Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Überfall in Pfersee verrät eine Drogengang
Ein halbes Dutzend mit Sturmhauben maskierte Männer versuchen die Wohnung eines Augsburgers zu stürmen. Dessen Freundin ruft die Polizei. Es ist ein Anruf mit Folgen
Es war ein äußerst erfolgreiches Start-up-unternehmen, wenn auch auf einem illegalen Geschäftsfeld. Im Sommer 2018 bediente der heute 22 Jahre alte Markus F. (alle Namen geändert) die Augsburger Drogenszene kiloweise mit Marihuana. Zehntausende von Euros wechselten den Besitzer. Sein Kumpel Jochen M. (24) stellte seine Wohnung in Pfersee fürs Portionieren und Abpacken sowie den Keller zum Bunkern des Rauschgifts zur Verfügung. Am 26. September 2018 fand das florierende Drogengeschäft ein jähes Ende.
Ein halbes Dutzend mit Sturmhauben maskierte Männer versuchten die Wohnung des Pferseers zu stürmen, einer hatte mit Sand gefüllte Schlaghandschuhe übergestreift, bei einem Gerangel stürzte Jochen M. zu Boden und verletzte sich. In größter Not alarmierte seine Freundin die Polizei – was sich im Nachhinein freilich als äußerst unklug erwies. Als die Beamten eintrafen, war das Rollkommando verschwunden. Die Polizei roch allerdings im wahrsten Sinne des Wortes Lunte. Sie fand Drogen und eine erkleckliche Summe Bargeld, das offensichtlich aus dem Marihuanahandel stammte. Der Tag markierte den Beginn von Ermittlungen der Augsburger Kripo und des Landeskriminalamtes, die schließlich in einer ganzen Reihe von Prozessen und etlichen höheren Haftstrafen gipfelten.
Die Ermittlungen in Zusammenhang mit dem Überfall des Rollkommandos verliefen völlig im Sande. Jochen M. erklärte der Polizei, er habe keinen der Täter erkannt und könne nichts dazu sagen. Im Licht des späteren Drogenfundes freilich vermutete die Kripo, es habe sich möglicherweise um einen Racheakt in Zusammenhang mit den illegalen Geschäften gehandelt.
Jochen M. und Markus F., der das Marihuana vertickt hatte, wurden in Haft genommen und später vom Landgericht zu viereinhalb Jahren beziehungsweise fünf Jahren und vier Monaten Gefängnis verurteilt. Mit ihrer Hilfe konnten die Fahnder die Lieferanten des Rauschgifts ermitteln: ein heute 54 Jahre alter Mann und sein Kumpel, ein 52-Jähriger, beide aus dem fränkischen Raum. Das Dealer-duo hatte „Gras“, wie Marihuana genannt wird, in ganz Bayern verkauft. Das Landgericht schickte beide für über neun Jahre beziehungsweise mehr als sieben Jahre hinter Gitter. Insgesamt hatten die Ermittler mehr als 120.000 Euro an Bargeld sichergestellt.
Erst ein Jahr nach seiner Festnahme hatte der 52-jährige Dealer vor dem Landeskriminalamt ausgepackt. Dabei beschuldigte er unter anderem Alexander M., den jüngeren Bruder des Pferseers, bei den Rauschgiftgeschäften geholfen zu haben. Der heute 22-jährige Student habe das Marihuana in der Wohnung seines Bruders zu 50 und 100 Gramm portioniert und in Folie eingeschweißt sowie ganze Bargeldbündel abgezählt. Einmal soll es sich um sieben Kilo „Gras“, einmal um elf Kilogramm gehandelt haben, die er – der 52-Jährige – angeliefert habe. Diese Vorwürfe führten dazu, dass am Ende nun auch Alexander M. der Beihilfe zum Drogenhandel angeklagt wurde.
Vor einem Jugendschöffengericht (zur Tatzeit war er noch heranwachsend) unter Vorsitz von Rose Oelbermann bestritt der junge Mann (Verteidiger: David Braithwaite) energisch, etwas mit den Drogengeschäften in der Wohnung seines Bruders zu tun zu haben. „Ich war dort zum indisch Kochen oder zum Videospielen. Ich habe nie beim Abpacken von Drogen geholfen.“Es sei richtig, dass ihm sein Bruder einmal eine Tasche mit Geld zum Aufbewahren übergeben habe.
„Aber ich habe nicht gewusst, wie viel da drin war“, behauptete er. Tatsächlich enthielt die Tasche satte 20.000 Euro, die von der Kripo sichergestellt wurden.
Das Schöffengericht hörte sämtliche in Zusammenhang mit den „Gras“-geschäften rechtskräftig verurteilten Männer als Zeugen. Belastet wurde Alexander M. lediglich wiederum von dem 52-Jährigen. Der Lka-beamte, der ihn damals vernommen hatte, sagte, er könne nicht ausschließen, dass die Vorwürfe eine „Retourkutsche“dafür gewesen seien, dass der Bruder des jetzt Angeklagten damals die beiden Dealer „hingehängt“habe.
Am Ende sprach das Jugendschöffengericht den jungen Mann, wie von seinem Anwalt beantragt, frei. Staatsanwältin Gudrun Wagner hatte eine zweijährige Jugendstrafe gefordert. Richterin Oelbermann sagte in der Urteilsbegründung, es sei eben nicht auszuschließen, dass die Beschuldigungen eine Retourkutsche gewesen seien.
War es eine „Retourkutsche“?