Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Bierhoff beklagt die „dunkle Wolke“

Der Dfb-direktor kritisiert den Umgang mit der Nationalma­nnschaft. Er erläutert zudem, wo aus seiner Sicht das Problem bei einer Rückkehr von Thomas Müller läge

- VON FLORIAN EISELE

Leipzig Es sollte fast 20 Minuten dauern, ehe einer der Journalist­en eine Frage an Dfb-direktor Oliver Bierhoff stellen konnte. Die erste Phase der Pressekonf­erenz vor dem Freundscha­ftsspiel gegen Tschechien (Mittwoch, 20.45 Uhr, RTL) bestritt der 52-Jährige alleine – und arbeitete sich dabei weitestgeh­end an einem Thema ab: der negativen Stimmung, mit der die Auftritte der Nationalma­nnschaft seit der missratene­n WM 2018 begleitet werden.

Leitmotiv des Dfb-direktors war dabei die mehrfach wiederholt­e „dunkle Wolke“, die über der deutschen Auswahl seither zu schweben scheint. „Dass wir Sympathien verspielt haben und nicht mehr Deutschlan­ds liebstes Kind sind – das ist Fakt. Aber es tut mir weh, wenn ich sehe, wie gerade mit den jungen Spielern umgegangen wird und immer eine dunkle Wolke über die Nationalma­nnschaft geschoben wird.“Dass die Ergebnisse zuletzt nicht befriedige­nd waren, sei eine Sichtweise, die man beim DFB zwar auch durchaus teile. „Die Mannschaft braucht eben Erfolgserl­ebnisse und Sicherheit.“Der emotionale Appell Bierhoffs an Journalist­en und Zuschauer: „Gebt den Jungs Vertrauen. Ich bin überzeugt, dass sie das zurückzahl­en.“

Für das Zurückzahl­en von Vertrauen gibt es im Fußball bekanntlic­h nur eine einzige wirklich harte Währung: Siege, am besten überzeugen­de. Diese wurden aber zuletzt seltener: Im Corona-jahr 2020 sammelte die Dfb-auswahl in bislang fünf Spielen nur einen Erfolg, der Rest endete unentschie­den – viel zu wenig selbst für eine runderneue­rte und junge deutsche Elf. Die Anspannung und den Frust merke man den Profis in der Kabine an, so Bierhoff: „Aber sie stellen sich und gehen nicht den bequemen Weg.“

Dass der Faktor Erfahrung dabei eine wichtige Rolle spielt – Bierhoff sieht das auch so: Bei der jüngsten Länderspie­l-reise hätten gerade mal vier Auswahlspi­eler mehr als 50 Länderspie­le gehabt. „Das merkt man natürlich.“Etwa dann, wenn wie beim 3:3 gegen die Türkei mehrfach ein Vorsprung verspielt wird oder das 2:1 gegen die Ukraine deutlich knapper ausfällt als nötig.

Das wiederum führt unweigerli­ch zur derzeit am häufigsten gestellten Frage an die Dfb-führungsri­ege: Warum spielen die zuletzt bärenstark Auftrumpfe­nden Mats Hummels, Jérôme Boateng und vor allem Thomas Müller keine Rolle mehr in der Nationalma­nnschaft? Das Trio würde einerseits die sportliche Klasse, zudem auch geballte Erfahrung (Boateng hat 76 Länderspie­le, Hummels 70, Müller derer sogar 100) mitbringen.

Gegenüber dem Kicker betonte Bundestrai­ner Jogi Löw aber erneut, dass eine Rückkehr des Trios trotz der derzeitige­n Absagenflu­t nicht zur Diskussion stehe: „Wir haben uns grundsätzl­ich dazu entschiede­n, diese Spieler nicht zu nominieren, daran hat sich jetzt nichts geändert.“Bierhoff erläuterte auf Rückfrage, woran aus seiner Sicht das Problem mit einem Comeback des Trios liegt: „Was bedeutet das für die Gruppenkon­stellation? Wenn du Thomas Müller wieder holst, musst du einen gewissen Umgang mit ihm voraussetz­en.“Andere Spieler, die bis dato mehr Luft hätten, müssten dann zurückstec­ken – die Entwicklun­g von neuen Hierarchie­n sei aber eines der erklärten

Ziele beim Neuaufbau nach der WM 2018 gewesen.

Bierhoff zog Parallelen zu seiner eigenen Nationalma­nnschaftsk­arriere, als Trainer Berti Vogts kurz vor der WM 1998 Lothar Matthäus wieder in die Auswahl beorderte. „Lothar war ein Top-spieler, aber das hat etwas mit der Mannschaft gemacht.“Der Erfolg mutete damals bescheiden an: Im Viertelfin­ale war nach einem 0:3 gegen Kroatien Schluss. Fazit von Bierhoff zu Hummels-boateng-müller: „Zurzeit besteht kein Handlungsb­edarf.“

Eben diesen gibt es aber bei der Frage, wer den verletzten Joshua Kimmich ersetzen soll. Die Verletzung des Mittelfeld-leaders war auch für die Dfb-auswahl ein Schock. Umso erleichter­ter sei man gewesen, als die schlimmste­n Befürchtun­gen sich nicht bewahrheit­eten. Der 25-Jährige wurde am Sonntag am Außenmenis­kus des rechten Knies operiert und fällt bis Januar aus. „Jo geht’s gut, er ist voll guter Dinge und brennt schon wieder“, sagte Bierhoff nach einem Telefonat mit dem Bayern-spieler. Zumindest in dieser Angelegenh­eit sind die Wolken maximal dunkelgrau.

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Foto: Marius Becker, dpa „Dass wir Sympathien verspielt haben und nicht mehr Deutschlan­ds liebstes Kind sind – das ist Fakt“, sagt Dfb‰direktor Oliver Bierhoff.

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