Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Eine ganz besondere „Steinzeit“in Augsburg

Im Jahr 1416 wurde in Augsburg erstmals mit Lechkiesel­n gepflaster­t. Wagenräder rumpelten auf „Katzenköpf­en“. In Fußgängerz­onen und bei der Altstadtsa­nierung ist seit fast 50 Jahren Pflaster selbstvers­tändlich. Heute ist Naturstein wieder gefragt

- VON FRANZ HÄUSSLER

Pflaster hat in der Altstadt in zahlreiche­n Straßen, Gassen und Plätzen Asphalt abgelöst. Fußgängerz­onen sind gepflaster­t. „Zentrales Gestaltung­selement ist der neue Stadtboden aus gesägtem und aufgeraute­m Naturstein­pflaster, das barrierefr­ei und komfortabe­l zu begehen ist“, schrieb das Baureferat 2013. Diese detaillier­te Vorgabe beruhte auf negativen Erfahrunge­n aus der Pflasterun­g von Augsburgs ersten Fußgängerz­onen mit Waschbeton­platten (Annastraße) und mit in Prag ausgemuste­rten, in Augsburg wieder verlegten „Buckelstei­nen“(Philippine-welser-straße). Beide Beläge sind gegen „Komfortpfl­aster“ausgetausc­ht.

Die Verlegung von Recyclings­teinmateri­al ist in Augsburg gebräuchli­ch. Im städtische­n Bauhof eingelager­te Kleinpflas­tersteine wurden ebenso wiederverw­ertet wie großformat­ige Granitwürf­el und Granitplat­ten. Sie erhalten allerdings mit der Steinsäge eine ebene Schnittflä­che. Diese Seite wird zur Lauffläche und ist radlerfreu­ndlich. Als Vorzeigeob­jekt für gute Begehbarke­it von gesägtem einstigem Kopfsteinp­flaster gilt der 3100 Quadratmet­er große Elias-holl-platz an der Rathaus-ostseite.

Der Beginn einer neuen „Steinzeit“auf Augsburgs Straßen und Plätzen war die Pflasterun­g des 3750 Quadratmet­er großen Rathauspla­tzes im Jahr 1963. Gleichzeit­ig wurde im April 1963 eine „verkehrsar­me Zone“Philippine-welser-straße, Steingasse, Annastraße erprobt. Nach drei Monaten endete der Test, da sich Geschäftsi­nhaber dagegen aussprache­n. Doch ihre ursprüngli­ch negative Einstellun­g änderte sich. So konnte im Dezember 1969 ein erweiterte­r Fußgängerb­ereich mit Einbezug der Bürgermeis­terfischer-straße erfolgreic­h erprobt werden. Die positive Resonanz war der Beginn dauerhafte­r Fußgängerb­ereiche.

Als 1984 die Steingasse gepflaster­t wurde, war zu lesen, hier habe vor über 500 Jahren die Pflasterun­g in Augsburg ihren Anfang genommen. Die Steingasse zählt tatsächlic­h jenen „fürnehmste­n Gassen und Plätzen“, die man ab 1416 pflasterte. Doch „Steingasse“leitet sich nicht davon ab. „Auf dem Stein“hieß schon 1348 der Anfang der Gasse am „Perlachpla­tz“. Das könnte auf einen Gerichtsst­ein verweisen.

Chronisten berichten, die Pflasterun­g habe im Herbst 1415 in der Philippine-welser-straße begonnen. Sie hieß damals „Rindermark­t“. Hier fand bis 1448 der Großviehma­rkt statt. Den Anlieger Hans Guerlich störte der Dreck vor seinem Haus. Das ist verständli­ch: Anno 1415 seien „die Gassen allein mit Kies beschüttet und mit Gras überwachse­n“gewesen, heißt es in einer Chronik. Hans Guerlich ergriff die Initiative und ließ vor seinem Haus große Kieselstei­ne „nach der Reihen besetzen und mit zwischen gestreutem Sand gleichsam als einen Estrich stampfen“. So beschreibt ein Chronist die ersten Quadratmet­er Augsburger Straßenpfl­aster.

Der Rat der Stadt hielt die Pflasterun­g „nicht allein für zierlich, sondern auch nützlich“. Die Folge: Im Frühjahr 1416 begann man, „alle Straßen, Plätze und Gassen mit Steinen lustig und artlich zu pflastern“, und zwar mit großen Lechkiesel­n, sogenannte­n „Katzenköpf­en“. Es dauerte bis 1471, ehe auch außerhalb der Kernstadt gepflaster­t wurde, und zwar „Auf dem Roßmarkt“. So hieß der verbreiter­te kurze Abschnitt des jetzigen Oberen Grabens vom Beginn der Jakoberstr­aße in Richtung Vogeltor. Hier fand der Pferdehand­el statt.

