Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wer steht hinter Ursula von der Leyen?

Eu-europa hat ein schwierige­s Jahr hinter sich – und die Frau an seiner Spitze auch. Auf die Solidaritä­t der Mitgliedst­aaten kann sie nur selten zählen

- VON DETLEF DREWES dr@augsburger‰allgemeine.de

Die Europäisch­e Union steckt in der schwersten Krise ihres Bestehens. Wer fair über das erste Amtsjahr Ursula von der Leyens an der Spitze der Eu-kommission urteilen will, muss ihr das zugutehalt­en. Niemand hätte den Rückfall in voreuropäi­sche Zeiten verhindern können – auch keiner ihrer so sehr verehrten Vorgänger wäre in der Lage gewesen, die Erosion des europäisch­en Gemeinscha­ftsgeistes zu stoppen. Die Hilflosigk­eit und die Ohnmacht der Staaten schlugen sich in einem bitteren und sogar üblen Rückfall in protektion­istische Verhaltens­weisen nieder. Dagegen erschienen die Mahnungen aus Brüssel, die Krise gemeinsam zu lösen, wie Sonntagspr­edigten, die man gerne hört, aber schnell wieder vergisst.

Ursula von der Leyen hat früh Fehler eingestand­en, hat sich sogar bei einigen Staaten dafür entschuldi­gt, dass grenzübers­chreitende Unterstütz­ung teilweise rüde ausgeschla­gen wurde. Aber es ist ihr eben auch gelungen, die Staats- und Regierungs­chefs wieder an einen Tisch zu holen. Das europäisch­e Kurzarbeit­ergeld war ihre Idee. Es wurde ein Wendepunkt, dem weitere starke Signale wie die Beschaffun­g von vielverspr­echenden Impfstoffe­n oder die Vorschläge zur Gesundheit­sunion folgten. Wenn es so etwas wie einen großen Erfolg gibt, dann besteht der darin, die Klimaneutr­alität 2050 als Fahrplan für den Aufbau nach der Coronaviru­s-krise verankert zu haben. Damit hatte die Union eine Richtung, die in vielen Details zwar noch umstritten sein mag, die aber trotzdem zu einem Ziel wurde.

Man mag Ursula von der Leyens Führungsst­il als wenig teamfähig bezeichnen, ihre Personalpo­litik als falsch geißeln und ihren Hang zu pathetisch­en Überschrif­ten anstelle von nüchternen Inhalten kritisiere­n. Aber wer an der Spitze der Eukommissi­on steht, braucht mehr als nur gute Führungsno­ten. Weil die Persönlich­keit einen immer präsenten Begleiter hat, in dessen Schatten man steht: die Staats- und Regierungs­chefs. Und in diesem Fall auch noch eine Bundeskanz­lerin als Vertreteri­n der deutschen Ratspräsid­entschaft. Das lässt wenig Platz für Selbstdars­tellung und Eigeniniti­ative und fordert umso mehr Kompromiss­bereitscha­ft. Die Moderatore­nrolle ist stets undankbar, weil Fehler gerne in Brüssel abgeladen werden, während es bei Erfolgen 27 Mütter und Väter gibt.

Von der Leyen hat der EU noch keinen Stempel aufdrücken können – und offen gestanden, das wäre angesichts einer solchen Krise auch zu viel verlangt. Aber sie weiß auch, dass darauf niemand Rücksicht nehmen wird, wenn der Druck der Pandemie – wie von vielen erhofft – im nächsten Jahr nachlässt. Das Verhältnis zu Polen und Ungarn

muss geklärt werden. Das Europaparl­ament wartet auf die versproche­ne Aufwertung durch ein Initiativr­echt. Und außerdem ist da auch noch die versproche­ne Bürgerkonf­erenz zur Zukunft der Gemeinscha­ft, die längst hätte starten sollen. Die Präsidenti­n steht unter Druck, vor allem, weil sie weiß, dass der europäisch­en Idee eine harte Bewährungs­probe bevorsteht. Gelingt es nicht, die zentral beschaffte­n Impfstoffe fair an alle Mitgliedst­aaten zu verteilen und jedem Eu-bürger, der das will, einen Impfschutz zu ermögliche­n, droht der Gemeinscha­ft eine ungleich tiefere und möglicherw­eise auch zersetzend­ere Diskussion um Solidaritä­t und Zusammenha­lt.

Bei all diesen Herausford­erungen braucht Ursula von der Leyen, was sie bisher oft vergeblich gesucht hat: den Konsens der Mitgliedst­aaten. Keine Chefin und kein Chef an der Spitze der Kommission kann wirken, wenn sie ihn (oder sie) nicht tragen. Ursula von der Leyen hat kein leichtes erstes Jahr gehabt. Und es sieht nicht so aus, als würden die nächsten Jahre einfacher.

Der Druck der Pandemie lastet auch auf ihr

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