Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Volle Kliniken, leere Innenstädte
Seit zwei Wochen gelten die strengeren Maßnahmen. An diesem Montag ziehen die Ministerpräsidenten Zwischenbilanz. Wo und ob der Lockdown schon Wirkung zeigt
Augsburg Vor zwei Wochen wurde das gesellschaftliche Leben in Deutschland zum zweiten Mal in diesem Jahr weitgehend heruntergefahren. Schulen, Kitas, Einzelhandel und Friseure blieben offen, gastronomische Betriebe aber bleiben für Gäste vorerst geschlossen. An diesem Montag ziehen Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Ministerpräsidenten eine erste Zwischenbilanz und bewerten das Infektionsgeschehen neu. Ist die Trendwende geschafft? Was hat der Teil-lockdown bislang gebracht? Ein Blick auf verschiedene Kriterien:
● Neuinfektionen Erst am Freitag gab es mit 23542 Infizierten einen neuen Höchststand in Deutschland. Hoffnung macht das erst einmal nicht. Und doch ist ein erster Trend sichtbar: Die Zahlen steigen zwar, aber nicht mehr so stark wie noch zuletzt. Am Sonntag gingen sie mit 16947 neuen Fällen sogar deutlich zurück. Die täglichen Fallzahlen dienen allerdings nur bedingt als Indikator für die aktuelle Corona-lage. Einerseits sind sie ein Blick in die Vergangenheit, da zwischen Infektion und Meldung des Gesundheitsamts an das Robert-koch-institut (RKI) bis zu zwei Wochen vergehen können. Andererseits können Rückstaus in Laboren dazu führen, dass manche Infektionen erst viel später in die Statistik einfließen. Auch fallen die Zahlen, die das RKI bekannt gibt, an Sonntagen und Montagen häufig niedriger aus, da am Wochenende weniger getestet wird, suggerieren also eine Entwicklung.
● Intensivpatienten Wichtig für die Beurteilung des Infektionsgeschehens ist der Blick in die Krankenhäuser. Einige Kliniken meldeten in den vergangenen Wochen, dass sie kurz vor der Überlastung stünden. Auf den Intensivstationen ist von einer Entspannung der Lage momentan nichts zu sehen. Zwischen dem
1. Oktober und dem 1. November stieg nach Angaben der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin die Zahl der intensivmedizinisch behandelten Patienten um knapp 1700 – von 362 auf 2061. In den vergangenen zwei Wochen kamen noch einmal mehr als 1300 Fälle hinzu, am Sonntag lag die Zahl bei 3385 – ein Plus von 60 im Vergleich zum Vortag. 56 Prozent dieser Patienten mussten invasiv beatmet werden.
● Rwert In der Kritik stand zuletzt der Reproduktionsfaktor, kurz R-wert. Er zeigt an, wie viele andere Menschen ein Corona-infizierter im Schnitt ansteckt. Sobald der Wert die Zahl 1 übersteigt, droht ein rasanter Anstieg der Fallzahlen. Die Pandemie breitet sich dann mit steigender Geschwindigkeit aus. Seit Beginn des zweiten Lockdowns ist der R-wert gesunken, am Samstagabend lag er bei 1,05 (Freitag: 0,99). Problematisch am R-wert ist, dass er das aktuelle Infektionsgeschehen lediglich geschätzt darstellt. Dadurch sollen zwar mögliche Verzögerungen bei Corona-meldungen ausgeglichen werden, dafür sind die Prognosen aber oft ungenau, weshalb das RKI den R-wert zuletzt häufiger nachträglich angepasst hat. Ob der Lockdown bereits wirkt, kann der R-wert allein also nicht beantworten.
● Bewegungsprofil Aussagekräftiger hingegen sind die Bewegungsströme der Menschen. Sie zeigen, wie die Bürger auf die Maßnahmen der Regierung regieren – etwa ob sie vermehrt zu Hause bleiben. Besonders eindrücklich war das im Frühjahr zu sehen, als Straßen und Innenstädte leer gefegt waren. Google hat anonymisiert Bewegungsprofile der Menschen in Deutschland erstellt. Das Unternehmen hat sich dabei auf verschiedene Lebensbereiche konzentriert. Der Vergleichszeitraum, den Google selbst für seine Analysen verwendet, stammt aus dem Zeitraum vom 3. Januar bis zum 6. Februar. Aus einer Zeit vor Corona also. Es fällt auf: Seit dem Lockdown verbringen die Menschen deutlich weniger Zeit in den Bereichen Einzelhandel und Freizeit.
Das liegt zum einen daran, dass Google Orte wie Restaurants, Cafés, Freizeitparks und Kinos berücksichtigt, die seit 2. November zum Teil geschlossen sind. Doch auch der Einzelhandel spürt die Coronaeinschränkungen. Auch die Bewegungsströme in Parks hat sich Google angesehen. Trotz der November-tristesse flüchten sich die Deutschen demnach vor allem in die Natur. Bis zu über 60 Prozent mehr bewegten sich die Menschen in Parks als im Vergleichszeitraum Anfang des Jahres. Gemieden werden hingegen wieder Bahnhöfe und Haltestellen. Rund 30 Prozent weniger hielten sich die Deutschen dort aktuell auf als noch Anfang des Jahres. Eine Erklärung dafür: Viele Pendler bleiben derzeit im Homeoffice, zudem setzen die Deutschen wieder vermehrt aufs Auto oder das Rad, um zur Arbeit zu kommen.