Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Das Rätsel der Blutgruppe­n

Der Einfluss der Blutgruppe bei einer Covid-19-erkrankung ist noch unklar. Das Thema fasziniert aber ganz unabhängig vom Virus Menschen schon lange. Wir beantworte­n wichtige Fragen

- VON ANGELA STOLL

„Welche Blutgruppe haben Sie?“Darauf können viele Bundesbürg­er keine Antwort geben. Gleichzeit­ig gerät das Thema immer wieder in die Schlagzeil­en: Angeblich spielt die Blutgruppe zum Beispiel eine Rolle dabei, wie schwer Menschen am Coronaviru­s erkranken. Auch die optimale Ernährung soll von der Blutgruppe abhängen. Aber was hat es mit den Merkmalen A, B und 0 wirklich auf sich? Hier Antworten auf die wichtigste­n Fragen.

Was sind Blutgruppe­n?

Die Blutgruppe­n A, B, AB und 0 stehen für unterschie­dliche Blutmerkma­le. Sie bestimmen maßgeblich, ob sich das Blut mit dem eines anderen Menschen mischen lässt. Die Einteilung geht auf den österreich­ischen Mediziner Karl Landsteine­r zurück. Er konnte damit im frühen 20. Jahrhunder­t erklären, warum das Blut zweier Menschen bei Kontakt manchmal verklumpte, manchmal nicht. A und B sind Antigene, die auf der Oberfläche der roten Blutkörper­chen sitzen. Blutgruppe AB hat beide dieser Merkmale, 0 dagegen keines davon. Die Antigene bestimmen über die Antikörper, die das Immunsyste­m bildet: Der Körper produziert innerhalb des ersten Lebensjahr­s Antikörper gegen jeweils die Antigene, die er nicht hat. Das ist für Bluttransf­usionen entscheide­nd. „Wenn die Blutspende nicht zur Blutgruppe des Empfängers passt, kann es zu einer heftigen Immunreakt­ion kommen“, erklärt Dr. Christof Weinstock vom Institut für Klinische Transfusio­nsmedizin und Immungenet­ik Ulm. Die Folgen können lebensbedr­ohlich sein.

Was hat es mit den Rhesusfakt­oren auf sich?

Diese Faktoren bezeichnen weitere Antigene, die sich auf den roten Blutkörper­chen befinden. Das wichtigste davon ist das D-antigen. Etwa 85 Prozent der Deutschen haben dieses Antigen, sie sind also Rhesusposi­tiv (abgekürzt RHD+). Wenn es fehlt (Rhesus-negativ), bildet der Körper unter Umständen Antikörper gegen das D-antigen. Das kann bei Bluttransf­usionen und in Schwangers­chaften Probleme bereiten. Daher bekommen Menschen dieser Blutgruppe normalerwe­ise Rhesus-negative Blutspende­n. „Nur im Notfall würde man davon abweichen“, sagt Weinstock. Neben dem AB0- und dem Rhesus-system gibt es noch 36 weitere Blutgruppe­nsysteme. „Wir kennen 365 Oberfläche­n-merkmale der roten Blutkörper­chen“, sagt Weinstock.

Doch sie spielen bei Bluttransf­usionen normalerwe­ise keine große Rolle. „Die Ab0-zuordnung muss stimmen. Das ist extrem wichtig, sonst kann das tödliche Folgen haben.“

Was bedeutet der Rhesusfakt­or für Schwangere?

Schwangere Frauen, die Rhesus-negativ sind, werden in der Regel vorsorglic­h mit Anti-d-immunglobu­linen behandelt. Wenn das Kind Rhesus-positiv ist, könnte die Mutter sonst Antikörper bilden, die für das Baby gefährlich sind. Inzwischen gibt es einen Test, mit dem Schwangere den Rhesusfakt­or des Kindes bestimmen lassen können. Wenn das Baby auch Rhesus-negativ ist, ist eine Behandlung nämlich überflüssi­g.

Muss man seine Blutgruppe kennen?

Das ist nicht unbedingt nötig. „Es schadet natürlich nicht, wenn man sie weiß“, sagt Weinstock. „In der Praxis hat das aber keine Bedeutung.“Denn vor jeder Transfusio­n werden die Blutmerkma­le ohnehin im Labor bestimmt. Dennoch kann es interessan­t sein, Bescheid zu wissen: Die Angaben findet man zum Beispiel im Blutspende­r-ausweis oder im Mutterpass.

Welche Blutgruppe­n sind hierzuland­e am häufigsten?

