Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Tina Schüssler kämpft gegen unsichtbare Gegner
Wie die ehemalige Box-weltmeisterin mit den Cyber-attacken aus dem Internet umgeht, die auch vor Morddrohungen nicht zurückschrecken. Es gibt erste Ermittlungsergebnisse
Tina Schüssler ist eine wahrhaft unerschütterliche Kämpfernatur. Die Powerfrau hat sich nicht nur im Boxring mit zahlreichen Gegnerinnen gemessen und sowohl im Boxen, Kickboxen als auch K1 drei Weltmeistertitel geholt. Selbst eine schwere Krankheit konnte sie nicht aus der Bahn werfen. Nachdem sie 2009 einen Schlaganfall erlitten hatte, im Koma lag und halbseitig gelähmt war, hat sie sich mit Zähigkeit ins Leben zurück gekämpft, holte 2013 sogar noch eine weitere Weltmeisterschaft.
Seitdem stellt sie sich für viele Organisationen in den Dienst der guten Sache, unterstützt unter anderem das Rote Kreuz, krebskranke Kinder oder die Kinder-palliativstation, setzt sich gegen Tierversuche und gegen Rassismus ein. Vom reis Augsburg wurde die 46-Jährige zur Botschafterin ernannt. An einem unsichtbaren Gegner wäre Schüssler, die nach dem Ende ihrer Sportlerlaufbahn nun als Sängerin und Moderatorin Karriere macht, in den vergangenen Wochen und Monaten aber fast zerbrochen. Terrorattacken aus dem Internet machten ihr und ihrer Familie das Leben zur Hölle. Überdimensionale Essensbestellungen und Drogen wurden angeliefert, Schlüsseldienste kreuzten vor ihrer Privatadresse auf. Doch damit nicht genug: „Es gab Anrufe von Nummern, die Polizeidienststellen in Augsburg und Umgebung gehören, mit Morddrohungen. Vom Firmentelefon meiner Eltern wurde eine Polizeidienststelle angerufen und den Beamten erzählt, dass wir ermordet werden und sofort Hilfe brauchen. So stand bei meinen Eltern um zwei Uhr nachts plötzlich die Polizei vor der Tür.“
Während ihrer Late-night-fernsehsendung „Night Call“, die sie im Internet moderiert, wurde sie permanent massiv beleidigt und bedroht. „Wir und die Zuschauer waren geschockt von den Ausdrücken, die hier verwendet wurden“, ist Tina Schüssler entsetzt. Zuletzt rief ein Bestattungsunternehmen an, das sich um die Familie und den Leichnam der soeben verstorbenen Tina Schüssler kümmern sollte.
Es ging noch weiter: „In einer E-mail wurde ich aufgefordert, ein Video zu drehen, in dem ich mich niederknie und den Boden küsse, um die Erbschuld, die auf den Deutschen aufgrund der Ermordung der Juden im Dritten Reich lastet, anzuerkennen“, kann Schüssler nur den Kopf schütteln. „Ich hätte nie gedacht, dass mein Leben durch so etwas derart beeinträchtigt werden kann, dass wir letztendlich sogar kapitulieren und die Sendung einstellen, um denen kein weiteres Forum mehr zu geben.“Woher diese dubiosen Attacken kommen? Tina Schüssler hat eine Vermutung: „Begonnen hat alles damit, als ein Anrufer während der Sendungen seine Geschlechtsteile in die Kamera gehalten hatte. Um unsere Internetkanäle, die dadurch wegen Verbreitung pornografischer Inhalte geschlossen wurden, wieder öffnen lassen zu können, mussten wir Strafanzeige gegen diesen Flitzer stellen.“Eine Woche später ging es mit dem Terror los. „Es ist eine kriminelle Gruppierung, die im Darknet über ausländische Server operiert. Sie hat es sich zum Ziel gesetzt, Menschen zu zerstören. Sie wollen, dass man sich machtlos fühlt. Das haben sie mir und meinem Lebensgefährten Clemens Brocker auch ganz offen gesagt. Sie wollen dich fertigmachen, demütigen.“
Das sei alles sehr belastend. „Natürlich hat man Angst, ob sie den letzten Schritt auch noch gehen und mich „wegmachen“, wie sie angedroht haben.“Doch Tina Schüssler weigert sich, die Opferrolle einzunehmen: „Sie haben sich die Falsche ausgesucht. Ich gebe nicht klein bei“, sagt sie gegenüber unserer Redaktion, in der sie mit dieser Geschichte erstmals an die Öffentlichkeit gegangen ist. „Es begann als Mobbing, wurde zu Stalking, jetzt reden wir von Cyber-crime“, so Schüssler. „Wenn die Familie bedroht wird, sind Grenzen überschritten.“Inzwischen habe das über sie hereingebrochene Szenario eine Medienwelle ausgelöst, war auch Thema in den Boulevardmagazinen „Explosiv“und „Brisant“des privaten Fernsehens oder in der Abendschau des Bayerischen Rundfunks. „Ich bin sehr froh, dass ich diesen Schritt in die Öffentlichkeit gemacht habe“, berichtet Schüssler von viel Zuspruch und Rückhalt.
Seit einer Woche sind die Anrufe versiegt. „Es ist verdächtig ruhig“, sagt Tina Schüsslers Lebensgefährte Clemens Brocker und fragt sich: „Ist das die Ruhe vor dem Sturm? Oder hat man jemanden dingfest gemacht?“Bei der Polizeistation Zusmarshausen und dem Kommissariat der Kriminalpolizei, das sich mit Cyber-kriminalität beschäftigt, laufen die Ermittlungen auf Hochtouren. „Sie richten sich momentan gegen zwei Tatverdächtige“, bestätigt Pressesprecher Michael Jakob. Mehr kann er aus ermittlungstechnischen Gründen nicht sagen.