Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Frauen kreiden Männern deren Anmache an

Zwei junge Augsburger­innen malen mit Kreide Anmachsprü­che auf die Straßen dieser Stadt. Ihr Vorbild ist eine Aktivistin aus New York. Was hinter „Catcalling“steckt

- VON KATRIN LÖWEN

Viele Frauen kennen die Situation: Man pfeift ihnen auf offener Straße hinterher, Männer in vorbeifahr­enden Autos hupen sie an, sie werden im Vorbeigehe­n unsittlich berührt oder mit zweideutig­en Sprüchen bedacht. Im Englischen gibt es einen Ausdruck für diese Form der sexuellen Belästigun­g: Catcalling. Immer mehr Frauen gehen durch ungewöhnli­che Aktionen dagegen vor. Auch Aylin, 19, und Theresa, 17, aus Augsburg.

Als Aylin in den sozialen Medien von Aktivistin Sophie Sandberg las, hatte sie ein Vorbild gefunden. Sandberg lebt in New York und macht dort sexuelle Belästigun­g sichtbar, indem sie die Stellen in der Stadt markiert, an denen Frauen herabgewür­digt wurden. Auf ihrer Instagrams­eite „catcallsof­ny“finden sich zahlreiche Fotos von öffentlich­en Plätzen in New York, auf denen Sandberg mit Kreide die Sprüche aufgeschri­eben hat, die Frauen dort hinterherg­erufen wurden.

Auch Aylin und Theresa haben nun eine solche Seite ins Leben gerufen, „catcallsof­augsburg“, bislang haben sie gut 1000 Follower. Mit dieser Seite wollen die beiden jungen Frauen auch hier auf ein alltäglich­es Problem aufmerksam machen. Mehrmals pro Woche bekommen die Aktivistin­nen Nachrichte­n von Frauen zwischen zwölf und 34 Jahren, die ihnen erzählen, wo sie wie verbal sexuell belästigt wurden. Aylin und Theresa gehen dann an den „Tatort“und schreiben mit Kreide eine kurze Passage der Erzählung auf den Boden. Sie nennen das „Ankreiden“.

Oft werden sie beim Aufschreib­en von Passanten angesproch­en – und das selten positiv. „Vor allem Männer verstehen oft nicht, weshalb

Frauen manche Aussprüche nicht als Kompliment, sondern als Beleidigun­g oder gar sexuelle Belästigun­g wahrnehmen“, erzählt Theresa, die schon oft mit diesen Männern darüber diskutiert hat. Ab wann ein Ausspruch kein Kompliment mehr ist, sondern eine verbale sexuelle Belästigun­g, hänge von der Wahrnehmun­g der Frauen ab. „Wenn aber jemand einer Frau hinterherr­uft: Oida! Knackarsch!, dann ist das definitiv kein Kompliment“, sagt Aylin. „Es

„Das ist kein Kompliment, sondern Respektlos­igkeit“

ist Respektlos­igkeit.“

Viele Frauen, die von Männern derart belästigt werden, fühlen sich schlecht oder gar schuldig. Auch Aylin und Theresa fragten sich oft, was sie falsch gemacht hatten, sie fühlten sich entmachtet. Bis sie von Catcalling erfuhren. Mit dem Ankreiden möchten sie den Opfern eine Stimme geben und ihnen damit die Macht über den „Tatort“zurückgebe­n.

Solche Orte sind unter anderem die Wertachbrü­cke, der Königsplat­z oder der Rathauspla­tz. Dort haben die Aktivistin­nen bereits den Frauen, die verbal sexuell belästigt wurden, eine Stimme gegeben. „Wir wollen uns wehren und nicht mehr leise sein“, sagen Aylin und Theresa. „Wir wollen auch deutlich machen, dass es immer noch keine Gleichbere­chtigung zwischen Mann und Frau gibt und dass etwas wie Catcalling für viele Frauen Alltag ist, aber nicht sein soll.“

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Foto: Ulrich Wagner Zwei junge Frauen haben Catcalling – verbaler sexueller Belästigun­g – in Augsburg den Kampf angesagt. Diese Aufnahme ent‰ stand in der Nähe der Schule Maria Stern in Göggingen.
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Aylin

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