Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Augsburg braucht weitere Pflegeheime
In den kommenden Jahren werden mehr Menschen auf Hilfe angewiesen sein. Deshalb müssen wohl neue Einrichtungen gebaut werden. Aber auch andere Angebote sollen in der Stadt entstehen
Corona zeigt die Probleme im Pflegebereich in Augsburg wie unter einem Brennglas. Seit Monaten arbeiten Pflegekräfte an der Belastungsgrenze, um alte Menschen trotz der erschwerten Bedingungen gut versorgen zu können. Die Stadt stellt sich parallel zu den aktuellen Erfordernissen die Frage, ob das heutige Angebot auch in Zukunft noch ausreichend ist. Nach den Zahlen der jüngsten Pflegestatistik leben derzeit 9700 Menschen in Augsburg, die Leistungen aus der Pflegeversicherung erhalten. Der Bedarf an Pflege ist steigend. Die Stadt geht davon aus, dass es bis zum Jahr 2028 einen Zuwachs von 2500 betroffenen Personen geben wird. Damit steigt nicht nur die Nachfrage generell nach Pflege, sondern auch die nach einem breiter gefächerten Angebot.
Augsburgs Sozialreferent Martin Schenkelberg (CDU) sagt dazu: .„Die Erfahrung der Corona-zeit zeigt uns stärker denn je: Die Pflege muss gestärkt werden. Zum einen sind das die vielen Dienste und Einrichtungen, zum anderen die vielen pflegenden Angehörigen, die mit Abstand den größten Teil der Pflege stemmen und auch oft an der Grenze der eigenen Belastbarkeit pflegen.“Derzeit gebe es in Augsburg 63 ambulante Dienste, sechs Angebote für niederschwellige Hilfen und Betreuung, 16 Tagespflegen mit 220 Plätzen, 25 Heime mit insgesamt 3077 Plätzen sowie einige ambulant betreute Wohngemeinschaften und betreute Wohnanlagen.
Bis zum kommenden Jahr will der städtische Sozialplaner Klaus Kneißl gemeinsam mit seinem Team den Pflegebedarf der Augsburger für die kommenden Jahre ermitteln und dem Stadtrat präsentieren. Der Jugend-, Sozial- und Wohnungsausschuss hat diese Fortschreibung des seniorenpolitischen Konzepts „Pflege in der Stadt“kürzlich einstimmig beschlossen. Klar ist, dass in den kommenden Jahren neue vollstationäre Pflegeeinrichtungen eröffnen müssen, um die Nachfrage decken zu können. „Vor allem in den Bereichen Hochzoll, Kriegshaber und Bärenkeller sehe ich einen Schwerpunkt“, sagt Kneißl. Robert Sauter, Vorsitzender des Augsburger Seniorenbeirats, hält die Versorgungssituation momentan für ausreichend. „Aber man sollte jetzt schon mit der Planung von stationären Einrichtungen beginnen, damit man nicht sehenden Auges in eine Mangelversorgung rutscht“, sagt er. Vom Planungsbeschluss bis zur Eröffnung eines Heims könnten bis zu fünf Jahren vergehen. „Bis dahin deckt das derzeitige Angebot aber nicht mehr die Nachfrage“, wirft er ein.
Neben großen stationären Einrichtungen sieht Sozialplaner Kneißl auch ein wachsendes Interesse für ambulant betreute Wohngemeinschaften. Derzeit gibt es elf solcher WGS in Augsburg mit insgesamt 103 Plätzen. Daneben gibt es vier WGS mit Intensivpflege. „Auch wenn wir gut aufgestellt sind, merke ich aus vielen Gesprächen, dass es im Bereich häuslicher Betreuung und Pflege noch einen ungedeckten Bedarf gibt“, sagt Sozialplaner Kneißl. Von den 9700 Augsburgern, die derzeit Leistungen aus der Pflegeversicherung beziehen, befinden sich etwa 25 Prozent in einer stationären Versorgung. Die große Mehrheit von 75 Prozent wohnt dagegen nach wie vor zu Hause und wird dort gepflegt. Etwa ein Viertel von ihnen wird von einem ambulanten Dienst betreut, um drei Viertel kümmert sich der „größte Pflegedienst“überhaupt: Angehörige, Freunde, Nachbarn. Sozialreferent Schenkelberg sagt: „Wir müssen uns überlegen, wie wir die Familienpflege noch besser unterstützen können, und auch wie wir, gemeinsam mit den Wohlfahrtsverbänden und privaten Anbietern, in Zukunft das Angebot bei den Diensten und Einrichtungen weiterentwickeln können.“Ohne professionelle Pflegekräfte gehe das aber nicht. Deswegen sei es immer wichtiger, dass mehr junge Menschen für die Pflegeberufe gewonnen werden können.
Ein Manko der vergangenen Jahre war das Fehlen von Kurzzeitpflegeplätzen. Die Stadt entschied deshalb, jährlich 250 000 Euro zur Verfügung zu stellen, um einen Anreiz für die Träger zu schaffen, weitere Plätze einzurichten. Im ersten Quartal 2021 will die Stadt Bilanz ziehen, ob das Geld zum gewünschten Ergebnis geführt hat. Sozialplaner Kneißl meint dazu: „Corona hat in diesem Jahr alles durcheinandergebracht. Ich bezweifle, dass nach diesem Jahr eine belastbare Aussage getroffen werden kann.“
Die Corona-pandemie hat die Pflege in allen Bereichen gefordert. Davon ist auch die Entwicklung nachbarschaftlicher Quartiersprojekte betroffen. Gerade die seien aber laut Kneißl so wichtig, weil Senioren hier bei einer Vielzahl von Aktionen teilnehmen und so der „Vereinzelung und Vereinsamung“entrinnen könnten. Das Brkstadtteilzentrum Haunstetten ist solch ein Beispiel, das eine Reihe von Angeboten speziell für alte Menschen bietet. „Neben der sozialen Fachberatung für Senioren bieten wir Tanz, Gymnastik, Besuchsdienst, Mittagstisch, PC- und Repaircafé, Computerkurse, individuelle Handy- und Laptop-sprechstunden sowie einen Seniorenclub und den Treff ‘Sing mit!’“, zählt Tatjana Asmuth, die Leiterin des Familienstützpunkts, auf.
Wegen Corona könnten derzeit „fast alle geselligen Angebote“nicht stattfinden. Asmuth: „Laptopkurse und die Smartphone-sprechstunde können angeboten werden. Der Bedarf und die Nachfrage sind ungebrochen. Besonders in der jetzigen Zeit, in der Informationen, Dienstleistungen und soziale Kontakte sich noch stärker ins Internet verlagern, wollen und müssen sich Senioren digital bilden.“Der Besuchsdienst könne nicht persönlich erfolgen, Kontakte würden aber am Telefon gepflegt. Die Stadt unterstützt neben dem Stadtteilzentrum Haunstetten Projekte der AWO in Oberhausen und im Herrenbach. Kneißl: „Ich will, dass in allen zwölf Versorgungsregionen ein Quartiersprojekt gefördert wird.“