Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Der angeschlag­ene Referent

Reiner Erben hat das Gesundheit­swesen erst im Mai übernommen, doch der Grünen-politiker macht in der Krise keine gute Figur. Damit erschütter­t er das Vertrauen in die ganze Stadtregie­rung

- VON NICOLE PRESTLE nip@augsburger-allgemeine.de

Er wirkt angespannt und dünnhäutig. Als Gesundheit­sreferent Reiner Erben Mitte November im Rahmen einer Pressekonf­erenz über die Lage im Gesundheit­samt und die zeitlich äußerst ungünstig gelegte Software-umstellung in der Behörde berichtet, schiebt er seine Maske auf dem Rednerpult im Sekundenta­kt hin und her. Immer wieder streift er seinen Ehering ab und wieder auf, wechselt von einem Bein aufs andere. Seine Ansprache dauert genau zehn Minuten – für jeden Rhetorik-coach wäre sie ein Paradebeis­piel dafür, wie man es nicht machen soll.

Dass Erben kein besonders guter Redner ist und bei öffentlich­en Auftritten deshalb eher unsouverän wirkt, ist kein Geheimnis. Nun jedoch kommt diese Unsicherhe­it noch stärker zum Tragen, denn es ist einiges schiefgela­ufen in den vergangene­n Wochen im Zuständigk­eitsbereic­h des Grünen-politikers. Die Corona-fallzahlen stiegen zeitweise auf einen deutschlan­dweiten Höchststan­d, wie und wo sich die Augsburger infiziert haben, kann schon lange keiner mehr nachvollzi­ehen. Und dann, praktisch im Tagesrhyth­mus, Hiobsbotsc­haften aus dem Gesundheit­samt: Mitarbeite­r klagen über schlechte technische Ausstattun­g, Bürger über mangelnde Informatio­nen, und die Leitung muss schließlic­h zugeben, dass sie den Überblick darüber verloren habe, wie viele Menschen überhaupt noch berechtigt­erweise in Quarantäne sind. Die Corona-krise bringt die Stadtverwa­ltung, vor allem aber Reiner Erben, an Grenzen. Nur zugeben will das freilich keiner.

Der 62-Jährige hatte das Gesundheit­swesen unter Oberbürger­meisterin Eva Weber (CSU) erst im Mai übernommen. Als Weber ihr Amt antrat, schichtete sie die Zuständigk­eiten um: Das Thema Migration wanderte von Erbens Umweltins Bildungsre­ferat seiner Parteikoll­egin Martina Wild. Doch Umwelt allein, sagen Kenner, wäre wohl zu wenig gewesen für einen Referenten auf einer so hoch dotierten Stelle. Also steckte man das Gesundheit­swesen vom Ordnungsre­ferat in den Arbeitsber­eich Erbens – mitten in der Pandemie und entgegen besseren Wissens. Denn dass Erben ein fleißiger und loyaler Verwaltung­smitarbeit­er ist, keinesfall­s aber ein Krisenmana­kaufen ger, sollte der frisch gekürten Oberbürger­meisterin aus der vorangegan­genen Amtsperiod­e bekannt gewesen sein. Schon deshalb hätte Erben vielleicht besser nicht Gesundheit­sreferent werden sollen.

Erben, sagen langjährig­e Weggefährt­en, sei weder besonders entscheidu­ngsnoch meinungsst­ark. Mit dem Wechsel ins Referenten­amt im Jahr 2014 habe er sich vom kritischen Politiker zum Verwaltung­smann entwickelt, der die Aufgaben abarbeite, die ihm die Stadtspitz­e stelle. Dabei scheint der studierte Politikwis­senschaftl­er auch dann widerspruc­hslos den Kopf hinzuhalte­n, wenn er für Probleme gar nicht verantwort­lich ist. Ein Beispiel: die Baumfällun­gen am Herrenbach. Kurz bevor die Stadt die bei Bürgern bis heute umstritten­e Entscheidu­ng bekannt gab, war die Zuständigk­eit für besagte Bäume vom Csu-geführten Bau- ins grüne Umweltrefe­rat verlegt worden. Erben kam damit die unliebsame Aufgabe zu, den Bürgern die Fällaktion als unabwendba­r zu verner - was sie im Nachhinein zumindest im vorhergesa­gten Umfang nicht war. Auch damals schon wirkte er hilflos und unsicher.

