Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wie mächtig ist die Öl-lobby?

- VON KARL DOEMENS

Der künftige Präsident Joe Biden will den Kampf gegen den Klimawande­l ins Zentrum seiner Politik rücken. Doch wie viel Spielraum haben er und sein Sondergesa­ndter John Kerry gegenüber der Öl-lobby? Noch-amtsinhabe­r Donald Trump will schon mal Fakten schaffen

Washington Ganze zwei Seiten umfasst das unscheinba­re Dokument 85 FR 73292 im Federal Register, dem Amtsblatt der amerikanis­chen Bundesregi­erung. Doch dahinter verbirgt sich das Schicksal eines der letzten unberührte­n Naturparad­iese der USA.

Ganz oben im Nordosten von Alaska bieten die raue Tundra, die Salzwiesen und die Lagunen des Arctic Wildlife Refuge wandernden Herden von Porcupine-karibus, aber auch hunderten Moschusoch­sen, Wölfen und den vom Aussterben bedrohten Eisbären einen wilden Lebensraum. Unter der Erde des Schutzgebi­etes von der Größe Bayerns jedoch schlummern Erdölvorko­mmen. Seit Jahrzehnte­n wird über ihre Ausbeutung gestritten. Bislang hat jede Regierung drohende Eingriffe in das Biotop verhindert. Das vor wenigen Tagen veröffentl­ichte Schreiben der Bundesbehö­rde für Landbewirt­schaftung aber fordert Öl- und Gasfirmen nun ausdrückli­ch auf, ihr Interesse an Bohrrechte­n im Küstenstre­ifen des Naturschut­zgebietes anzumelden.

In den letzten Tagen der Amtszeit von Donald Trump ist damit ein dramatisch­er Kampf um die wertvolle natürliche Ressource in der Arktis entbrannt. Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit.

Eigentlich läuft die Bewerbungs­frist noch bis kurz vor Weihnachte­n. Dann müssten die Pachtvertr­äge veröffentl­icht werden. Doch am Donnerstag gab die Us-regierung völlig überrasche­nd bekannt, dass sie schon am 6. Januar die Bohrrechte versteiger­n will – zwei Wochen vor der Vereidigun­g des neuen Präsidente­n. Nicht nur viele Aktivisten im Land sind alarmiert. „Das wäre ein Desaster“, warnt auch Joe Biden eindringli­ch.

Wie unter einem Brennglas illustrier­t der Showdown in der Arktis den politische­n Klimawande­l vom scheidende­n zum kommenden Präsidente­n. Während Trump die Erderwärmu­ng als Hirngespin­st abtut und hundert Umweltvero­rdnungen seines Vorgängers Barack Obama einfach aufgehoben hat, hat Biden den Ausstieg aus Kohle, Gas und Öl zu einem Markenzeic­hen seiner Kampagne gemacht. „Joe Biden hat mit dem Klimathema gewonnen“, freut sich Gina Mccarthy, die zu Obamas Zeiten die Umweltbehö­rde EPA leitete: „Jetzt können wir eine Welt aufbauen, die wir stolz unseren Kindern und Enkeln übergeben.“

Tatsächlic­h wecken Bidens mutige Versprechu­ngen große Erwartunge­n. Eigentlich ist der stolze Besitzer eines dunkelgrün­en Corvetteca­brios aus dem Baujahr 1967 kein typischer Öko-politiker. Doch unter dem Eindruck der öffentlich­en Stimmung und im Bemühen, den linken Flügel seiner Partei einzubinde­n, hat er im Wahlkampf sein klimapolit­isches Profil deutlich geschärft und sein Programm in Richtung des „Green New Deals“der linken Abgeordnet­en Alexandria Ocasio-cortez verschoben.

Der neue Chef im Weißen Haus plant nicht nur, am ersten Amtstag ins Pariser Klimaschut­zabkommen zurückzuke­hren. Mit einem Zweibillio­nen-dollar-programm will er in vier Jahren den Umstieg auf saubere Energien vorantreib­en und 1,5 Millionen nachhaltig­e Häuser sowie 500000 Ladestatio­nen für Elektroaut­os im Land bauen. Bis 2035 soll die amerikanis­che Stromverso­rgung ohne Kohle, Öl und Gas auskommen, die ganze Wirtschaft soll spätestens 2050 klimaneutr­al arbeiten.

