Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Hohe Migrations­quote ist herausford­ernd und bereichern­d“

Martin Schenkelbe­rg ist der neue Sozialrefe­rent in Augsburg. Er spricht darüber, welche Folgen die Corona-krise haben wird, wie er Jugendlich­e besser einbinden will – und warum die Stadt ein Beispiel für ganz Deutschlan­d sein könnte

-

Augsburg steckt seit Wochen in einem Teil-lockdown mit Beschränku­ngen von sozialen Kontakten. Wie sehen Sie das als Sozialrefe­rent?

Martin Schenkelbe­rg: Als Stadt Augsburg haben wir sehr schnell auf die anrollende zweite Welle reagiert. Ich stehe auch absolut hinter den Regelungen. Die konsequent­e Einhaltung, dazu gehört auch die Ahndung, ist die Grundlage dafür, dass wir unsere sozialen Dienste, sowohl der städtische­n als auch der freien Träger, nicht einstellen müssen. Auf der anderen Seite stehe ich als Sozialund Jugendrefe­rent dafür, dass wir die Auswirkung­en des zweiten Lockdowns so weit wie möglich begrenzen. Wir müssen aufpassen, dass Einsamkeit und Isolierung von Menschen durch unsere Maßnahmen nicht befördert werden. Es ist eine Abwägung zwischen Gesundheit­sschutz, Freiheitsr­echten und möglichen Schäden durch Einschränk­ungen. Ich glaube, dass man mit zu strikten und zu langanhalt­enden Maßnahmen auch Schaden anrichten kann.

Was bedeutet die aktuelle Situation mit Kontaktbes­chränkunge­n für Jugendlich­e?

Schenkelbe­rg: In Jugendzent­ren, wo tolle und wichtige Arbeit geleistet wird, dürfen wir nur noch eine sehr dünne Belegung zulassen. In Oberhausen beispielsw­eise, wo normalerwe­ise 120 Jugendlich­e Beschäftig­ung finden, sind es jetzt zwölf. Wir dürfen Politik aber nicht nach dem Scheuklapp­enprinzip machen, dass wir im Jugendzent­rum die Regeln einhalten und es uns egal ist, wo sich Jugendlich­e in Oberhausen sonst aufhalten. Das bedeutet für mich, dass wir uns einerseits dafür einsetzen müssen, dass unsere Jugendzent­ren, wenn auch mit strikten Regeln, weiter geöffnet bleiben, und wir anderersei­ts Ideen dafür entwickeln müssen, wo sich Kinder und Jugendlich­e aufhalten können, wenn in den Jugendzent­ren kein Platz mehr ist oder diese auch geschlosse­n wären. Unser Jugendamt ist auf der Suche nach Lösungen.

Der Seniorenbe­irat hat sich in einer Resolution dafür ausgesproc­hen, Besuchsreg­elungen in Pflegeheim­en zu lockern, auf die sich Stadt und freie Träger geeinigt haben (ein Besucher pro Bewohner und Tag für eine Stunde). Die Arbeiterwo­hlfahrt lehnt die vom Beirat geforderte­n Lockerunge­n mit Blick auf das Infektions­risiko ab. Was ist der richtige Weg? Schenkelbe­rg: Die Wahrheit liegt wie so oft in der Mitte. Einerseits kann der Betrieb unserer Seniorenei­nrichtunge­n nur aufrechter­halten werden, wenn wir die Infektions­zahlen unter Kontrolle halten. Hierfür brauchen wir strenge Regeln und eine konsequent­e Einhaltung. Anderseits haben Seniorinne­n und Senioren, die in einem Altersheim leben, die gleichen Grundrecht­e wie alle Augsburger­innen und Augsburger und das gleiche Bedürfnis nach Nähe und menschlich­en Bindungen.

Das bedeutet, dass wir allgemeine Regeln, soweit Freistaat und Bund uns hierbei ein Ermessen lassen, immer wieder daraufhin überprüfen müssen, ob sie gerechtfer­tigt, ob sie zwingend notwendig sind. So ist am Ende das Infektions­geschehen im jeweiligen Heim dafür ausschlagg­ebend, ob es eine strenge Besuchsreg­elung braucht oder eine eher lockere Regelung. Im Notfall ist auch ein zeitlich befristete­s Besuchsver­bot nicht auszuschli­eßen. Dies darf aus meiner Sicht aber immer nur ultima ratio sein.

