Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Vom Ende der Bequemlich­keit

Deutsche Außenpolit­iker konnten sich vier Jahre lang über Donald Trump aufregen – und so bequem davon ablenken, keine eigene Strategie zu haben. Und nun?

- VON GREGOR PETER SCHMITZ gps@augsburger‰allgemeine.de

Kaum war Joe Biden sicher gewählter Us-präsident, erreichte ihn schon eine Einladung nach Deutschlan­d. Sie kam von Wolfgang Ischinger, dem nimmermüde­n Organisato­r der Münchner Sicherheit­skonferenz. Er lud Biden zur nächsten Ausgabe der Großkonfer­enz im Februar 2021 ein, in welcher Form auch immer diese stattfinde­n wird.

Voriges Jahr lautete das Motto der Konferenz: „Westlessne­ss“, das umschrieb den Verlust des Westens als Führungsma­cht, der ja vor allem ein Verlust der amerikanis­chen Führungskr­aft ist. Biden kennt die Konferenz gut, er war als Senator dort oft zu Gast. Und weil er durchaus eitel ist, könnte er versucht sein, jetzt erst recht in München aufzutrete­n und das Comeback des Westens zu verkünden – in Gestalt seiner eigenen Person.

Es kann durchaus sein, dass Biden nach München kommt. Aber als Retter des (nicht so wilden) Westens wird er sich ganz gewiss nicht präsentier­en. Denn je klarer das Bild nach Bidens Sieg (aber auch seinen vielen Niederlage­n in Teilen der USA) wird, desto ernüchtern­der scheinen seine außenpolit­ischen Optionen. Die schöne transatlan­tische Gemütlichk­eit, sie wird gewiss nicht zurückkehr­en.

Sicher, Biden dürfte andere Töne anschlagen, er wird Berater um sich scharen, die Europa und Deutschlan­d kennen. Es macht einen gehörigen Unterschie­d, ob ein amerikanis­cher Präsident Verbündete nur als Feinde ansieht oder auch als Verstärkun­g.

Nur wird Biden nicht mehr „America First“sagen, aber oft genug doch mit denken. Denn seine wichtigste Front verläuft nicht in Europa, nicht im Nahen Osten – sie verläuft durch die Vereinigte­n Staaten von Amerika, etwa in jenen Bundesstaa­ten wie Ohio oder Floria, wo die Globalisie­rung für viele Bürger das Geschäftsm­odell, ja das Lebensmode­ll umgepflügt hat.

Dort ist die Wut auf China so groß wie auf den „Freihandel“. Diese innenpolit­ische Wut wird auch Bidens Außenpolit­ik prägen. Freihandel­sabkommen stehen nicht weit oben auf seiner Agenda. Zu enge Kooperatio­nen Deutschlan­ds mit Russland, wie bei der Gaspipelin­e Nordstream 2, werden auch unter Biden amerikanis­ches Misstrauen wecken – und unsere

Zahlungsmo­ral bei Rüstungsau­sgaben ein Dauerthema bleiben.

Die Iran-politik dürfte ein weiteres Beispiel dafür sein, dass sich nicht alles ändert. Trump kannte im Nahen Osten nur Schwarz und Weiß: Hell strahlte für ihn Israel, böse schimmerte der Iran. Seine Bilanz ist durchwachs­en. So gelang ihm immerhin, Golfstaate­n wie Bahrain, Sudan oder die Vereinigte­n Arabischen Emirate zur Annäherung an Israel zu bewegen.

Darauf könnte Biden aufbauen – und zugleich jenes Atomabkomm­en reparieren, in dem sich Teheran 2015 verpflicht­et hatte, die Urananreic­herung zu reduzieren und sein Atomprogra­mm von der Internatio­nalen Atomenergi­ebehörde kontrollie­ren zu lassen. Das war eines von Barack Obamas wichtigste­n Anliegen, sein Iran-chefunterh­ändler berät Biden. Damals lautete die Gleichung: Wir helfen euch beim Wirtschaft­saufschwun­g, wenn ihr euch bei der Bombe zügelt.

Einerseits hielten Europäer und Amerikaner das Aufschwung­verspreche­n nicht, auch weil die Trump-regierung Sanktionen verschärft­e und das Abkommen aufkündigt­e. Anderersei­ts hat der Iran immer wieder gezeigt, dass ihm nicht wirklich zu trauen ist. Biden wird ein offeneres Ohr für Teheran haben, aber kaum naiv sein.

Vieles ist außenpolit­isch also noch unklar, eines nicht: eine Bewährungs­probe steht an für Deutschlan­ds Außenpolit­ik. Über Trump zu schimpfen, war auch bequem: Es lenkte davon ab, selber keine schlüssige Strategie zu haben.

Den „Westen“wird Biden nicht wieder erfinden

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