Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Der angeschlagene Referent
Reiner Erben hat das Gesundheitswesen erst im Mai übernommen, doch der Grünen-politiker macht in der Krise keine gute Figur. Damit erschüttert er das Vertrauen in die ganze Stadtregierung
Er wirkt angespannt und dünnhäutig. Als Gesundheitsreferent Reiner Erben Mitte November im Rahmen einer Pressekonferenz über die Lage im Gesundheitsamt und die zeitlich äußerst ungünstig gelegte Software-umstellung in der Behörde berichtet, schiebt er seine Maske auf dem Rednerpult im Sekundentakt hin und her. Immer wieder streift er seinen Ehering ab und wieder auf, wechselt von einem Bein aufs andere. Seine Ansprache dauert genau zehn Minuten – für jeden Rhetorik-coach wäre sie ein Paradebeispiel dafür, wie man es nicht machen soll.
Dass Erben kein besonders guter Redner ist und bei öffentlichen Auftritten deshalb eher unsouverän wirkt, ist kein Geheimnis. Nun jedoch kommt diese Unsicherheit noch stärker zum Tragen, denn es ist einiges schiefgelaufen in den vergangenen Wochen im Zuständigkeitsbereich des Grünen-politikers. Die Corona-fallzahlen stiegen zeitweise auf einen deutschlandweiten Höchststand, wie und wo sich die Augsburger infiziert haben, kann schon lange keiner mehr nachvollziehen. Und dann, praktisch im Tagesrhythmus, Hiobsbotschaften aus dem Gesundheitsamt: Mitarbeiter klagen über schlechte technische Ausstattung, Bürger über mangelnde Informationen, und die Leitung muss schließlich zugeben, dass sie den Überblick darüber verloren habe, wie viele Menschen überhaupt noch berechtigterweise in Quarantäne sind. Die Corona-krise bringt die Stadtverwaltung, vor allem aber Reiner Erben, an Grenzen. Nur zugeben will das freilich keiner.
Der 62-Jährige hatte das Gesundheitswesen unter Oberbürgermeisterin Eva Weber (CSU) erst im Mai übernommen. Als Weber ihr Amt antrat, schichtete sie die Zuständigkeiten um: Das Thema Migration wanderte von Erbens Umweltins Bildungsreferat seiner Parteikollegin Martina Wild. Doch Umwelt allein, sagen Kenner, wäre wohl zu wenig gewesen für einen Referenten auf einer so hoch dotierten Stelle. Also steckte man das Gesundheitswesen vom Ordnungsreferat in den Arbeitsbereich Erbens – mitten in der Pandemie und entgegen besseren Wissens. Denn dass Erben ein fleißiger und loyaler Verwaltungsmitarbeiter ist, keinesfalls aber ein Krisenmanakaufen ger, sollte der frisch gekürten Oberbürgermeisterin aus der vorangegangenen Amtsperiode bekannt gewesen sein. Schon deshalb hätte Erben vielleicht besser nicht Gesundheitsreferent werden sollen.
Erben, sagen langjährige Weggefährten, sei weder besonders entscheidungsnoch meinungsstark. Mit dem Wechsel ins Referentenamt im Jahr 2014 habe er sich vom kritischen Politiker zum Verwaltungsmann entwickelt, der die Aufgaben abarbeite, die ihm die Stadtspitze stelle. Dabei scheint der studierte Politikwissenschaftler auch dann widerspruchslos den Kopf hinzuhalten, wenn er für Probleme gar nicht verantwortlich ist. Ein Beispiel: die Baumfällungen am Herrenbach. Kurz bevor die Stadt die bei Bürgern bis heute umstrittene Entscheidung bekannt gab, war die Zuständigkeit für besagte Bäume vom Csu-geführten Bau- ins grüne Umweltreferat verlegt worden. Erben kam damit die unliebsame Aufgabe zu, den Bürgern die Fällaktion als unabwendbar zu verner - was sie im Nachhinein zumindest im vorhergesagten Umfang nicht war. Auch damals schon wirkte er hilflos und unsicher.
In der Corona-pandemie freilich geht es um andere Befindlichkeiten. Es geht um die Gesundheit der Augsburger, um Ängste und die Frage, ob die Politik die Dinge, die nur sie regeln kann, im Griff hat. Die zögerlichen Entscheidungen der Stadtregierung und das unglückliche Auftreten des Gesundheitsreferenten haben das Vertrauen vieler Bürger in OB Weber und ihr Führungsteam erschüttert – eine fatale Entwicklung in einer Krise, die die Stadtgesellschaft spaltet, wie bislang nur wenig andere Themen. Da hilft auch der Versuch der Oberbürgermeisterin nicht, alle Bewohder Stadt in die Verantwortung zu nehmen, wie sie dies jüngst bei einer Pressekonferenz tat: „Vielleicht“, sagte sie, „haben wir alle gemeinsam die Pandemie im Sommer zu sehr auf die leichte Schulter genommen“. Gut möglich. Doch dass die Bürger sich sorglos verhalten, wenn die Politik ihnen suggeriert, alles wäre so weit in Ordnung, darf man ihnen nicht vorwerfen.
Die erste Welle im März hat Augsburg glimpflich überstanden. Der fatale Rückschluss, den die Stadtregierung daraus zog, war, dass es auch in der zweiten Welle so laufen würde. Warum haben Eva Weber und Gesundheitsreferent Reiner Erben die coronaruhigen Sommermonate nicht dazu genutzt, einen Pandemieplan für den Herbst aufzustellen? Warum wurden neu ins Gesundheitsamt vermittelte Mitarbeiter erst im Oktober geschult? Warum wurde die Software zur Datenerfassung im Gesundheitsamt erst zu einem Zeitpunkt auf neue Füße gestellt, als die Zahl der Neuinfektionen die Stadt überrollte? Und warum wurde die Hilfe der Bundeswehr erst abgelehnt, bevor man sie Tage später doch kleinlaut annahm? Es sind viele Fragen, auf die die Verwaltung keine Antworten geben kann. Zu viele, um an ein souveränes Krisenmanagement zu glauben.
Trotz seines unglücklichen Verhaltens ist ein Rücktritt Erbens derzeit kein Thema. Wer sollte seine Aufgabe auch übernehmen, und wäre eine erneute Rochade nicht eine weitere Schwächung des Augsburger Gesundheitsmanagements? Die bessere Lösung wäre wohl, Eva Weber setzt endlich strikter um, was sie kurz nach der Wahl in einem Interview betonte: „Krisenmanagement ist Chefsache“. Es mag ja angenehm sein, einen Referenten zu haben, der die größte Kritik abfängt und als Watschenmann den Kopf hinhält. Doch letztlich fällt ein schlechtes Krisenmanagement auf die zurück, die die Gesamtverantwortung hat. Und das ist und bleibt die Oberbürgermeisterin.
Vertrauensverlust ist eine fatale Entwicklung