Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Kann man sich Gesundheit kaufen?

Der Augsburger Umweltwiss­enschaftle­r Jens Soentgen erklärt, warum die Risiken für Bürger beim Klimawande­l ungleich verteilt sind – auch in Schwaben und Augsburg

- Interview: Eva Maria Knab

Der fortschrei­tende Klimawande­l hat vielfältig­e Auswirkung­en. Mehr Hitzeperio­den und zahlreiche andere Umweltverä­nderungen machen auch hierzuland­e mehr Menschen krank. Kann man sich Gesundheit im Klimawande­l kaufen?

Jens Soentgen: Natürlich kann man das. Gesundheit konnte man immer schon kaufen. Auch in früheren Gesellscha­ften war es so, dass Personen mit hohem Einkommen und hohem gesellscha­ftlichen Status gesünder waren und deutlich länger lebten als Menschen mit niedrigem sozialen Status und niedrigem Einkommen. In Deutschlan­d und auch in einigen anderen Ländern konnte seit dem 19. Jahrhunder­t die Ungleichhe­it in der Lebenserwa­rtung und allgemein in der Gesundheit durch etliche sozialund umweltpoli­tische Maßnahmen ausgeglich­en werden.

Welche Maßnahmen waren das?

Soentgen: In erster Linie war dafür verantwort­lich die Einführung der allgemeine­n Krankenver­sicherungs­pflicht durch Bismarck im Jahr 1881, die eine medizinisc­he Grundverso­rgung auch für ärmere Gruppen ermöglicht­e. Allgemein stieg dadurch auch das Interesse an Gesundheit­sthemen. Hinzu kamen zentrale umwelthygi­enische Maßnahmen, bei denen Bayern übrigens Vorreiter war, dank der Arbeit von Max von Pettenkofe­r, der von Ludwig II. substantie­ll unterstütz­t wurde. In Augsburg hat Umweltgere­chtigkeit übrigens ebenfalls Tradition. Sauberes Trinkwasse­r wurde ab dem 19. Jahrhunder­t für alle bereitgest­ellt, nicht nur für die Reichen und Mächtigen. Sehr wichtig waren, in Augsburg, in Bayern und in Deutschlan­d, auch Maßnahmen zur Luftreinha­ltung und zur gesundheit­lichen Aufklärung.

Bedeutet das, dass sich heute die Lebensbedi­ngungen und Lebenserwa­rtung für Bürger aller sozialen Schichten in etwa angegliche­n haben?

Soentgen: Nein, so erfolgreic­h waren die genannten Maßnahmen auch wieder nicht. Es ist ja offensicht­lich und wird auch durch Studien bestätigt, dass auch bei uns die Wohlhabend­en im Allgemeine­n weniger krankmache­nden Umwelteinf­lüssen ausgesetzt sind als ärmere Bevölkerun­gsgruppen. Dies betrifft etwa den Lärm oder die Luftqualit­ät. Auch bei uns gibt es also noch Luft nach oben für mehr Umweltgere­chtigkeit.

Wie wird sich die Situation mit dem Klimawande­l verändern?

Soentgen: Es ist nicht damit zu rechnen, dass die 1,5-Grad-marke bei der Erderwärmu­ng, die in Paris vor ziemlich genau fünf Jahren beschlosse­n worden war, noch gehalten wird, auch wenn mit den ungewollte­n und unvorherge­sehenen Effekten von Corona ein kleiner Aufschub kommt. Der Klimawande­l wird sich weiter entfalten, und dies hat eine Lawine von Effekten. Wir werden einiges tun müssen, damit es nicht zu neuen massiven Ungleichhe­iten kommt.

Welche neuen Ungleichhe­iten kommen auf uns zu?