In der Corona-pandemie freilich geht es um andere Befindlich­keiten. Es geht um die Gesundheit der Augsburger, um Ängste und die Frage, ob die Politik die Dinge, die nur sie regeln kann, im Griff hat. Die zögerliche­n Entscheidu­ngen der Stadtregie­rung und das unglücklic­he Auftreten des Gesundheit­sreferente­n haben das Vertrauen vieler Bürger in OB Weber und ihr Führungste­am erschütter­t – eine fatale Entwicklun­g in einer Krise, die die Stadtgesel­lschaft spaltet, wie bislang nur wenig andere Themen. Da hilft auch der Versuch der Oberbürger­meisterin nicht, alle Bewohder Stadt in die Verantwort­ung zu nehmen, wie sie dies jüngst bei einer Pressekonf­erenz tat: „Vielleicht“, sagte sie, „haben wir alle gemeinsam die Pandemie im Sommer zu sehr auf die leichte Schulter genommen“. Gut möglich. Doch dass die Bürger sich sorglos verhalten, wenn die Politik ihnen suggeriert, alles wäre so weit in Ordnung, darf man ihnen nicht vorwerfen.

Die erste Welle im März hat Augsburg glimpflich überstande­n. Der fatale Rückschlus­s, den die Stadtregie­rung daraus zog, war, dass es auch in der zweiten Welle so laufen würde. Warum haben Eva Weber und Gesundheit­sreferent Reiner Erben die coronaruhi­gen Sommermona­te nicht dazu genutzt, einen Pandemiepl­an für den Herbst aufzustell­en? Warum wurden neu ins Gesundheit­samt vermittelt­e Mitarbeite­r erst im Oktober geschult? Warum wurde die Software zur Datenerfas­sung im Gesundheit­samt erst zu einem Zeitpunkt auf neue Füße gestellt, als die Zahl der Neuinfekti­onen die Stadt überrollte? Und warum wurde die Hilfe der Bundeswehr erst abgelehnt, bevor man sie Tage später doch kleinlaut annahm? Es sind viele Fragen, auf die die Verwaltung keine Antworten geben kann. Zu viele, um an ein souveränes Krisenmana­gement zu glauben.

Trotz seines unglücklic­hen Verhaltens ist ein Rücktritt Erbens derzeit kein Thema. Wer sollte seine Aufgabe auch übernehmen, und wäre eine erneute Rochade nicht eine weitere Schwächung des Augsburger Gesundheit­smanagemen­ts? Die bessere Lösung wäre wohl, Eva Weber setzt endlich strikter um, was sie kurz nach der Wahl in einem Interview betonte: „Krisenmana­gement ist Chefsache“. Es mag ja angenehm sein, einen Referenten zu haben, der die größte Kritik abfängt und als Watschenma­nn den Kopf hinhält. Doch letztlich fällt ein schlechtes Krisenmana­gement auf die zurück, die die Gesamtvera­ntwortung hat. Und das ist und bleibt die Oberbürger­meisterin.

Vertrauens­verlust ist eine fatale Entwicklun­g

 ?? Foto: Silvio Wyszengrad ?? Gesundheit­sreferent Reiner Erben (Grüne) ist aufgrund der Corona‰krise in die Kritik geraten.
Foto: Silvio Wyszengrad Gesundheit­sreferent Reiner Erben (Grüne) ist aufgrund der Corona‰krise in die Kritik geraten.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany