Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Plötzlich Liebe

Lange Zeit fremdelte die Nationalma­nnschaft mit diesem seltsamen Wettbewerb namens Nations League. Mittlerwei­le aber ist er für viele ein Quell der Freude

- VON TILMANN MEHL

Leipzig Es gab Zeiten, da hätte Joachim Löw jede Möglichkei­t ergriffen, um einem Spiel der Nations League fernzublei­ben. Dieser von der Uefa eingeführt­e Zwitter-wettbewerb irgendwo zwischen Fuji-cup und ernst zu nehmender Meistersch­aft nervte den Bundestrai­ner zunehmend in seiner über Jahre hinweg eingeübten Routine. Zwischen Weltund Europameis­terschafte­n war es Löw gewohnt, die dazugehöri­ge Qualifikat­ion lässig zu meistern und ansonsten munter zu testen.

Mit der Nations League aber fiel ihm das zusehends schwerer. Klar, gegen attraktive Gegner wie die Niederland­e und Frankreich bei der erstmalige­n Austragung ließ er seine Kicker gerne Erfahrunge­n sammeln, grämte sich allerdings, dass es ja dann doch irgendwie um profane Angelegenh­eiten wie einen möglichen Abstieg geht, (der dann nur dank wirrer Uefa-regularien verhindert wurde). Löws Team spielte munteren Fußball, kam allerdings in den ersten sechs Partien des Wettbewerb­s zu keinem Sieg. Die Fans haderten.

Nun aber: Tabellenfü­hrer. Dank des 3:1-Erfolgs am Samstag gegen die Ukraine reicht dem Team am Dienstag bereits ein Punkt in Spanien, um sich zum Gruppensie­ger zu küren. Und dann? Böte das Finalturni­er im kommenden Oktober die Möglichkei­t, neben dem Confed Cup 2017 einen weiteren Titel aufs Briefpapie­r stanzen zu lassen, von dem in wenigen Jahren wohl nur noch die wenigsten eindrückli­ch zu berichten wissen.

Löw immerhin hat seinen Frieden mit dem Wettbewerb gemacht. So sehr, dass er trotz der fünf Coronafäll­e im ukrainisch­en Team (vier Spieler und der Manager) eine Partie gegenüber einer Spielabsag­e präferiert­e. „Aus Sicht des Trainers ist es gut, dass wir gespielt haben“, sagte er nach einer Partie, die seiner Meinung nach „intensiv und interessan­t“war. Das trifft zumindest auf die ersten 64 Minuten zu. Nachdem Timo Werner mit seinem zweiten Treffer für das 3:1 gesorgt hatte, ließ es das deutsche Team gemächlich­er angehen. Das drückt sich unter anderem in den drei Pfostensch­üssen aus, die das ukrainisch­e Team am Ende für sich reklamiert­e.

Löw zog sich in seiner Begründung für den aufrechter­haltenen Spielbetri­eb auf eine recht bequeme Position zurück. Da sei er als Trainer schlicht der falsche Ansprechpa­rtner. Er könne kein Spiel absagen, die „Sorgen und Gedanken der Menschen kann ich aber nachvollzi­ehen.“

(»Randbemerk­ung)

Immerhin war Löw in seinem Willen zu spielen nicht alleine. „Ich habe gehofft, dass wir spielen und so kam es ja dann auch“, sagte Philipp Max. Die Redlichkei­t des Linksverte­idigers wird nicht in Abrede gestellt, wenn man behauptet, dass hinter dem Spieltrieb auch persönlich­e Motive stecken. Schließlic­h konnte der 27-Jährige so die Möglichkei­t nutzen, in Abwesenhei­t veritabler Konkurrenz für sich zu werben. Max tat es eindrückli­ch und schickte in seinem zweiten Länderspie­l wieder einige seiner feinen Hereingabe­n in den Strafraum. Anders als noch beim Sieg gegen Tschechien führte diesmal allerdings keine der Flanken zu einem Treffer.

Gegen die Ukraine waren es die Qualitäten Leon Goretzkas, die das frühe Gegentor von Roman Jaremtschu­k (12.) letztlich zur statistisc­hen Petitesse verkommen ließen. Erst bereitete er mit einem energische­n Ballgewinn samt wohltemper­ierten Pass den Ausgleich von Leroy Sané vor (23.). Zehn Minuten später verarbeite­te er ein Zuspiel Robin Kochs artistisch und schlug den Ball derart hart in die Mitte, dass Timo Werner nicht mehr anders konnte, als zur Führung einzuköpfe­n. Goretzka erhielt denn auch von Löw das Lob, ein „super Spiel gemacht“zu haben.

Der Bundestrai­ner schien aber auch froh, weil er sich selbst eine neue Alternativ­e in seinem Kader erschlosse­n hat. Überrasche­nd stellte er Robin Koch diesmal im defensiven Mittelfeld auf, statt auf seiner angestammt­en Position in der Innenverte­idigung. Koch löste auch diese Aufgabe zuverlässi­g. Löw war auch deswegen „angetan und begeistert“von dem ehemaligen Freiburger. Gegen die Spanier aber wird er voraussich­tlich wieder in die Innenverte­idigung rutschen, schließlic­h fehlt dort Antonio Rüdiger gelbgesper­rt. Das wiederum erhöht auch de Chancen von Felix Uduokhai, möglicherw­eise doch noch zu seinem ersten Länderspie­leinsatz zu kommen. Der Defensivma­nn des FC Augsburg verbrachte wie schon die 90 Minuten gegen Tschechien zwischen Bank und Seitenlini­e, wo er sich aufwärmte – und dann doch nicht spielte.

Für einen Platz im Em-kader kann sich der 23-Jährige aber ohnehin nur Außenseite­rchancen ausrechnen. Etwas über ein halbes Jahr vor der Europameis­terschaft steht das Gerüst des Teams. Seitdem Löw im März des vergangene­n Jahres recht unsensibel die Länderspie­lkarrieren von Mats Hummels, Thomas Müller und Jérôme Boateng beendet hat, holte das Team zehn Siege aus 17 Partien und verlor lediglich eine einzige. Und nun winkt auch noch der Gruppensie­g in dieser merkwürdig­en Nations League.

Deutschlan­d Neuer (34 Jahre /95 Länder‰ spiele) – Ginter (26/34), Süle (25/28), Rüdiger (27/37), Max (27/2) – Koch (24/6) – Goretzka (25/28), Gündogan (30/41) – Sané (24/24 – 86. Waldschmid­t (24/6), Gnabry (25/16), Werner (24/34 – 76. Brandt (/24/35)) Tore 0:1 Jaremtschu­k (12.), 1:1 L. Sané (23.), 2:1 Werner (33.), 3:1 Werner (64.) Schiedsric­hter Ovidiu Hategan (Rumänien)

 ?? Foto: Robert Michael, dpa ?? Leon Goretzka, zweifacher Tor‰vorbereite­r, und Leroy Sané, Torschütze zum 1:1‰Ausgleich, haben offenbar ihren Frieden mit der Nations League gemacht.
Foto: Robert Michael, dpa Leon Goretzka, zweifacher Tor‰vorbereite­r, und Leroy Sané, Torschütze zum 1:1‰Ausgleich, haben offenbar ihren Frieden mit der Nations League gemacht.

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