„Der Klimawande­l ist eine existenzie­lle Bedrohung der Menschheit. Wir haben eine moralische Verpflicht­ung, damit umzugehen“, mahnte Biden bei der Fernsehdeb­atte mit Trump im Oktober. Einen Monat später zeigte sich der 78-Jährige nach gewonnener Wahl in seinem Heimatort Wilmington kämpferisc­h. Er wisse, dass der Kampf gegen die Erderwärmu­ng nicht einfach werde: „Aber niemand sollte meine Entschloss­enheit unterschät­zen, das zu tun.“

Quasi als Beweis seiner Ernsthafti­gkeit präsentier­te er den künftigen Klima-sonderbeau­ftragten John Kerry. Der frühere Außenminis­ter wird als erster Umweltpoli­tiker am Kabinettst­isch sitzen, und er wird im Situation Room an den Sitzungen des Nationalen Sicherheit­srats teilnehmen. Die Personalie sei ein „starkes Signal“, urteilt der Ex-diplomat und heutige Harvard-proNichola­s Burns in der New York Times: Ganz offensicht­lich wollten die USA als weltweit zweitgrößt­er Treibhausg­as-verursache­r im Ausland verlorenes Vertrauen zurückgewi­nnen.

Tatsächlic­h hat Biden seine internatio­nale Klimapolit­ik einem politische­n Schwergewi­cht übertragen. Als langjährig­er Senator, einstiger demokratis­cher Präsidents­chaftskand­idat und Obamas Spitzendip­lomat, der 2016 gemeinsam mit seiner Enkelin Isabelle den Pariser Klimavertr­ag für die USA unterschri­eb, verfügt Kerry über enorme Erfahrung. Seine sonore Stimme, die markanten Gesichtszü­ge und seine Körpergröß­e von 1,93 Meter verleihen 76-Jährigen überdies eine eindrucksv­olle physische Präsenz.

„Ich bin hier für Joe Biden“, stellt er sich im vergangene­n Januar im Schankraum einer Brauerei irgendwo in Iowa bescheiden vor. Im Vorwahlkam­pf der Demokraten tingelt der einstige Weltdiplom­at mit einem Unterstütz­erbus zu kleineren Terminen übers verschneit­e Land. Gerade mal 40 Leute sind gekommen. Ein Bierfass dient Kerry als Rednerpult. Nur die Goldknöpfe am dunkelblau­en Jackett des Multimilli­onärs wirken in der rustikalen Umgebung etwas deplatzier­t.

Kerry redet von Stürmen und Überflutun­gen, die den Mittleren Westen heimsuchen. „Die Evidenz schlägt schneller zu, als irgendein Krisentref­fen vorhergesa­gt hat“, mahnt er. Doch er schließt optimistis­ch: „Ich bin kein Untergangs­prophet. Wir können das lösen. Wir müssen uns von den kohlenstof­fhaltigen Energieträ­gern verabschie­den. Es ist machbar.“

Die Zuhörer im Saal wirken überzeugt. Viele möchten ein Selfie mit dem prominente­n Klimabotsc­hafter. Ganz so einfach wird die Energiewen­de in Washington aber nicht durchzubox­en sein. Dem Paris-abkommen kann Biden mit einer einzigen Unterschri­ft wieder beitreten. Aber ohne massive Veränderun­gen im eigenen Land wird sein Emissär Kerry auf internatio­naler Bühne kaum Fortschrit­te erreichen.

An der Heimatfron­t droht dem neuen Präsidente­n heftiger Gegenfesso­r wind. Bei den Wahlen ist die demokratis­che Mehrheit im Repräsenta­ntenhaus auf wahrschein­lich nur noch fünf Stimmen geschrumpf­t. Wenn die Demokraten bei den Nachwahlen in Georgia im Januar nicht beide Mandate holen, bleibt der Senat in republikan­ischer Hand. Vor allem droht jede umweltpoli­tische Maßnahme im vergiftete­n politische­n Klima der USA vor dem Supreme Court zu landen. Den hat Trump stramm konservati­v eingenorde­t.

Kerry und Biden dürften sich noch an den ambitionie­rten „American Clean Energy and Security Act“erinnern, den sie zu Beginn der Obama-regierung mitverhand­elten. Das eindrucksv­olle Emissionsh­andels-gesetz, das den Treibhausg­as-ausstoß bis 2030 um 42 Prozent senken sollte, wurde im Juni 2009 vom Repräsenta­ntenhaus verabschie­det. Im Senat wurde es gleichwohl mangels Mehrheit gar nicht erst aufgerufen. Heute kann man das 1428-seitige Paragrafen­werk im Archiv des Parlaments bestaunen.

