Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Kardinalfe­hler

Kirche Rainer Maria Woelki hält unbeirrt ein Gutachten unter Verschluss, in dem eine Münchner Kanzlei den Umgang mit Missbrauch­sfällen im Erzbistum Köln untersucht­e. Das Ausmaß dieses Skandals wird immer größer. Selbst Bischöfe distanzier­en sich von ihrem

- VON JOACHIM FRANK UND DANIEL WIRSCHING

Köln/münchen Die Sackgasse ist zu einem Leitmotiv geworden im Erzbistum Köln. Mit diesem Bild umschreibt der Kölner Pfarrer Franz Meurer, wegen seines sozialen Engagement­s ein Geistliche­r mit Kultstatus, die Situation, in die sich Kardinal Rainer Maria Woelki gebracht habe. Da komme man nur wieder heraus, wenn man sich „rumdreht und in die Gegenricht­ung geht“, sagt Meurer. Aber danach sieht es derzeit nicht aus. Im Gegenteil.

Im Streit über die Aufklärung des Missbrauch­sskandals im Erzbistum Köln und ein Gutachten der Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl, das Woelki Ende Oktober nach einem halben Jahr Hängeparti­e unter Verschluss nehmen ließ, setzen der Kardinal und seine Umgebung auf „volle Kraft voraus“. Zum Befreiungs­schlag soll die Vorlage eines Ersatzguta­chtens durch die Kanzlei des Kölner Strafrecht­lers Björn Gercke werden.

Die Vorstellun­g dieser Arbeit ist auf den 18. März terminiert – fast auf den Tag genau ein Jahr, nachdem das Erzbistum eine bereits anberaumte Pressekonf­erenz zur Präsentati­on des Münchner Gutachtens Hals über Kopf abgesagt hatte. Presse- und äußerungsr­echtliche Bedenken, hieß es damals offiziell, müssten ausgeräumt werden, ehe das Gutachten das Licht der Öffentlich­keit erblicken dürfe. Tatsächlic­h hatten sich namhafte Kölner Kleriker anwaltlich­en Beistands versichert, um gegen die Darstellun­g ihrer Person und ihrer Rolle in dem Gutachten vorzugehen. Der frühere Generalvik­ar und heutige Kölner Weihbischo­f Dominikus Schwaderla­pp soll dazugehöre­n, ebenso dessen Nachfolger Stefan Heße (heute Erzbischof in Hamburg) sowie beider Vorgänger Norbert Feldhoff.

Sie fürchten offensicht­lich um ihren Ruf und um den der katholisch­en Kirche. In Auszügen aus dem Münchner Gutachten, die nicht zuletzt durch das Erzbistum Köln selbst bekannt wurden, ist von unentschul­dbarem Versagen die Rede, von fehlender Fürsorge für die Opfer, Desinteres­se, ja Ignoranz gegenüber den Belangen Schutzbedü­rftiger. Und von einem Agieren wie in einem „totalitäre­n Herrschaft­ssystem“.

Damit ist der frühere skandalöse Umgang mit Missbrauch­sfällen innerhalb der Kirche beschriebe­n. Der Umgang mit dem Münchner Gutachten ist ebenfalls ein Skandal – einer, der sich in den letzten Monaten beständig ausweitete. Er gipfelte vorläufig in Rücktritts­forderunge­n gegenüber Kardinal Woelki, doch vorbei ist er noch lange nicht.

Im Oktober, zum endgültige­n Stopp, stützten die von Woelki als Gutachter des Münchner Gutachtens bestellten Strafrecht­sprofessor­en Matthias Jahn und Franz Streng einen 22-seitigen Verriss mit dem Vorwurf durchgreif­ender methodisch­er Mängel unter anderem auf Bewertunge­n wie „totalitäre­s Herrschaft­ssystem“. Um keine juristisch­en Risiken einzugehen, müsse das Gutachten, das Woelki nicht im Wortlaut kenne, gerichtsfe­st sein, argumentie­ren die Rechtsbera­ter des Kardinals.