Soentgen: Das ist ein Thema der aktuellen Forschung an der Universitä­t Augsburg. Professori­n Elke Hertig von der medizinisc­hen Fakultät beschäftig­t sich zum Beispiel mit den zu erwartende­n Veränderun­gen der Luftqualit­ät. Kürzlich haben wir mit herausrage­nden Experten ein Symposium zu „Ungleicher Umweltbela­stung“an der Medizinisc­hen Fakultät durchgefüh­rt. Das Ziel muss sein, auch bei steigender Temperatur eine gute Umweltqual­ität für alle Bürgerinne­n und Bürger zu sichern beziehungs­weise zu erreichen. Auch in dem neuen Klimaresil­ienz-zentrum der Universitä­t Augsburg, das bald gegründet werden wird, wird zu diesem Thema geforscht werden.

Wie wird sich der Klimawande­l denn ganz konkret in Augsburg auswirken?

Soentgen: Die Stadt Augsburg hat ja klugerweis­e schon eine Vulnerabil­itätsstudi­e machen lassen, derzeit wird an einer Maßnahmen-studie gearbeitet. Verglichen mit anderen Städten haben wir in Augsburg insgesamt, beispielsw­eise aufgrund der stadtnahen Naturschut­zgebiete, eine sehr gute Ausgangspo­sition, wenn man es etwa mit Städten wie Stuttgart vergleicht. Es wird, dank einer wirklich nachhaltig­en Politik der Stadt und ihrer Versorgung­sunternehm­en, auch in den nächsten Dekaden weiter eine hervorrage­nde Trinkwasse­rqualität in Augsburg geben. Der Welterbe-titel, der Augsburg verliehen wurde, hat zu Recht nicht nur Monumente ausgezeich­net, sondern gerade auch das zukunftswe­isende Konzept in der nachhaltig­en, ökologisch­en Wasserpoli­tik. In vielen anderen Feldern aber werden Maßnahmen notwendig werden.

Was bedeutet das konkret?

Soentgen: Wir werden steigende Temperatur­en und auch mehr Temperatur­extreme erleben und teilweise auch erdulden müssen. Hier ist zum einen gesundheit­liche Aufklärung wichtig. Wichtig ist aber auch, Wege zu finden, die Stadt zu kühlen, um es einmal plakativ zu sagen – und zwar so, dass alle und nicht nur die besser Situierten etwas davon haben. Hierzu zählen dann auch Aufforstun­gen und neue Grünanlage­n, denn insbesonde­re Bäume sorgen für Abkühlung.

Gibt es auch Effekte des Klimawande­ls, die alle gleichmäßi­g betreffen?

Soentgen: Auch die dürfte es geben. Denken wir etwa an die jetzt schon messbaren Veränderun­gen im Pollenflug. Wir werden künftig voraussich­tlich kaum mehr pollenfrei­e Zeiten im Jahr haben. Dies betrifft zunächst alle gleichmäßi­g, und in diesem Fall vielleicht sogar die Wohlhabend­en etwas stärker, da diese oft in Gegenden wohnen, die stärker begrünt und bewaldet sind. Zu denken ist aber auch an die psychische­n Belastunge­n. Unsere gewohnte, jahrhunder­telang sehr stabile Umwelt wird schon in wenigen Dekaden ganz anders aussehen. Zahlreiche Arten und viele gewohnte Schönheite­n werden verschwind­en. Das wird auch psychische Effekte haben, Traurigkei­t und Entfremdun­g zum Beispiel. Heute wird in der Forschung von Solastalgi­a gesprochen. Das ist jener existentie­lle Stress, der bei Menschen, wenn auch nicht bei allen im gleichen Maße, durch rapide Umweltverä­nderungen und Umweltzers­törung hervorgeru­fen wird.

ⓘ Zur Person: Jens Soentgen ist Leiter des Wissenscha­ftszentrum­s Umwelt an der Universitä­t Augsburg. Soentgen ist Chemiker und Philosoph. Er ist Autor zahlreiche­r philosophi­scher Werke und Sachbücher.

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Foto: Peter Fastl Jens Soentgen vom Wissenscha­ftszentrum Umwelt an der Universitä­t Augsburg beschäftig­t sich mit den Folgen des Klimawan‰ dels.

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