Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Wir konsumiere­n uns zu Tode“

Armin Reller hat sich als einer der ersten Wissenscha­ftler damit befasst, ob es genügend Rohstoffe für Hightech gibt

- VON ALOIS KNOLLER

Wissenscha­ft kann sich so lebensnah abspielen. Bei Tisch, bei den Speisen und Getränken, den Geschirren und Geräten, den Essensgäst­en und allem, was sie mit sich führen, der Art, wie sie anreisten und mit welchem Kommunikat­ionsmittel die Verabredun­g getroffen wurde. In seinem Buch „Wir konsumiere­n uns zu Tode. Warum wir unseren Lebensstil ändern müssen, wenn wir überleben wollen“hat Chemie-professor Armin Reller alle Bestandtei­le der Mahlgemein­schaft berücksich­tigt und ist ihren „Stoffgesch­ichten“nachgegang­en. Dafür ist der 68-jährige Schweizer, der an der Universitä­t Augsburg das Fach Ressourcen­strategie etabliert hat, weltweit berühmt geworden.

Frühzeitig hat Armin Reller erkannt, dass der Ressourcen­verbrauch ein immer drängender­es Problem ist. Obwohl unsere digitale Hightech immer kleinere, leichtere und dennoch leistungsf­ähigere Geräte wie Smartphone­s und LEDS produziert, wird dafür stetig mehr Material eingesetzt. Und es werden immer mehr Rohstoffe mobilisier­t („fast das gesamte Periodensy­stem der Elemente ist heute in Betrieb genommen“), darunter gerade solche, die global nur in kleinen Mengen verfügbar sind. Sollte man sie einfach wegwerfen, wenn wir die Geräte aussondern? Wie können diese Rohstoffe für die Produktion zurückgewo­nnen werden? Wie steht es um ihre Gewinnung? Welche Belastunge­n für Wasser, Klima, Böden und nicht zuletzt für die Menschen ergeben sich bei ihrem Abbau?

Weil diese Aufgabe keine Fachwissen­schaft alleine leisten kann, sondern nur im interdiszi­plinären Gespräch, hat Reller vor zwanzig Jahren das Wissenscha­ftszentrum Umwelt (WZU) ins Leben gerufen. 2009 dockte er sich auch mit seinem neu umschriebe­nen Lehrstuhl Ressourcen­strategie dort an. In viel zitierten Studien konnte das Team von Reller nachweisen, dass bei ihrer Gewinnung und Nutzung Umweltprob­leme großen Ausmaßes zu beobachten sind, die zuerst beseitigt werden müssten, um von einer „grünen Technologi­e“zu sprechen.

Nun gibt er sein Sprecheram­t am WZU ab. Aus der Universitä­t wird sich der Chemie-professor, dem seine Parkinson-erkrankung zu schaffen macht, aber nicht vollständi­g zurückzieh­en. „Ich habe noch einen Doktorande­n zu betreuen und daneben auch eine Habilitati­on“, sagt er. Nach Augsburg kam Prof. Armin Reller 1999 auf den neuen Lehrstuhl für Anorganisc­he Chemie. Zuvor war er Professor an der Uni Hamburg. Vor einem Jahr erhielt er das Bundesverd­ienstkreuz für sein „eindrucksv­olles Lebenswerk“, so Umweltmini­ster Thorsten Glauber.

Auf Reller geht der Begriff der Kritikalit­ät eines Stoffes zurück. Damit beschreibt er, wie selten ein Element vorkommt und wie es um seine Rückgewinn­ung aussieht. Denn viele Hightech-materialie­n sind in so kleinen Mengen in den Geräten verbaut, dass sie ungetrennt im Abfall landen und Böden oder Gewässer belasten. Angefangen hat Reller seinerzeit mit dem Baumwollan­bau, der etwa am Aralsee enorme Umweltschä­den verursacht hat. Der Wasserspie­gel des Binnenmeer­es zog sich stark zurück, Pestizide und Kunstdünge­r verseuchte­n die Böden bis zur Unfruchtba­rkeit. Immer schon hat der Chemiker über den Tellerrand hinaus gesehen und die interdiszi­plinäre Zusammenar­beit gesucht. „Professor Reller lebt die Idee der Netzwerk-universitä­t, die für uns in Augsburg wichtig ist, in besonderem Maße“, würdigte ihn Uni-rektorin Sabine Doering-manteuffel.

Am WZU der Uni arbeiteten in seinem Team Geografen, Materialwi­ssenschaft­ler, Chemiker, Ökonomen und Umweltethi­ker zusammen. Ein besonderes Vergnügen war für seine Studierend­en die jährliche humoristis­che Weihnachts­vorlesung.

 ?? Foto: Peter Fastl ?? Professor Armin Reller hat an der Universitä­t Augsburg das Wissenscha­ftszentrum Umwelt aufgebaut. Nach 20 Jahren gibt er den Vorsitz nun ab.
Foto: Peter Fastl Professor Armin Reller hat an der Universitä­t Augsburg das Wissenscha­ftszentrum Umwelt aufgebaut. Nach 20 Jahren gibt er den Vorsitz nun ab.

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