Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals (117)
In die italienische Botschaft in Damaskus wird ein toter Kardinal eingeliefert. Was hatte der Mann aus Rom in Syrien zu schaf fen? Kommissar Barudi wird mit dem Fall betraut, der ihn zu reli giösen Fanatikern und einem muslimischen Wunderheiler führt.
Von dort oben hat sich einmal ein Unglücklicher in den Tod gestürzt. Er soll seiner Geliebten im fernen Damaskus ,Vergiss mich nicht‘ zugerufen haben, seitdem heißt dieser Felsen so.“Barudi räusperte sich. „Ich möchte mich bei dir für die gute gemeinsame Zeit bedanken. Ich schäme mich dafür, dass die Täter bei uns von höchster Stelle in Schutz genommen werden.“
„Mach dir keine Gedanken, du hast fabelhaft gearbeitet. Und solche Einmischungen kenne ich zur Genüge.“Sie stießen mit einem Glas Wein auf ihre Zusammenarbeit an und ließen sich all die Köstlichkeiten, die der Wirt persönlich servierte, schmecken.
„Du kannst dich auf mich verlassen, ich werde keine Ruhe geben, bis der Bischof bestraft wird“, versicherte Mancini.
Barudi freute sich über so viel freundliche Solidarität, nicht ahnend, dass Mancini es ernst meinte und sein Versprechen wahr machen würde. Drei Monate später, am 7. März 2011, schrieb Papst Benedikt XVI. einen unmissverständlichen, harten Brief an den katholischen Patriarchen von Damaskus, dessen Inhalt nicht öffentlich bekannt, dessen Wirkung aber sehr schnell sichtbar wurde. Es erging ein Erlass der Glaubenskongregation, mit dem sie nach katholischem kanonischen Strafrecht Bischof Tabbich wegen schwerer Straftaten seines Amtes enthob und ihn aus dem Priesterstand entließ. Das Schreiben schloss mit der knappen Bemerkung: Bei sofortiger Umsetzung wird der Vatikan auf eine öffentliche Bekanntmachung verzichten.
Der katholische Patriarch fügte sich erleichtert, und Bischof Tabbich erklärte öffentlich, er wolle sich aus persönlichen Gründen zurückziehen und meditieren.
Als der Patriarch, um die Wogen zu glätten und den gemeinen Gerüchten entgegenzutreten, eine Erwähnung des meditierenden ehemaligen Bischofs in seine Ostersonntagspredigt einfließen ließ, brach unter den versammelten Gläubigen wildes Gelächter aus. Der Patriarch erschrak. Er musste dreimal um Ruhe bitten, um den Gottesdienst fortsetzen zu können. Seine abgebrochene Predigt blieb als Torso zurück. Von Bischof Tabbich sprach er nie wieder.
Was im Schreiben des Papstes nicht stand, weil es sich dabei um eine rein vatikanische Angelegenheit handelte, war, dass Kardinal Buri „aus Altersgründen“alle Ämter niederlegen und sich ebenfalls zurückziehen musste. Nie wieder wechselte dieser mit Papst Benedikt auch nur ein Wort.
49. Eine Tochter der Freiheit Kommissar Barudis Tagebuch Samstag, den 15. Januar 2011 Ich bin ab heute bis Ende Januar beurlaubt und ab dem 1. Februar Rentner. Ich habe mit Freude alle übrig gebliebenen Diensttage im Kalender durchgestrichen.
Heute schreibe ich meine letzten Notizen über meine Arbeit als Kommissar.
Es fällt mir schwer, aber ich muss es mir einmal ganz offen eingestehen: Ich bin gescheitert. Ich beende meine Laufbahn mit einer Niederlage, so wie ich sie 1970 mit einer Niederlage begonnen habe. Nariman tröstet mich, und sie hat recht: Es ist nicht mein persönliches Scheitern. In einer hochmodernen, aber unfreien Gesellschaft ist die Wahrheitsfindung aussichtslos.
