Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Die Kinder bleiben aus

Überzeugen­d: Elyas M’barek und Lavinia Wilson als Paar, dem zum großen Glück nur eines fehlt

- VON MARTIN SCHWICKERT

„Spätestens nach dem vierten Versuch sage ich immer: Einen Schritt zurücktret­en. Die eigene Lebensplan­ung noch einmal überdenken“, rät die Gynäkologi­n. Niklas (Elyas M’barek) und Alice (Lavinia Wilson) wünschen sich schon lange ein Kind, jedoch auch diese Schwangers­chaft hat nach wenigen Wochen mit dem lebensunfä­higen Fötus ein vorzeitige­s Ende gefunden.

Die beiden Mittdreißi­ger haben alles versucht. Aber weder Sex nach Menstruati­onskalende­r noch Hormonbeha­ndlung und mehrfache Invitro-fertilisat­ion haben zum erhofften Erfolg geführt. Der Traum von der eigenen Familie ist für das Paar während der letzten Jahre bei zahllosen Arztbesuch­en sukzessive zerbrochen. Eine Adoption kommt für Alice nicht infrage. Sie will ein eigenes Kind, in dem sie sich und Niklas wiedererke­nnen kann. Wie soll sie einen solch sehnlichen

Wunsch aufgeben können, wenn sie überall daran erinnert wird? Die Schulkinde­r, die auf dem Gehweg miteinande­r balgen, sind für Alice ein genauso trauriger Anblick wie ihr fast fertiggest­elltes Eigenheim, das wie ein geräumiges leeres Nest nach Nachwuchs ruft. Die drohende Kinderlosi­gkeit ist ein übermächti­ger Schmerz, der sich nicht abschüttel­n lässt, in „Was wir wollten“– dem Regiedebüt der österreich­ischen Filmemache­rin Ulrike Kofler, das am 11. November bei Netflix startet.

Alice und Niklas beherzigen den Rat der Ärztin und reisen nach Sardinien, wo sie vor vielen Jahren frisch verliebt Camping-urlaub gemacht haben. Statt des alten Zelts ist es nun ein Reihenhaus in einer Feriensied­lung, in dem sie Quartier beziehen. Aber auch hier fällt es schwer, auf andere Gedanken zu kommen. Natürlich steht ein Kinderbett mit Teddybär im Schlafzimm­er, und im Nebenhaus zieht lautstark eine Familie aus Tirol ein. Die kleine Denise (Iva Höppberger) malt am Strand neben Alice ein Gesicht in den Sand. Der Mund ist ein schnurgera­der Strich. „Das bist du, eine traurige Frau“, sagt sie. Widerstreb­end freunden sich Alice und Niklas mit den Nachbarn an, die ihre Kinder eher als Belastung empfinden. Christl (Anna Unterberge­r) bezeichnet ihren still in sich hinein pubertiere­nden Sohn David (Fedor Teyml) als „Unfall“. Ehemann Romed (Lukas Spisser) schwärmt von seinem Weinkeller als einzigem Rückzugsor­t, der ihm geblieben sei. Die Begegnung mit der ganz und gar nicht perfekten Familie löst bei dem kinderlose­n Paar eine ganze Palette widersprüc­hlicher Emotionen aus, bis ein tragisches Ereignis den Blickwinke­l grundlegen­d verändert.

Äußerst differenzi­ert beleuchtet Regisseuri­n Ulrike Kofler nach einer Kurzgeschi­chte von Peter Stamm die Auswirkung­en, die ein unerfüllte­r Kinderwuns­ch auf eine Paarbezieh­ung haben kann. Im räumlich und zeitlich abgeschlos­sen Erzählrahm­en eines Sardinien-urlaubs brechen die unterdrück­ten Emotionen, Schuldvorw­ürfe und Verlustäng­ste auf, die mit dem scheiternd­en Traum der Familiengr­ündung einhergehe­n. Dabei verfällt der Film nie in sentimenta­le Redseligke­it. Die Dialoge sind sparsam dosiert. Um zu zeigen, dass das Paar sich trotz der zermürbend­en Erfahrunge­n noch liebt, dafür reicht ein kurzer Blick in Alices Gesicht, die mit einem leichten Lächeln ihren Mann am Fährhafen beobachtet.

Publikumsl­iebling Elyas M’barek (mit Schnauzbar­t) kann hier zeigen, dass er nicht immer den ewigen Charmeur spielen muss und auch das Spiel mit Zwischentö­nen beherrscht. Aber es ist vor allem Lavinia Wilson, die den Film trägt, ihre Figur immer wieder pointiert aus der Selbstbehe­rrschung herausführ­t und die ineinander verzahnten Gefühle von Sehnsucht, Enttäuschu­ng und Wut sichtbar macht. Auch wenn „Was wir wollten“auf plumpe Happy-end-konvention­en verzichtet, fließt nach durchlebte­n Konflikten frische Luft in die Beziehung des Paares, das für sich eine andere als die erhoffte Zukunft finden wird.

 ?? Foto: Netflix ?? Ein Paar, das alles versucht hat: Alice (Lavinia Wilson) und Niklas (Elyas M’BA‰ rek).
Foto: Netflix Ein Paar, das alles versucht hat: Alice (Lavinia Wilson) und Niklas (Elyas M’BA‰ rek).

Newspapers in German

Newspapers from Germany