Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Corona drückt den Menschen aufs Gemüt
Viele Seelsorger spüren eine zunehmende Verzweiflung in der Bevölkerung. Nähe wäre jetzt wichtig, doch erlaubt ist sie nicht. Wie die Kirchen versuchen, den Hilfesuchenden beizustehen, und welche Erinnerungen die Situation vor allem bei Älteren weckt
Wenn Helmut Haug, Pfarrer der Moritzkirche, in diesen Tagen durch die Innenstadt geht, fällt ihm auf, dass es ruhiger geworden ist. „Ja, ist denn heute Sonntag?“fragt er sich manchmal am Werktag. Nicht nur am heruntergefahrenen Leben der Stadt nimmt der Pfarrer wahr, dass dieser November unter den erneuten Kontaktbeschränkungen den Menschen aufs Gemüt drückt. „Die Stimmung ist wesentlich deprimierter als im Frühjahr.“Habe man damals, als die Tage heller wurden, noch hoffnungsvoller einem Ende der Corona-zeit entgegengesehen, „gehen wir nun ins Dunkle, ins Gegenteil hinein“. Die Menschen fragten sich: „Wann hört das nur auf?“Wie die Menschen, denen all dies auf der Seele lastet, in diesen Monaten begleiten? Wie sieht „Seelsorge“in Corona-zeiten aus?
Es geschieht vieles im Verborgenen, im Einzelgespräch, dort, wo der Mensch sich von der Seele reden kann, was ihn bedrückt. Dort, wo einer ihm Zeit schenkt, ihm zuhört, ihn ernst nimmt. „Unsere große Stärke als Seelsorger ist, dass wir viele Kontakte haben“, sagt Helmut Haug, der das auch aus Gesprächen mit seinen evangelischen Kollegen weiß. „Wir telefonieren gerade wieder sehr viel.“
Seit einigen Tagen ist auch das „Offene Ohr“, die Gesprächsseelsorge, jetzt im Moritzpunkt, wieder geöffnet. Hier stehen dreimal in der Woche Seelsorger für ein persönliches Gespräch zur Verfügung. „Da kann man einfach reingehen“, sagt
Pfarrer Haug, „da kann man sich aussprechen.“Auch tiefere Gespräche können sich da entwickeln.
Was brauchen Menschen für ihre Seele? Heimat und Geborgenheit, Trost und Aufgehobensein, nennt Pfarrer Haug. Ja, und auch „das Gefühl, im Gemeinsamen aufgehen zu können“. Deshalb sieht er es als „ein großes Geschenk“an, dass die Gottesdienste stattfinden können – mit ihren ergreifenden Ritualen, aber auch „einem guten, aufbauenden Wort“. Haug sieht sich da als Prediger in einer großen Verantwortung. Kirche dürfe sich in diesen Zeiten nicht zurückziehen, sie müsse mit ihrer „guten, aufbauenden Botschaft“in der Gesellschaft präsent sein. In diesem Sinne möchte Pfarrer Haug auch „in die Gesellschaft hineinrufen“: „Wir müssen auch die psychische und seelische Gesundheit der Menschen im Blick behalten!“
Das ist auch bei der Caritas Augsburg selbstverständlich. „Alle sind ansprechbar, wir halten die Beratung in allen Bereichen aufrecht“, so Caritas-pressesprecher Bernhard Gattner. Pfarrer Heinrich Weiß beispielsweise wirkt als Seelsorger beim Stadt-caritasverband. „Nähe ist das A und O in unserer Kirche“, sagt er. Menschen brauchen es, „dass einer sie im Blick hat, dass sie einen haben, mit dem sie über alles reden können“.
Die evangelische Pfarrerin Gabriele Fuhrmann ist Seelsorgerin in sechs Altenheimen des Diakonischen Werks. Zurzeit kann sie nur in einem Heim tätig sein, im Hofgarten-carrée. Dort hat sie – mit
Mund- und Nasenschutz – Zugang zu den Bewohnern und ein „ganz, ganz offenes Ohr, damit sie sich mitteilen können“. Manche Bewohner gehen in Gedanken zurück in ihre Vergangenheit, wie das denn gewesen sei im Krieg, was sie hat aushalten und hoffen lassen. Da sei es gut, ihnen Nähe zu vermitteln, ihnen zuzuhören, für sie Zeit zu haben, so Fuhrmann. Möglich ist es auch, mit den Bewohnern im kleineren Kreis Andachten zu feiern. „Da ist ein großes Bedürfnis da“, sagt sie. Wichtig ist ihr, dass sich die Bewohner „nicht über Gebühr ängstigen“. Diese Grundzuversicht wird auch spürbar, wenn sich Gabriele Fuhrmann von jemandem verabschiedet: „Bleiben Sie wohlgemut“, sagt sie, denn: „Eine starke Seele vermag so manches.“