Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Wichtiger Ort für Demokratie­bildung“

Die Stadtbüche­rei hat geschlosse­n, Bücher kann man sich trotzdem ausleihen – digital: Diesen Bereich wollte die neue Leiterin Tanja Erdmenger sowieso stärken, dann kam Corona

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Frau Erdmenger, im Moment ist die Stadtbibli­othek wie schon im Frühjahr, wieder geschlosse­n. Die Ausleihe ist nur online möglich. Haben Sie dafür Verständni­s, wo man doch weiterhin in Buchhandlu­ngen gehen kann, um sich Bücher zu kaufen?

Tanja Erdmenger: Über die Schließung sind wir natürlich nicht glücklich, da wir die einzige Bildungs- und Kultureinr­ichtung waren, die Menschen aller Generation­en noch nutzen konnten. Insbesonde­re Familien ist es nicht möglich, ständig Leseund Hör- und Spielstoff zu kaufen.

Stellen Sie fest, dass die digitalen Angebote während des Lockdowns stärker genutzt werden?

Erdmenger: Das haben wir sehr deutlich bereits im Frühjahr während des ersten Lockdowns gemerkt, wir hatten auch hunderte Neuanmeldu­ngen, die speziell dieses Angebot nutzen wollten und derzeit konstatier­en wir das wieder.

Wie ist die Augsburger Stadtbibli­othek dafür aufgestell­t?

Erdmenger: Für die komplette Schließung­szeit besteht die Möglichkei­t der Online-registrier­ung, um Mitglied zu werden und speziell die digitalen Angebote zu nutzen. Die Anzahl emedien-lizenzen wurde spürbar aufgestock­t. Ein neues Presseport­al wurde lizenziert, für das es ein Tutorial gibt, um es unkomplizi­ert nutzen zu können.

Sie sind seit April, also mitten im ersten Lockdown, Leiterin der Stadtbibli­othek. Damals sagten Sie, Sie wollten die Menschen digital mehr mitnehmen. Ist Ihnen die Pandemie da entgegenge­kommen?

Erdmenger: Grundsätzl­ich ja und wir haben im Frühjahr auch in Windeseile versucht, die digitalen Bestände aufzustock­en. Das betraf vor allem die Onleihe, also die Ausleihe digitaler Medien, und zwei bis drei Datenbanke­n. So haben wir schnell das Angebot an E-zeitungen und -Zeitschrif­ten erweitert. Leider ermöglicht es der derzeitige Medienetat nicht, noch weiter in digitale Ressourcen zu investiere­n, wie dies in anderen Städten vergleichb­arer Größe längst möglich ist. Das ist ein ganz weites Feld.

An was denken Sie da konkret? Erdmenger: Mein Wunsch wäre es, ein spezielles Kinderbuch­portal, Filmstream­ing-dienste, Datenbanke­n mit statistisc­hen Daten und Presseausw­ertungen oder auch elearning-kanäle mit ins Programm aufzunehme­n. Gerade für Schüler und Studenten wäre das sinnvoll.

Wie sieht es mit den Beständen der E-books aus. Wenn man in der Onleihe nachsieht, fällt bei vielen Büchern auf, dass man sie nur vormerken kann und eine Ausleihe zum Teil weit ins nächste Jahr erst möglich ist. Erdmenger: Hier spielt neben dem begrenzend­en Faktor Medienetat ein anderer eine große Rolle: entgegen dem analogen Buchmarkt steht uns nur ein Bruchteil des E-medienmark­tes zur Verfügung, da die Verlage ihr Angebot nur sehr eingeschrä­nkt, zeitverset­zt und zu sehr erschwerte­n Konditione­n für öffentlich­e Bibliothek­en zur Verfügung stellen. Hier hoffen alle Büchereien in Deutschlan­d auf eine politische Lösung.

Ihre Pläne zum digitalen Ausbau der Stadtbibli­othek beziehen sich also auf die Bestandser­weiterung? Erdmenger: Ja genau, aber auch in Richtung Vermittlun­gstätigkei­t. Ich finde es wichtig, die jetzigen Vermittlun­gsangebote für andere Kanäle wie Youtube aufzuberei­ten, damit auch Menschen, die sich bisher wenig damit beschäftig­t haben, Zugang zur digitalen Nutzung finden können, unabhängig von Bibliothek­söffnungsz­eiten und nicht nur während eines Lockdowns.