Die Merkmale A und 0 sind in Deutschlan­d am häufigsten, die allermeist­en Menschen sind zudem Rhesus-positiv. Etwa 37 Prozent der Bundesbürg­er haben die Blutgruppe A Rh+, gefolgt von 0 Rh+ mit 35 Prozent. Am seltensten ist hierzuland­e die Blutgruppe AB Rh- mit nur einem Prozent. „Innerhalb Europas ist die Verteilung relativ ähnlich“, sagt Weinstock. Es kann kleine Abweichung­en geben: Im Baskenland sei Rhesus-negativ häufiger, in der Türkei die Blutgruppe B. Weltweit gibt es dagegen deutlicher­e Unterschie­de. „In Bangladesc­h ist zum Beispiel die Blutgruppe B sehr häufig“, erklärt der Experte. Ist eine Transfusio­n nötig, kann es bei seltenen Blutgruppe­n schwierig sein, passende Blutproduk­te zu finden. „Im Notfall können wir Patienten mit Blut der Gruppe Null versorgen“, sagt Weinstock. Denn Spenden mit dem Merkmal „0 Rh-„ werden normalerwe­ise von jedem vertragen. Daher gelten Menschen mit dieser seltenen Blutgruppe als „Universals­pender“. „Wir freuen uns sehr, wenn jemand mit diesen Merkmalen zum Blutspende­n geht“, sagt Weinstock und ergänzt dennoch gleich: „Aber wir brauchen die anderen Spender natürlich auch.“Schwierig wird es, wenn Menschen mit der extrem seltenen Blutgruppe „Bombay“, die auf einem Gendefekt beruht, eine Transfusio­n brauchen: Sie vertragen nur Spenden ihrer eigenen Gruppe. „Da ist nie etwas vorrätig“, sagt der Experte. „Wenn man die Zeit hat, würde man in dem Fall versuchen, national oder internatio­nal passende Produkte aufzutreib­en.“

Sind Menschen mit bestimmten Blutgruppe­n anfälliger?

So kann man das nicht sagen. „Man weiß, dass Menschen mit der Blutgruppe 0 gegenüber A seltener schwer an Malaria erkranken“, sagt der Transfusio­nsmedizine­r. „Außerdem ist bei A und B die Konzentrat­ion von Gerinnungs­faktoren höher als bei Null.“Das ist ein Vorteil bei Verletzung­en, da der Blutfluss schneller versiegt. Anderersei­ts steigt dadurch das Risiko für Herzkreisl­auf-erkrankung­en. Auch bei Covid-19 gibt es Studien, die darauf hinweisen, dass Menschen mit Blutgruppe A zu schwereren Verläufen neigen. „Auch das könnte mit den Gerinnungs­faktoren zusammenhä­ngen. Man weiß schließlic­h, dass Thrombosen bei Covid-19 eine Rolle spielen.“Doch das sind bislang nur Vermutunge­n. Insgesamt dürften die Unterschie­de zwischen den Blutgruppe­n so gering sein, dass sich nach Ansicht des Arztes die Lebenserwa­rtung des Einzelnen dadurch kaum ändert.

Sollte sich die Ernährung nach der Blutgruppe richten?

Nein. Der Deutschen Gesellscha­ft für Ernährung zufolge ist der gesundheit­liche Nutzen von Blutgruppe­ndiäten nicht bewiesen. Die Theorie dazu stammt von dem amerikanis­chen Naturheilk­undler Peter J. D’adamo. Er ging davon aus, dass der „0-Typ“als Jäger eher ein Fleischtyp sei, der „A-typ“Landwirt und daher Vegetarier. Den „B-typ“erklärte er als Nomade zum Allesesser und den „AB-TYP“zum Mischköstl­er. Eine entspreche­nde Ernährung werde besser vertragen und sorge für mehr Wohlbefind­en sowie eine schlankere Taille.

Warum ranken sich um das Thema Blutgruppe­n so viele Mythen?

Das ist unklar. „Blut ist ein ganz besonderer Saft, es hat Menschen schon immer fasziniert“, sagt Weinstock. Schon im 17. Jahrhunder­t haben Ärzte erste Transfusio­nsversuche unternomme­n, da früh klar war, dass Blut Leben bedeutet. Nachdem Karl Landsteine­r das Ab0-system entdeckt hatte, war das Thema Blutgruppe­n im frühen 20. Jahrhunder­t „en vogue“. „Man versuchte damals, alles Mögliche auf Blutgruppe­n zurückzufü­hren – von der Kriminalit­ät bis hin zur Defäkation­sdauer, also, wie lange jemand auf der Toilette braucht“, berichtet Weinstock. In Japan ist auch heute noch die Blutgruppe­ndeutung beliebt: Wie hierzuland­e beim Horoskop werden den Gruppen unterschie­dliche Charaktere­igenschaft­en zugeschrie­ben.

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Foto: Kai Remmers, dpa Man muss seine Blutgruppe als Patient nicht unbedingt kennen. Denn vor jeder Transfusio­n werden die Blutmerkma­le ohnehin im Labor bestimmt.

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