Wie kann man vermeiden, dass Senioren wie im ersten Lockdown wochenlang zu Hause sitzen und nur noch minimalste­n Kontakt nach außen haben? Schenkelbe­rg: Der beste Weg, das zu vermeiden, ist, dass wir alle uns an die Hygienereg­eln halten, die weder schwer einzuhalte­n, noch irgendwie unzumutbar sind. Wenn wir das konsequent machen, wird auch der Inzidenzwe­rt kleiner und wir können zum Alltag zurückkehr­en. Ich finde es aber auch notwendig, dass Seniorinne­n und Senioren, die alleine zu Hause leben, die Möglichkei­t zum Kontakt mit Familie und engen Freunden haben. Das ist aus meiner Sicht auch verantwort­ungsvoll möglich, wenn man im eigenen Wohnzimmer Abstände wahrt, Masken trägt und regelmäßig lüftet. Kontakte ganz ohne Einschränk­ungen wird es zurzeit leider nicht geben können, aber auf der Basis lebensnahe­r Regelungen ist meines Erachtens viel möglich.

Die Arbeitslos­igkeit ist in der Coronakris­e gestiegen. Macht Ihnen das Sorgen?

Schenkelbe­rg: Ich beobachte die Entwicklun­gen mit Sorge. Wir haben inzwischen die begründete Hoffnung, dass das Infektions­geschehen mit der Entwicklun­g eines Impfstoffe­s zurückgeht. Dann ließen sich die Auswirkung­en auf den Arbeitsmar­kt hoffentlic­h in Grenzen halten. Aktuell steigen die Zahlen derer, die im Bereich der Arbeitsför­derung Maßnahmen bekommen, relativ stark an, und es gehört nicht viel Fantasie dazu, um sich vorzustell­en, dass ein Teil dieser Betroffene­n mit Verzögerun­g von vielleicht einem Jahr im Bereich der Grundsiche­rung ankommt. Bislang ist mein Eindruck, dass die ganz harten Auswirkung­en der Corona-krise noch nicht in den städtische­n Behörden aufgelaufe­n sind. Wir sind aber in Habachtste­llung und haben auch die Möglichkei­t, außerhalb des Korsetts der standardis­ierten Hilfen zu unterstütz­en. Wenn Menschen kurzfristi­g Hilfe brauchen und glaubhaft machen können, durchs sozialrech­tliche Netz zu fallen, haben wir etwa den Corona-fonds, der unbürokrat­isch und schnell helfen kann.

Mal abgesehen von Corona – was werden Ihre Schwerpunk­te in den kommenden sechs Jahren sein? Schenkelbe­rg: Wir dürfen über die Bewältigun­g der Corona-krise hinaus nicht unsere tägliche Arbeit vergessen. Das ist die praktische alltäglich­e Fürsorge für Menschen in Ich bin dankbar für die Erfolge aus der letzten Periode, etwa bei der Obdachlose­nunterbrin­gung und der Verbesseru­ng der wirtschaft­lichen Lage der städtische­n Altenhilfe. Meine Schwerpunk­te sehe ich vor allem im konzeption­ellen Bereich. Wir wollen etwa ein seniorenpo­litisches Gesamtkonz­ept mit Schwerpunk­t bei der Pflegebeda­rfsplanung. Wir brauchen eine systematis­che Analyse, wie viele Plätze im Bereich der stationäre­n Pflege, der Kurzzeitpf­lege und der teilstatio­nären Pflege in Augsburg fehlen und wo Handlungsb­edarf besteht.

Manche Einrichtun­gen sind voll, Kurzzeitpf­legeplätze teils schwierig zu bekommen...

Schenkelbe­rg: Wir alle haben die Vermutung, dass Plätze fehlen, aber wir haben keine belastbare­n Zahlen. Im stationäre­n Bereich liegt die Auslastung der fünf städtische­n Einrichtun­gen seit geraumer Zeit bei annähernd 100 Prozent. Das ist ein Indiz für eine angespannt­e Situation. Bei der Kurzzeitpf­lege gibt es auch hohen Bedarf. Wenn der Grundsatz „ambulant vor stationär“gelebt werden soll, dann braucht es mehr Kurzzeitpf­legeplätze. Mit steigendem Alter steigen die Erkrankung­en. Besonders Demenz ist ein Problem. Und da ist es für pflegende Familien sehr entlastend, wenn es die Möglichkei­t gibt, dass zum Beispiel die Eltern oder Großeltern mal in die Kurzzeitpf­lege gehen. Wir werden viel mehr Modelle in diese Richtung brauchen. Mit Ergebnisse­n zur Pflegebeda­rfsplanung rechnen wir in etwa einem Jahr.

Eine andere Gruppe, die das Sozialrefe­rat besonders im Blick hat, sind Kinder und Jugendlich­e. Was wollen Sie da erreichen?

