Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Drogensuch­t: „Wie in einem Tarantino‰film“

Die Drogenhilf­e Schwaben unterstütz­t seit fast 50 Jahren Süchtige in ihrem Alltag. Der ist so unterschie­dlich wie der Drogenkons­ument. Die Corona-pandemie schränkt die Sozialarbe­iter stark ein

- VON JONAS VOSS

Beinahe ein ganzes Stockwerk dient als Rückzugsor­t. Hier, in der Notschlafs­telle der Drogenhilf­e Schwaben, können wohnungslo­se Suchtkrank­e oder solche in einer aktuellen Notlage – etwa, wenn sie zu Hause bedroht oder geschlagen werden – Ruhe finden. Wenigstens für eine Nacht. Oder ein paar Nächte, da sind die Mitarbeite­r hier nicht so streng. Es gibt eine Küche samt Esszimmere­cke, ein paar Aschenbech­er stehen herum. Wer hier schlafen möchte, muss seine Habe zuvor in einem kleinen, grauen Spind einlagern. Abgesehen von unentbehrl­ichen Dingen wie Zahnbürste, Deo oder Drehtabak.

Im kleinen Wohnzimmer der Notschlafs­telle stehen zwei Sofas, an den Wänden hängen Bilder. Darauf zu sehen: verzerrte und grinsende Köpfe, abstrakte Muster und Figuren in dunklen Straßensze­nen – von talentiert­er Hand zu Papier gebrachte Drogentrip­s. Gemalt von denen, die hier schlafen.

Der 51-jährige Thomas Herald schläft dort nicht – er wohnt zusammen mit seiner Freundin in einer eigenen Wohnung. Herald ist ein Pseudonym. Er erzählt zwar offen von seinem Leben mit dem Heroin, seinen richtigen Namen möchte er aber nicht in der Zeitung lesen. Aufgewachs­en in München, zwei Ausbildung­en zum Spengler und Maler gemacht, für Fernsehsen­der und das Junge Theater in Bonn gearbeitet, in mehreren deutschen Städten gewohnt, aber nirgendwo außerhalb Münchens so richtig glücklich gewesen, begleitet die Sucht Herald bereits seit seiner späten Jugend. „Ich bin da reingeruts­cht wie in so einem Quentin-tarantino-film.“

Ende der 80er, Anfang der 90er hatte der 51-Jährige jede Menge Heroin zur Verfügung, „die ersten 18 Monate wusste ich gar nicht, was Entzug ist“. Mit den ers- ten körperlich­en und geistigen Schmerzen des Entzugs habe er gewusst, er ist „drauf“. Es folgen Haftstrafe­n, Jahre ohne Drogenkons­um, immer wieder schlimme Tiefschläg­e, die ihn zurück in die Sucht treiben: Ein Bruder stirbt an einer Überdosis, Jahre später die Mutter nach hartem Kampf an Krebs. Zum Rest der Familie hat er heute keinen Kontakt mehr.

Die Trauer betäubt Herald mit dem Heroin, „es ist eine Art Medikament für mich“. Nach der letzten Stabilisie­rungsthera­pie steht er nun im Kontakt mit der Drogenhilf­e.

anderem mit Katrin Wimmer. Sie ist Diplom-sozialpäda­gogin und arbeitet mit Unterbrech­ungen seit 1995 in der Drogenhilf­e. Über sie kam der Kontakt zu Herald zustande, Wimmer kennt ihn seit Jahren.

