber (CSU) können sie geben. Alle Erklärungsversuche sind nur Vermutungen und das ist in ganz Deutschland nicht anders. Dennoch gerät das Krisenmanagement der Augsburger Stadtregierung mehr und mehr in die Kritik.
Das könnte an der Präsenz der Führungsspitze liegen. Wer sich ans Frühjahr erinnert und an die erste Welle (die im Rückblick ja eher ein Kräuseln der Oberfläche war), hat vielleicht noch die regelmäßigen Livestreams im Kopf. Per Video wurden Bürger zugeschaltet, wenn OB Kurt Gribl (CSU) neue Entwicklungen bekannt gab. Ein Novum in der Kommunikationsstrategie der Stadt, die sich vorher weitgehend darauf beschränkt hatte, Pressekonferenzen zu geben und auf die Funktion von Multiplikatoren zu setzen. Diese neue Form des Austausches und ihre Häufigkeit maß dem Thema Corona erst seine Brisanz zu – obwohl da noch kaum jemand den Begriff der Sieben-tage-inzidenz kannte.
Jetzt, da die Zahl der Coronaneuinfektionen in Augsburg auf einem Höchststand ist, ist von dieser Schlagzahl nichts mehr zu spüren. Bis auf eine Pressekonferenz vorletzten Donnerstag gab es so gut wie keine offiziellen Live-übertragungen aus Reihen der Regierung, allenfalls kurze persönliche Videobotschaften von OB Weber über Social Media. Für viele liegt da ein Rückschluss nahe: „Die Oberbürgermeisterin macht sich rar“. Dass hinter den Kulissen Nächte zum Tag werden und Weber ebenso wie die Referenten rund um die Uhr in Krisenstäben tagen, nimmt „draußen“ja kaum einer wahr. Die Bürger wünschen sich eine Oberbürgermeisterin, die in der Krise offensiv auftritt und so zeigt, dass sie das Heft in der Hand hält.
Es wurden ja auch Entscheidungen getroffen. Die einer Maskenpflicht erst in der Innenstadt und dann in großen Teilen Augsburgs. Die über eine Absage des Christkindlesmarkts, der Grindtec und anderer Events. Immer aber ging diesen Beschlüssen ein Zaudern voran, ein Ja, Vielleicht, Unter Umständen – meist so lange, bis die Entscheidung in München oder Berlin gefallen war und Augsburg nur noch mitziehen musste.
Die Augsburger Stadtregierung will ihren Bürgern so viel Normalität wie möglich schenken – deshalb gab es einen Plärrer light und eine abgespeckte Dult –, aber die Politiker bieten offene Flanken. Während Berchtesgaden bereits bei einer Sieben-tage-inzidenz von 250 den zweiten Lockdown verhängte – inklusive einer Schließung von Schulen und Kitas – beschränkte man sich hier noch auf Warnungen. Erst als ganz Deutschland herunterfuhr, schloss man sich in Augsburg an. Dass die Einschränzeichen kungen wegen der hohen Infektionszahlen drei (!) Tage vorher in Kraft traten als im Rest der Republik, wirkte eher bemüht als entschlossen.
Die größte Angriffsfläche aber bietet das Gesundheitsmanagement im Referat von Reiner Erben (Grüne). Ausgerechnet in der Hochphase der Pandemie wird dort eine neue Software eingeführt, was am Donnerstag dazu führte, dass die Sieben-tage-inzidenz von über 350 auf 319 sank. Wer sich schon über eine mögliche Entspannung gefreut hatte, musste bis zum Schluss der Mitteilung lesen, um mehr zu erfahren: Der Rückgang sei, so Erben, „leider noch kein dafür, dass die Neuinfektionen in Augsburg auch tatsächlich zurückgehen“. Man habe aufgrund der Edv-umstellung nur nicht alle erfassen können. Die Frage, warum angeblich alle neuen Fälle bekannt sind, sie aber nicht zusammengezählt werden können, um den korrekten Inzidenzwert zu errechnen, blieb Erben den Bürgern schuldig. Dabei bräuchten wir alle gerade verlässliche Fakten.
Doch wer die „Schuld“nur bei der Stadtregierung sucht, macht es sich zu einfach. Wenn Augsburger bei Händlern anrufen, um sich zu erkundigen, ob denn die Geschäfte geöffnet haben, wenn Mütter erst nach drei Tagen bemerken, dass in den Schulen ihrer Kinder Maskenpflicht gilt, wenn hier noch immer Familienfeiern mit über 150 Leuten stattfinden, dann scheint auch im Krisenmanagement der Gesellschaft vieles schief zu laufen. Das trifft nicht auf die Mehrheit der Bürger zu, offenbar aber doch auf einen beträchtlichen Teil. Viele Informationen, die Stadt, Land und Bund ausgeben, kommen im Alltag einiger nicht mehr an. Vielleicht, weil in ihren sozialen Netzwerken nicht der „richtige“Algorithmus hinterlegt ist. Vielleicht, weil sie nicht so gut Deutsch sprechen, um sich informieren zu können. Vielleicht
aber auch, weil viele nur noch in ihrer eigenen Blase leben und alles andere ignorieren. Wer sich nicht informieren möchte, darf die Schuld daran aber nicht bei anderen suchen.
Wie man die Information an die Menschen bringt, ist das eine Problem dieser Krise, wie Entscheidungen angenommen werden, das andere. Oberbürgermeisterin Weber muss sich derzeit viele Vorwürfe anhören. Sie müsste es auch, hätte sie jede ihrer Entscheidungen diametral anders getroffen. Denn das ist eine Erkenntnis aus der Krise: Egal, wie man es macht – für irgendjemanden ist es immer falsch.
Wo die größte Angriffsfläche bei der Stadt liegt