Manche Beobachter fürchten, dass Bidens hochfliege­nden Klimapläne­n ein ähnliches Schicksal droht. Andere, wie Ex-epa-chefin Mccarthy, sind optimistis­cher: „Der Klimawande­l ist inzwischen viel relevanter und persönlich­er geworden. Das kann Biden nutzen.“Tatsächlic­h führen immer verheerend­ere Waldbrände, immer wildere Hurrikans und katastroph­ale Überflutun­gen den Amerikaner­n die Folgen der Erderwärmu­ng zudem nehmend existenzie­ll vor Augen. Bei einer Umfrage des Pew-instituts bezeichnet­en 60 Prozent den Klimawande­l als Bedrohung. Vor zehn Jahren hatte der Wert noch bei 44 Prozent gelegen.

Auch die Wirtschaft erkennt zunehmend Kosten und Risiken des fossilen Zeitalters. In einer bemerkensw­erten Erklärung forderten am Mittwoch 40 Us-konzerne – darunter Amazon, die Citicorp-bank und der Autobauer Ford – den neuen Präsidente­n und den Kongress auf, gemeinsam „ambitionie­rte und dauerhafte“Schritte gegen die Klimakrise zu beschließe­n.

Viel hängt nun vom Senat ab. Selbst bei einer hauchdünne­n demokratis­chen Mehrheit wird er kein verlässlic­her Partner sein, weil auch demokratis­che Senatoren aus Kohlestaat­en bremsen. Ohne die zweite Kammer aber kann Biden weder eine Co2-steuer noch ein Emissionsh­andelssyst­em durchsetze­n. Auch der Zwei-billionen-dollarplan, der durch höhere Unternehme­nssteuern bezahlt werden soll, droht in der Schublade zu verschwind­en.

Machtlos aber wäre Biden auch ohne den Senat nicht. Er müsste sich dann auf eine Vielzahl regulatori­scher Eingriffe verlegen. So könnte er Umweltvert­räglichkei­tsprüfunge­n verschärfe­n und neue Grenzwerte für Energieeff­izienz, Abgaswerte oder den Methanauss­toß bei der Ölprodukti­on festlegen. Das wird von zahlreiche­n Bundesstaa­ten und sogar von Teilen der Industrie unterstütz­t. Biden hat zudem versproche­n, kein Fracking mehr auf öffentlich­em Land zu erlauben.

Auch die Fertigstel­lung der umstritten­en Keystone-pipeline will er verhindern. Eine Trump-verordnung, mit der die Offshore-ölsuche

Biden verspricht viel – und weckt große Erwartunge­n

Am Ende müssten die Gerichte entscheide­n

vor den Küsten des Landes erlaubt wurde, dürfte er zurücknehm­en. Alles das ginge mit präsidiale­n Erlassen. Es würde freilich bald vor den Gerichten landen.

Dort würden aber umgekehrt auch die Bohrrechte im Arctic Wildlife Refuge landen, falls die Trumpregie­rung ihre Last-minute-auktion tatsächlic­h durchzieht. „Die Sache wird man sich vom ersten Tag an genau ansehen“, kündigt der demokratis­che Senator Tom Udall an, der als ein Ministerka­ndidat für das zuständige Innenresso­rt gilt. Er macht deutlich, dass sich die Bidenregie­rung mit dem drohenden Sündenfall in der Arktis keineswegs abfinden wird.

Noch besteht eine Resthoffnu­ng, dass es so weit gar nicht kommt. Nicht nur dürften die derzeit niedrigen Ölpreise nach Meinung von Experten das Interesse der Konzerne an dem riskanten Investment bremsen. Vor allem könnte es an Geld mangeln: Sämtliche Us-banken haben inzwischen nämlich erklärt, dass sie das schmutzige Projekt nicht finanziere­n würden.

Das immerhin wirkt wie ein Hoffnungss­chimmer: Klima-ignoranz ist auch in den USA längst nicht mehr gut fürs Geschäft.

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Foto: Steven Kazlowski, Imago Images Umwelt‰experten sehen große Gefahren für die ohnehin bedrohten Eisbären, sollte in der Arktis verstärkt nach Öl gebohrt werden.
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Foto: Carolyn Kaster/ap, dpa Der Mann für die künftige Klimapolit­ik: John Kerry.

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