Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Wenn Corona-politik Kindheiten und Freundschaften bedroht
Nicht nur wirtschaftlich hat die Pandemie gefährliche Folgen. Das seelische Wohlbefinden vieler Menschen leidet. Das geht auch die Regierung etwas an
Ahnen manche Politiker eigentlich, welche seelischen Dramen sich in Kinderzimmern rund um die Frage abspielen, wer denn nun der beste Freund ist? Wie viele bittere Tränen vergossen werden, wenn der eigene Lieblingsfreund einen anderen Spielpartner vorzieht? Offenbar nicht. Zwar haben Bund und Länder zum Glück davon abgesehen, Kindern zur Eindämmung der Corona-pandemie nur noch Treffen mit einem einzigen Freund zu erlauben. Das war zunächst tatsächlich so geplant. Doch die dringende Empfehlung auch für Kinder, Kontakte auf Angehörige nur eines weiteren Haushalts zu begrenzen, läuft praktisch aufs selbe hinaus.
Wir diskutieren ohnehin viel zu wenig darüber, was die Pandemieausnahmensituation eigentlich für die Kleinsten bedeutet. Eine Kindheit
soll möglichst unbeschwert sein. Ist es da noch irgendwie niedlich oder schon eher Anzeichen von einem Trauma, wenn die Puppe eine selbst gebastelte Papier-maske erhält? Wenn Kinder vor dem Spiel beraten, ob im Playmobil-zoo Maskenpflicht gilt? Mit ihren Sorgen, ob die Kinder die Corona-zeit so einfach wegstecken werden, wie die Krise sie prägen wird, werden Eltern weitgehend alleingelassen.
Auch an den Erwachsenen geht die Ausnahmesituation nicht spurlos vorüber. Keiner kennt das wahre Ausmaß des Leides der Menschen, die einsam sind, vielleicht einen Partner suchen. Der Mensch ist ein soziales Wesen. Durch die Ansage der Regierung, Kontakte auf ein Minimum zu reduzieren, werden Beziehungen auf dem Vor-corona-stand eingefroren. Aus neuen Nachbarn werden keine Freunde, weil die irgendwann fällige Einladung zum Essen eben ausbleibt.
Ein paar kommen hinzu, ein paar gehen irgendwie verloren, so heißt es normalerweise über Freundschaften. Durch Corona gerät die Bilanz in Schieflage. Mitmenschen werden zuerst als mögliche Ansteckungsherde empfunden. Was es mit uns macht, wenn die sozialen Beziehungen heruntergedimmt werden, ist völlig unklar.
Manchmal entsteht der Eindruck, als würden sich Kanzlerin, Länderchefs und Minister über diese Art Corona-folgen überhaupt keine Gedanken machen, wenn sie neue Maßnahmen beschließen.
Gegen die wirtschaftlichen Verheerungen gibt es Staatshilfen. Covid-19 macht uns aber nicht nur materiell ärmer, sondern auch emotional. Niemand sollte den Pandemie-schmerz vieler Menschen schulterzuckend abtun als Gefühlsduselei. Belastende Erlebnisse oder länger anhaltende bedrohliche Zustände können den Betroffenen auf Jahrzehnte hinaus zu schaffen machen. Verdrängung verschlimmert alles nur. Eine Politik, an deren Spitze mit Kanzlerin Angela Merkel eine nüchtern denkende Naturwissenschaftlerin steht, rechnet die sozialen und emotionalen Konsequenzen ihres Handelns viel zu wenig ein. Es ist an der Zeit, nicht mehr nur die Virologen zu Wort kommen zu lassen, sondern auch die Experten für seelische Gesundheit.
Doch wer ist eigentlich der Christian Drosten unter den Psychologen? Wer gibt uns wirklich sinnvolle, fundierte Ratschläge, wie wir wertvolle Freundschaften über die Krise retten und unsere Kinder seelisch gesund halten können? Im Angesicht des langen, kalten Corona-winters kann die Politik diese Fragen nicht länger ignorieren.
Corona gefährdet unsere Gesundheit, unser Leben und unseren Reichtum. Es ist richtig, entschieden dagegen zu kämpfen. Doch dabei sollten wir stets auch die Gefahren von Einsamkeit, Frust und Depression im Blick haben. Ob wir in einer traurigen, freudlosen Zukunft voll Sehnsucht an die Zeit vor Corona zurückblicken oder als Gesellschaft gestärkt aus der Krise hervorgehen, entscheidet sich jetzt.
Ob wir gestärkt aus der Krise gehen, entscheidet sich jetzt