Mir ist es egal, wen das Regime auswählt, diese hässliche Täterrolle zu spielen. Wie ich hörte, ist es ein Islamist, der bereits zum Tode verurteilt wurde, weil er einen alawitischen Offizier erschossen hat. Ein idiotischer, brutaler Mord. Idiotisch, weil der Islamist den Geheimdienstchef mit dessen gleichnamigem Neffen verwechselt hat, der ein einfacher Offizier der Luftwaffe war, und barbarisch, weil hier nach fanatischer Selektion gemordet wird. Ich erinnere mich an den Bürgerkrieg im Libanon, wo Männer an einigen Kontrollpunkten aufgefordert wurden, die Hosen herunterzulassen, um sie nach Beschnittenen (Muslimen) und nicht Beschnittenen (Christen) zu sortieren. Je nach religiöser Zugehörigkeit der bewaffneten Kontrolleure wurden die einen oder die anderen erschossen, ohne nachzufragen, grundund hemmungslos. Waren die Steinzeitmenschen wirklich primitiver?
Solche bereits verurteilten Mörder hält der Geheimdienst für besondere Anlässe zurück, so wie jetzt, um die wahren Mörder des Kardinals zu decken. Entweder wurde der Mann unter Drogen gesetzt (Alis Auffassung), oder er wurde erpresst (Schukri weiß Genaueres darüber). Auf jeden Fall hat man ihn weichgeklopft, so dass er den Mord zugibt und auch einige Details benennt, die seine Glaubwürdigkeit untermauern. Diese Details, die aus unseren Ermittlungen stammen, hat mein Chef dem Geheimdienst zur Verfügung gestellt. Er hat mich, Mancini und all meine Mitarbeiter kaltblütig verraten, dieser miese Opportunist.
Ich kann nichts daran ändern. Trotzdem war ich so wütend, dass ich in sein Büro gegangen bin und ihm ins Gesicht gesagt habe, dass er uns verarscht und unsere Arbeit torpediert hat. Er lächelte blass und verlegen.
„Ich konnte nicht anders, mein lieber Freund, ich konnte nicht anders“, sagte er und machte mit der Hand Zeichen, dass wir abgehört werden.
In diesem Land geht nichts ohne die Zustimmung des Geheimdienstes.
„Aber…“, wollte ich protestieren.
„Kein Aber… Der Bischof und der Ehemann der Heilerin sind unschuldig…“, sagte er laut, um vor den Aushorchern gut dazustehen.
In den letzten Tagen vor meinem Abschied war Major Suleiman sehr zynisch, um seine Unsicherheit und seinen Verrat zu verbergen. „Barudi, Barudi“, rief er mir in meiner letzten Morgenbesprechung zu. „Aufwachen! Du bist nicht in Schweden geboren, oder? Wir leben in einem wunderschönen Land, und wir dürfen machen, was wir wollen, aber ab und zu geht das Ansehen des Staates über die Gerechtigkeit.“
Ich könnte heulen vor Scham über diesen Mann, dessen einziges Interesse es ist, durch unsere oft lebensgefährliche Arbeit gute Bewertungen vom Geheimdienst zu bekommen. Er strahlte wie der Mond – nicht durch sein eigenes Licht.
Ich ging, und noch bevor ich die Tür erreicht hatte, fügte er hinzu: „Du und Mancini, ihr werdet eine hohe Auszeichnung bekommen. Dafür habe ich gesorgt.“
Vor vier Tagen haben wir, Schukri, Mancini und ich, einen Ausflug ins Kalamungebirge unternommen. Fünfzig Kilometer nördlich von Damaskus, und man ist in einer völlig anderen Welt. Karge Landschaft, hohe Felsen, fast wie im berühmten amerikanischen Grand Canyon. Absolute Ruhe. Hier konnte man uns nicht abhören. Wir ließen die Smartphones im Auto. Bald stießen wir bei unserer Wanderung auf ein winzig kleines Lokal, mitten in der herrlichen Landschaft.
»118. Fortsetzung folgt