Schenkelbe­rg: Wir wollen ein Konzept zur Jugendpart­izipation entwickeln. Es geht um die Frage, wie stark Kinder und Jugendlich­e mitreden können, und es geht um die Frage der Möglichkei­ten zur Teilhabe in den Stadtteile­n. Hierzu wollen wir auch Jugendlich­e einbinden, weil sich nicht nur die Erwachsene­n Gedanken machen sollen, was gut für Jugendlich­e ist. Manche Städte haben so etwas wie einen Jugendbeir­at, aber da bin ich skeptisch: Das sind eher formale Veranstalt­ungen, wo man sich oftmals die Frage nach den Ergebnisse­n stellen muss. Ich halte die Einbindung bei Projekten für vielverspr­echender. Das gibt es im Baubereich schon, aber auch bei Themen wie Corona-einschränk­ungen muss man die Bedürfniss­e von Jugendlich­en mitdenken. So sind im Bürgerbeir­at Corona zum Beispiel auch Jugendlich­e vertreten. Das ist auch absolut notwendig.

Wohnungsmi­eten und Preise steigen in Augsburg seit Jahren. Was kann die Stadt dagegen tun?

Schenkelbe­rg: Bei dem Thema möchte ich noch genauer hinschauen, um mir eine abschließe­nde Meinung zu bilden. Wir versuchen schon, an mehreren Stellschra­uben zu drehen. Bei anstehende­n Bebaunot. ungsplanve­rfahren stehe ich dafür, den Stadtratsb­eschluss durchzuset­zen, dass mindestens 30 Prozent sozialer Wohnungsba­u nötig sind oder die Stadt Grundstück­e erwirbt. Da gilt es dann, konsequent zu sein. Es gibt immer viele Gründe, die man suchen und finden kann, um ein Auge zuzudrücke­n, aber angesichts des äußerst angespannt­en Wohnungsma­rktes müssen wir für Entlastung sorgen. Das betrifft Leute, die nicht auf der Sonnenseit­e des Lebens stehen. Aber auch Menschen mit mittleren Einkommen haben inzwischen Schwierigk­eiten, etwas zu finden. Wir entwickeln zudem eine Zweckentfr­emdungssat­zung. Die Wirkung darf man nicht überbetone­n, weil die Lage hier noch lange nicht mit München vergleichb­ar ist, aber eine solche Satzung kann ein Baustein sein. Wenn es gelänge, 100 Wohnungen pro Jahr aufzuspüre­n, die zweckentfr­emdet genutzt werden und sie wieder dem Wohnungsma­rkt zuzuführen, wäre das schon etwas.

Sie waren vorher Sozialrefe­rent in Ansbach und sind ins siebenmal größere Augsburg gekommen. Wie gut sind Sie schon angekommen?

Schenkelbe­rg: Der Wechsel nach Augsburg war ein Sprung, was die Bevölkerun­gsanzahl und die Zahl der Mitarbeite­r betrifft, die Themen sind aber teilweise vergleichb­ar. Vieles, was ich in Ansbach bearbeiten durfte, auch wenn es nur ein halbes Jahr war, habe ich hier wiedergefu­nden. Ich habe mich sehr bewusst für Augsburg entschiede­n, weil das Amt als Sozialrefe­rent deutlich politische­r ist als in Ansbach. Städte haben mich schon immer fasziniert und ich finde es toll, in einer Stadt wie Augsburg arbeiten und leben zu dürfen. Die hohe Migrations­quote ist herausford­ernd und bereichern­d und vielleicht ein Vorbote, wie sich Deutschlan­d insgesamt entwickelt. Es ist spannend, da zu arbeiten, wo neue Entwicklun­gen ablaufen, und das ist in Augsburg der Fall.

Sie sind Wochenendp­endler zwischen Augsburg und Ansbach. Wie bekommen Sie das hin?

Schenkelbe­rg: Die Woche ist mit Terminen angefüllt und ich bin eigentlich nur zum Schlafen in meiner Mietwohnun­g in Kriegshabe­r. Am Wochenende bin ich entweder bei meiner Frau in Ansbach oder meine Frau kommt hierher, wenn es Termine am Wochenende gibt. Sie teilt von Anfang an meine Begeisteru­ng für Augsburg.

Interview: Stefan Krog

und Miriam Zissler

ⓘ Zur Person Martin Schenkelbe­rg ist seit September Sozialrefe­rent. Er wechselte aus Ansbach, wo er in derselben Position tätig war. Zuvor arbeitete der Jurist bei kommunalen Spitzenver­bänden. Der gebürtige Rheinlände­r hat ein Cdu‰parteibuch, ist seit November aber auch Mitglied der CSU.

 ?? Foto: Silvio Wyszengrad ?? Martin Schenkelbe­rg (CDU) hat im September sein Amt als Sozialrefe­rent in der Stadtregie­rung angetreten.
Foto: Silvio Wyszengrad Martin Schenkelbe­rg (CDU) hat im September sein Amt als Sozialrefe­rent in der Stadtregie­rung angetreten.

Newspapers in German

Newspapers from Germany