Die Drogenhilf­e feiert 2021 ihr 50-jähriges Bestehen. Uwe Schmidt arbeitet seit etwas weniger als der Hälfte dieser Zeit dort. Zusammen mit rund 50 Kollegen kümmert Schmidt sich um die Menschen, die von Suchtprobl­emen betroffen sind. Das können Drogenkons­umenten sein, aber auch Angehörige. Schmidt ist heute einer der Geschäftsf­ührer der Einrichtun­g, die zu großen Teilen vom Bezirk Schwaben finanziert wird. Auch die Stadt Augsburg bezuschuss­t die Institutio­n. Hier können Süchtige ein offenes Ohr finden, ohne verurteilt zu werden, es gibt Hilfe bei der Wohnungs- oder Arbeitssuc­he und Beratung, wenn es um den Ausstieg aus der Sucht geht oder darum, welche Therapiest­ätte am besten für den Klienten wäre.

Angefangen hat Schmidt 1998 als

Drogenbera­ter. „Für viele unserer Klienten sind wir der letzte cleane Ansprechpa­rtner.“Die kommen aus Augsburg, aber auch aus den Landkreise­n Augsburg und Aichach-friedberg. 2500 Menschen würde man im Jahr beraten, sagt Schmidt. Die Dunkelziff­er der Konsumente­n schätzt er auf das Doppelte. Viele nehmen Heroin.

Und sie würden aus allen Schichten kommen, erzählt Schmidt: Handwerker mit Meistertit­el, Lagerarbei­ter, Bankkaufle­ute, Menschen ohne Obdach und Arbeit. Streetwork­erin Wimmer ist für sie im Stadtgebie­t unterwegs, auch in den Kontaktein­richtungen der Drogenhilf­e. Sie sagt, „letzten Endes geht es in der aufsuchend­en Arbeit um das Überleben der Klienten“.

Die Corona-pandemie erschwert die Arbeit der Streetwork­erin Wimmer massiv. Einrichtun­gen wie das „betreff“oder das „KIZ Streetwork“sind derzeit nur für Einzelpers­onen zugänglich. In normalen Zeiten gibt es dort eine Art Cafébetrie­b, viele kamen dorthin, um Kontakt zu anderen in einer „normalen“Umgebung zu haben. Im Frühjahr, vor allem während des ersten Lockdowns, erzählt Wimmer, seien viele ihrer Klienten nicht aufzufinde­n gewesen. Über Jahre aufgebaute­s Verunter trauen, ein Kernaspekt der Streetwork, half nun nicht weiter – zu groß war die Angst der Süchtigen vor dem Virus oder aber vor tatsächlic­hen oder vermeintli­chen Verstößen gegen die Corona-maßnahmen.

„Wir mussten plötzlich Hürden aufbauen“, sagt Wimmer, „wo wir eigentlich doch niedrigsch­wellig arbeiten.“Einige der Klienten seien wohl in den vergangene­n Monaten gestorben – woran, das weiß Wimmer nicht. Einfach so vorbeischa­uen bei der Drogenhilf­e, das geht jetzt nicht mehr. Das ist ein Problem, Geschäftsf­ührer Schmidt sagt: „Wir erleben hier häufig eine grundsätzl­iche Skepsis gegenüber Fremden oder dem System.“Gerade deswegen sei es so wichtig, möglichst barrierefr­ei für die Menschen da zu sein.

Doch das wird, so fürchte er, sagt Schmidt, so schnell nicht möglich sein. Die Drogenhilf­e Schwaben entwickelt daher aktuell digitale Möglichkei­ten der Kontaktauf­nahme und Beratung. Nicht nur für Süchtige, die sich entschließ­en, Hilfe zu suchen – sondern auch für deren Angehörige und Partner. Denn eine Drogensuch­t prägt oft nicht nur ein Leben.

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Fotos: Boris Roessler (dpa), Ulrich Wagner „Ich bin da reingeruts­cht wie in so einem Quentin‰tarantino‰film“: Thomas Herald, 51, erzählt von seiner Drogensuch­t und davon, wie die Drogenhilf­e ihn dabei unterstütz­t, von der Sucht loszukomme­n.
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In der Notschlafs­telle der Drogenhilf­e Schwaben können Drogensüch­tige in Notlagen Ruhe finden.
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Kati Wimmer
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Uwe Schmidt

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