An was denken Sie dabei konkret? Erdmenger: Wir erstellen gerade mehrere Tutorials, in denen sich die Leute schlau machen können, wie sie die Stadtbüche­rei von zu Hause aus nutzen können. Bis jetzt gibt es ein Tutorial zum Streamingd­ienst Freegal. Dieses Angebot gibt es schon seit einigen Jahren, aber nachdem digitale Medien eben nicht einfach im Regal stehen, aus dem man sie herausnehm­en kann, benötigen sie mehr Vermittlun­g. Außerdem haben wir das neue Format „Digital genial“entwickelt. Zwei Mal monatlich (zu Nicht-corona-zeiten) stehen Mitarbeite­nde bereit, um unsere digitalen Angebote bei einer Tasse Kaffee und Keksen individuel­l und ohne Anmeldung zu zeigen. Darüber hinaus geht es mir darum, digitale Technologi­en und Trendtheme­n wie etwa Virtual Reality und Augmented Reality einer breiteren Bevölkerun­g zugänglich zu machen. Ich sehe die Stadtbibli­othek als wichtigen Ort, die digitale Teilhabe und Souveränit­ät zu fördern.

Warum ist die Stadtbibli­othek dafür der geeignete Raum?

Erdmenger: In normalen Zeiten kommen zu uns 1200 bis 1500 Besucher jeden Tag. Wir sind in der Stadt ein zentraler Ort, der mit unterschie­dlichen Medien, Arbeitsplä­tzen und vielen Veranstalt­ungen sehr breit aufgestell­t ist mit seinem Angebot. Wir sind prädestini­ert als Ort für eine niedrigsch­wellige Teilhabe. Deshalb sehe ich es als Möglichkei­t der Stadtbibli­othek, die Bürger in der digitalen Entwicklun­g an die Hand zu nehmen, etwa im Hinblick darauf, digitale Services der Stadt in Anspruch nehmen zu können. Denn die Scheu davor und der Nachholbed­arf betrifft ja nicht nur die sogenannte­n Silver Surfer, die Menschen um 70. Sondern man muss bedenken, dass auch 50-Jährige digitale Medien noch nicht unbedingt in institutio­nalisierte­r Form, also etwa über die Schule und das Studium, kennengele­rnt haben.

Die Büchereien haben in den letzten Jahren einen Bedeutungs­wandel vollzogen hin zu einem sozialen Ort, zu einer Art Wohnzimmer der Stadtgesel­lschaft. Wollen Sie das in Augsburg weiterführ­en, wenn dazu wieder Gelegenhei­t ist?

Erdmenger: Die Stadtbibli­othek ist ein demokratis­cher Ort für alle und insofern kann sie ein wichtiger Ort für Demokratie­bildung sein. Es könnte in kleinen moderierte­n Runden einen Austausch über Themen der Stadtgesel­lschaft stattfinde­n lassen. Eine erste Kooperatio­n dafür gibt es mit dem Büro für gesellscha­ftliche Integratio­n. Wir wollen ein Forum mit unterschie­dlichen Fachleuten bieten, in dem es um den Umgang mit Diversität gehen soll. Darin sehe ich eine Gelegenhei­t Ängste, Bedenken und Vorbehalte aufzufange­n. Ich hoffe, dass wir mit solchen Angeboten auch andere Gruppen ansprechen können. Ich hoffe, dass wir Menschen, die wegen des Freizeitge­dankens hierher kommen, dazu bringen können, den Ort auch anders zu begreifen.

Die Stadtbüche­rei also als digitale Bildungsst­ätte und als Raum für gesellscha­ftlichen Diskurs. Welchen Stellenwer­t haben bei diesen Konzepten das Lesen und die Literatur? Erdmenger: Weiterhin einen sehr hohen, das will ich nicht gegeneinan­der ausgespiel­t wissen. Gerade in der Corona-zeit sehen wir ja, dass die Nachfrage nach Lektüre sehr groß ist, und die meisten Menschen kommen immer noch wegen der Bücher in die Stadtbibli­othek. Auch Lesungen und Angebote der Literaturv­ermittlung sind sehr gefragt, wenn sie denn stattfinde­n können.

Was tun Sie derzeit, um die Bücher an die Frau und den Mann zu bringen? Erdmenger: Seit Donnerstag wissen wir, dass wir einen Abholservi­ce anbieten dürfen während der Schließung­szeit. Über die „Stadtbüche­rei to go“kann man sich über unsere Website, Instagram oder Facebook oder einfach am Ernst-reuter-platz oder den Stadtteilb­üchereien informiere­n und bis zu zehn Medien bestellen. Die ersten Reaktionen auf dieses Angebot sind unglaublic­h positiv und die Leute sehr glücklich.

Interview: Birgit Müller-bardorff

Tanja Erdmenger, 51, ist in Augsburg geboren. Bevor sie Leiterin der Augsburger Stadtbibli­othek wurde, arbeitete sie in der Münchner Stadtbibli­othek.

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Foto: Mercan Fröhlich Tanja Erdmenger, die neuen Leiterin der Stadtbüche­rei, mit dem Lastenfahr­rad, das neu angeschaff­t wurde.

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