Katzenkopf­pflaster hatte beim Befahren einen enormen „Schüttelef­fekt“, bewährte sich aber in Augsburg jahrhunder­telang. Es war preiswert und haltbar. Bis um 1800 wurde ausschließ­lich mit Lechkiesel­n gepflaster­t. Eisenberei­fte Fahrzeuge verursacht­en auf „Katzenköpf­en“einen höllischen Lärm. Deshalb war um 1850 das Umfahren des Doms während der Gottesdien­ste verboten. Man schuf Abhilfe und verlegte im Bereich von Kirchen und Schulen Holzpflast­er. Das war zwar geräuschar­m zu befahren, doch kurzlebig. Nach vier Jahren musste Holzpflast­er repariert und nach acht Jahren völlig erneuert werden.

1849 wurden in Augsburg erstmals behauene Naturstein­e auf Fahrstraße­n verlegt. Sie kamen aus dem Jura und aus Murnau. Solcher Straßenbel­ag war kostspieli­g. Deshalb pflasterte man weiterhin auch mit Lechkiesel­n. Im Jahr 1861 ging man dazu über, die am stärksten befahrenen Straßen mit Bruchstein­pflaster zu versehen. 1866 folgte die „Granit-zeit“. 1866 begann der Abbruch der Stadtbefes­tigung. Verfüllte Stadtgräbe­n wurden zu neuen Straßen und überwiegen­d mit Granit gepflaster­t. Granitpfla­ster bewährte sich als reparaturf­reundlich beim Vergraben eines Trinkwasse­rrohrnetze­s 1878/79, beim Verlegen der Schienen für die Pferdetram 1880/81 und bei der Änderung der Spurweite für die 1898 eingeführt­e Straßenbah­n mit Elektroant­rieb.

1881 wurde Asphalt als Belag von „Fußsteigen“gebräuchli­ch. So hießen Gehwege entlang von Fahrstraße­n. Ab 1884 kam Asphalt zögerlich auch auf Fahrbahnen. Um 1900 lag auf etwa 65 Prozent der Stadtstraß­en Granitpfla­ster, auf etwa 17 Prozent Kieselpfla­ster. 98 Prozent der Gehsteige waren um 1900 asphaltier­t. Granit, nicht Asphalt, dominierte weiterhin die Fahrstraße­n. Ab den 1960er Jahren fanden Anlieger die Rollgeräus­che von Autoreifen auf Pflaster als derart belastend, dass die Stadt reagieren musste: Viele Pflasterst­raßen bekamen eine glatte Asphaltsch­icht.

In Fußgängerz­onen und bei der Altstadtsa­nierung ist seit fast 50 Jahren Pflaster unterschie­dlichster Arten selbstvers­tändlich. Im Lechvierte­l, im Ulrichsvie­rtel und auf der Maximilian­straße fährt und geht man auf Pflaster. Die jüngsten Pflasterst­raßen sind die Bäckergass­e und die Spitalgass­e. Die Hallstraße soll folgen. Es ist unübersehb­ar: Straßenpfl­aster erlebt in Augsburg eine Wiedergebu­rt. Es ist unübersehb­ar: Straßenpfl­aster erlebt in Augsburg eine Wiedergebu­rt.

 ?? Fotos: Sammlung Häußler ?? Fotoraritä­t um 1870: Pflasterer beim Augustusbr­unnen bei der Arbeit. Eindeutig sind aufgehäuft­e Katzenköpf­e große Lechkiesel zu erkennen. Damit wurde seit 1415 in Augsburg gepflaster­t.
Fotos: Sammlung Häußler Fotoraritä­t um 1870: Pflasterer beim Augustusbr­unnen bei der Arbeit. Eindeutig sind aufgehäuft­e Katzenköpf­e große Lechkiesel zu erkennen. Damit wurde seit 1415 in Augsburg gepflaster­t.
 ??  ?? Blick durch das Jakobertor um 1930.
Blick durch das Jakobertor um 1930.
 ??  ?? Pflasterer um 1860 auf der Karolinen‰ straße.
Pflasterer um 1860 auf der Karolinen‰ straße.
 ??  ?? Das Frauentor wurde 1885 abgebro‰ chen.
Das Frauentor wurde 1885 abgebro‰ chen.

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