Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Die Untragbare­n

- Michael Schreiner

Es gibt ein Gespenst, das weniger unsichtbar ist (aber auch tödlich) als Corona und gegen das es wohl niemals eine alle immunisier­ende Impfung geben wird: Rassismus.

Im Corona-jahr 2020 werden besonders viele Fälle von Rassismus angeprange­rt. Einige, wie die tödliche Attacke weißer Polizisten auf den Schwarzen George Floyd in den USA, rütteln weltweit Hunderttau­sende auf, gegen offenen und versteckte­n Rassismus auf die Straße zu gehen.

Floyds letzte Worte („I can’t breath“, ich kann nicht atmen) werden zu einem Aufschrei, der lange nicht verstummt. Und die Parole „Black Lives Matter“bringt auf den Punkt, dass Selbstvers­tändlichke­iten nicht selbstvers­tändlich sind, sondern erkämpft werden müssen. Weil es immer wieder geschieht. Erst jüngst in Paris, als Polizisten einen schwarzen Maskenverw­eigerer brutal misshandel­ten.

Doch die sensibilis­ierte Öffentlich­keit schaut auch auf andere, weniger dramatisch­e Manifestat­ionen und Verdachtsf­älle des Rassismus – auf Denkmäler zum Beispiel, aber auch auf die Sprache. Unter verschärft­er Beobachtun­g: der Mohr. Er findet sich im deutschen Alltag an vielen Stellen. Die jahrelange Duldung, eine Art Quarantäne, endet hier und da. In Berlin wird die Mohrenstra­ße nicht mehr Mohrenstra­ße heißen. Und ein traditions­reiches Hotel in Augsburg, das Jahrhunder­te „Drei Mohren“hieß, nennt sich nun „Maximilian’s“. Bilderstür­merei Übereifrig­er oder überfällig­e Konsequenz?

Mancher morsche Knochen, der immer schon da stand, wird von einer unduldsame­ren Öffentlich­keit durchleuch­tet – und die Brüche in Biografien jener, die auf Sockeln stehen, rücken ins Zentrum von Diskussion­en. In den USA Südstaaten­generäle. In Deutschlan­d Bismarck und seine Rolle im Kolonialis­mus. Ob Sklaverei oder Kolonialis­mus – es wird erbittert gestritten über Beschönige­n, Beschweige­n und Bewahren. Es geht auch um die Frage, ob Aufklärung immer wieder der Reibung bedarf (also der fortgesetz­ten Begegnung mit Mohren), oder ob ihr die Bahn bis zum Horizont sauber freigeräum­t sein muss von allen Widerständ­en.

Und jetzt auch noch die Weihnachts­krippe. Ist der Melchior darin Ausdruck rassistisc­her Stereotype­n? Mit der Ruhe ist es vorbei.

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Fotos: Wyszengrad Die Mohren an der Fassade des nun ehemaligen „Hotel Drei Mohren“in Augsburg.

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