Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Die Frage der Woche Bei Dunkelheit joggen?

- PRO MICHAEL SCHREINER CONTRA STEFANIE WIRSCHING

Ist das eine Scherzfrag­e? Ende November, wenn die Tage trüb und schummrig sind, läuft man eigentlich immer irgendwie bei Dunkelheit… Zumindest ist das Tageslicht­fenster nur eine kleine Luke in großer Finsternis. Wer die nicht erwischt, aber trotzdem joggen will, der wird kaum vermeiden können, in Dunkelheit zu laufen. Ist das schlimm? Nein. Ist es schön? Kommt drauf an.

Winterjogg­er starten gezwungene­rmaßen oft in der Dunkelheit und laufen durch die Morgendämm­erung in den Tag.

Oder sie schnüren die Schuhe am, nun ja, noch helllichte­n Nachmittag und rennen in die heraufdämm­ernde Nacht hinein. Das sind schöne Erfahrunge­n. Transitrei­sen an den Tagesrände­rn. Gefordert sind alle Sinne – und möglichst eine Strecke, die vertraut ist und idealerwei­se gesäumt von Straßenbel­euchtung und Parklatern­en. Warum nicht von der allenthalb­en beklagten Lichtversc­hmutzung

einmal profitiere­n? Auch ein hell gekiester Weg und ein paar Reflektore­n an den Laufklamot­ten schaden nicht. Jeder Lauf ist besser als kein Lauf. Wenn Joggen heißt, auch bei Regen und Kälte rauszugehe­n oder mit der Hoffnung, das rumorende Knie werde ab Kilometer 4 schon langsam Ruhe geben, wenn Joggen also bedeutet, sich nicht von Kinkerlitz­chen ausbremsen zu lassen – warum sollte dann Dunkelheit ein Hindernis sein? Weil das kontemplat­ive Naturerleb­nis ausfällt, wenn man vor lauter dunklem Wald die Bäume nicht sieht? Das sagen dann ausgerechn­et jene, die im vollen Tageslicht mit Kopfhörern rennen und dem Handy am Oberarm… Das Unbehagen in der Dunkelheit lässt sich abtrainier­en. Man kann ja auch zu zweit laufen. Oder mit Stirnlampe… Halt, Einspruch! So ein hüpfender Lichtkegel ist eine Umdrehung zu viel. Jogger sind doch keine Höhlenmens­chen.

Bei Dunkelheit joggen bedeutet joggen ohne Helligkeit. Wann immer aber ein „ohne“mit im Spiel ist, geht es um Verzicht. Backen ohne Zucker, Essen ohne Salz, Bundesliga ohne Zuschauer, Skifahren ohne Schnee (also echten, schönen pudrigen). „Ohne“bedeutet jedenfalls fast immer, da fehlt etwas, das eigentlich naturgemäß dazugehört.

Und beim Joggen ohne Helligkeit ist es nicht nur das Licht. Sondern auch all das, was samt des Lichts verschwind­et. Was man also alles beim Joggen im Dunkeln nicht sieht: Sonnenstra­hlen, die sich zwischen den Bäumen brechen. Die Krähe, die einen lässig am Boden sitzend heranlaufe­n lässt, erst im letzten Moment den Abflug macht. Leuchtende Blätter, die einfach noch nicht fallen wollen. Eichhörnch­en beim Sprung. Steine, die jemand auf einer alten Bank zum Turm angehäuft hat. Einzelne Handschuhe, am Baum drapiert, damit sie gefunden werden. Müll. Okay, Letzteres passt nicht ins Konzept, bitte streichen. Es ist fast so, als würde man tagsüber joggen und dabei die Augen schließen. Macht keiner. Ist ja auch viel zu gefährlich. Wer ohne Helligkeit joggt, muss deswegen auch höllisch aufpassen. Auf Pfützen, Stolperste­llen und abends im Wald übrigens auch auf Wildschwei­ne! Wer tagsüber joggt, weiß, dass sie da sind, wegen all der Kuhlen. Joggen im Dunkeln ist deswegen ein bisschen so wie Joggen auf dem Laufband. Macht man, weil man sich bewegen, Kilometer runterreiß­en, fit bleiben möchte. So wie man sich mittags die labbrige Käsesemmel einverleib­t, weil man eben hungrig ist, aber nicht, weil sie besonders gut schmeckt. Wenn es irgendwie möglich ist, sollte man aber auf so etwas im Leben verzichten. Immer das Schönere, Bessere, Geschmackv­ollere wählen – genießen. So wie beim Laufen das Licht.

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Foto: Stock Adobe
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