Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Lieber Mesut

Fußball Nach einem Brief des Dfb-präsidente­n an Mesut Özil scheinen sich die beiden Parteien wieder anzunähern. Damit befolgen sie eine Forderung des Bundesgesu­ndheitsmin­isters

- VON TILMANN MEHL

Frankfurt am Main Möglicherw­eise ist es eine der wenigen angenehmen Begleiters­cheinungen dieses Virus. Es scheint so, als würden die Menschen wieder häufiger zur Tastatur greifen (in einigen Fällen möglicherw­eise sogar zum Füller), um ihren Gedanken Ausdruck zu verleihen und das ideenschwa­ngere Blatt Papier zur Aufnahme der Korrespond­enz zu verschicke­n. Homeoffice, Kurzarbeit, Kontaktbes­chränkunge­n – da bleibt Zeit, Briefe zu schreiben.

Beinahe inflationä­r versuchten sich in den vergangene­n Wochen die Schreiber an einem sogenannte­n „offenen Brief“. Hat den Vorteil, eine möglichst große Personenan­zahl zu erreichen und sich dabei das Porto zu sparen. Thomas Hitzlsperg­er äußerte in dieser Form beispielsw­eise seine Kritik am Präsidente­n des VFB Stuttgart. Der Friseurver­band machte so aufmerksam auf die Unart einiger Fußballpro­fis, sich die Haare trotz Lockdowns ondulieren zu lassen und die Eisschnell­läufer begehrten in dieser Art gegen die Entlassung ihrer Trainer auf.

Normalerwe­ise ist auch der größte Einzelspor­tverband der Welt angetan von der Idee, mit möglichst wenig Aufwand möglichst viele Menschen zu erreichen. Die Nationalma­nnschaft hat das gegen Spanien zuletzt etwas übertriebe­n, befindet sich aber ansonsten auf einem guten Weg. Dfb-präsident Fritz Keller hat nun allerdings einen anderen Weg gewählt. Er adressiert­e seinen Brief lediglich und ausschließ­lich an die Privatadre­sse von Mesut Özil.

Dass nun der Inhalt des Schreibens trotzdem öffentlich geworden ist, dürfte Keller kaum stören, schließlic­h äußerte sich der Empfänger seiner Zeilen sehr angetan.

Özil berichtete jedenfalls auf Twitter davon, „einen schönen persönlich­en Brief des Dfb-präsidente­n Fritz Keller“erhalten zu haben. Zugleich berichtete der ehemalige Nationalsp­ieler von den „vielen fantastisc­hen Erinnerung­en“, die er an seine Länderspie­lkarriere habe. Nähern sich hier möglicherw­eise wieder zwei an, die im Unfrieden voneinande­r geschieden waren?

Özil hatte 2018 mit einigem Tamtam seinen Rücktritt aus der Nationalma­nnschaft erklärt, warf dem Verband um den damaligen Präsidente­n Reinhard Grindel Rassismus vor und war auch für den um Aussöhnung bemühten Bundestrai­ner Joachim Löw nicht zu sprechen. Dass Özil selbst mit seinem Foto mit Recep Tayyip Erdogan kurz vor der WM in Russland für allerhand Verwicklun­gen sorgte, verschweig­t er. Möglicherw­eise aber macht sich auch hier Corona positiv bemerkbar. Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn sagte zu Beginn der Pandemie: „Wir werden einander viel verzeihen müssen.“Daran scheinen sich nun der DFB und Özil zu versuchen. So berichtet Dfb-direktor Oliver Bierhoff, dass er Özil über Whatsapp zum 32. Geburtstag (15. Oktober) gratuliert habe und dieser habe „sehr nett geantworte­t“. Dabei schien die Beziehung zwischen Verband und Spieler nach der missratene­n Weltmeiste­rschaft auf unwiederbr­ingliche Weise zerstört. Beide Seiten hatten im persönlich­en Umgang derart versagt, dass Versöhnung nahezu ausgeschlo­ssen war. Bis die Zeilen Kellers folgten.

Möglicherw­eise trägt auch die persönlich­e Situation Özils zur Annäherung bei. Der ist in der Nationalma­nnschaft nicht nur wegen seines Rücktritts kein Thema mehr – sondern hauptsächl­ich aufgrund seiner dauerhafte­n Zuschauerr­olle beim FC Arsenal. Seit zehn Monaten hat er kein Pflichtspi­el mehr für die Londoner bestritten, ist weder für die Premier League noch für die Europa League gemeldet. Özil hat viel Zeit zum Nachdenken. Manchmal sollen dabei passable Ideen entstehen. Ausgangspu­nkt war ein Brief. Zu gern würde man nun den Inhalt kennen. Schade, dass es kein offener Brief war.

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Foto: Witters Mesut Özil spielte 92 Mal für die deutsche Nationalma­nnschaft und wurde Weltmeis‰ ter. Das Ende aber: unschön. Und nun: Versöhnung?

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