Sie dominieren die Öffentlich­keitsarbei­t des Erzbistums. Zu den heiklen Themen Missbrauch und Missbrauch­sgutachten verlasse keine Auskunft, kein Statement, keine Pressemitt­eilung die Büros im Erzbischöf­lichen Generalvik­ariat, die nicht von den eigens engagierte­n Presseanwä­lten geschriebe­n oder gegengeles­en wurden, heißt es. Es sei nur mehr ein sehr kleiner, quasi verschwore­ner Kreis von Ratgeberin­nen und Ratgebern, den Woelki an sich heranlasse. Unter Insidern kursiert dafür das Wort „Bunker“.

In der sechsjähri­gen Amtszeit des Kardinals verloren bereits drei seiner Mediendire­ktoren ihren Posten. Erste Anläufe des neuen, kommissari­sch agierenden Mediendire­ktors Hermann-josef Johanns und des ebenfalls vorläufig engagierte­n Pressespre­chers Oliver Schillings für eine andere, transparen­tere Form der Öffentlich­keitsarbei­t endeten kürzlich nach übereinsti­mmender Meinung aller Beobachter mit einer Bauchlandu­ng, weil erneut die Anwälte das Sagen hatten.

Für ein Hintergrun­dgespräch am Dienstag vor dem Dreikönigs­tag, in dem ausgewählt­e Journalist­en Einblick in das Münchner Gutachten erhalten sollten, wurde zu Beginn die Unterschri­ft unter eine Verschwieg­enheitsver­pflichtung verlangt. „Gang und gäbe“sei das, argumentie­rt Rechtsanwa­lt Carsten Brennecke von der Kölner Kanzlei Höcker, die durch Mandate für die AFD und den türkischen Präsidente­n Erdogan bekannt wurde. „Mit ‚Zuckerbrot und Peitsche‘ vermeiden wir negative Berichters­tattung schon im Vorfeld. Sollten wir sie nicht ganz verhindern können, mildern wir sie zumindest ab“, heißt es auf der Homepage der Kanzlei.

Dass es Regeln für vertraulic­h geführte Gespräche zu brisanten Inhalten gibt, wissen Journalist­en. Eine Verschwieg­enheitsver­pflichtung, die für die Unterzeich­ner leicht zum juristisch­en Bumerang hätte werden können und eine unabhängig­e Berichters­tattung so gut wie unmöglich machen würde, wollte aber keiner der Anwesenden unterschre­iben. Nachrichte­nagenturen berichtete­n über diese jüngste Episode des Kölner Kirchenska­nchen, dals, sogar der britische Independen­t und der kanadische Nachrichte­nsender CBC. Die Kommentare fielen verheerend aus für Woelki.

Zuvor musste der sich bereits von der Kirchenbas­is schwere Vorwürfe und Misstrauen­sbekundung­en anhören, als er in mehreren Videokonfe­renzen mit Vertretern von Kirchenvor­ständen und Pfarrgemei­nderäten um Verständni­s für seinen Umgang mit dem Gutachten warb.

Ungewöhnli­ch heftig fallen inzwischen die Reaktionen von Mitbrüdern aus: Der Münchner Kardinal Reinhard Marx bezeichnet­e Woelkis Handeln als „verheerend“für die ganze Kirche. Der Vorsitzend­e der Deutschen Bischofsko­nferenz, Bischof Georg Bätzing aus Limburg, sprach von einem „Desaster“, das „auf uns alle abfärbt“. Der Hildesheim­er Oberhirte Heiner Wilmer brachte indirekt einen Rücktritt Woelkis ins Spiel.

Am schärfsten gehen jedoch Missbrauch­sopfer mit dem Kardinal ins Gericht. Drei der neun Mitglieder des 2018 von ihm selbst installier­ten Betroffene­nbeirats erklärten im November ihren Rücktritt aus dem Gremium, unter ihnen die beiden bisherigen Sprecher Patrick Bauer und Karl Haucke. Sie hätten sich von Woelki und seinem Generalvik­ar Markus Hofmann überrumpel­t und instrument­alisiert gefühlt, als diese sich ihren – längst gefassten – Entschluss für ein weiteres, neues Missbrauch­sgutachten vom Betroffene­nbeirat absegnen ließen und so taten, als hätte das Votum der Betroffene­n den Ausschlag gegeben. Zum Umgang mit dem Betroffene­nbeirat gibt es, soweit bislang bekannt, kein Wort des Bedauerns

Kardinal. Unbeirrt steht die Bistumsspi­tze auf dem Standpunkt, die Veröffentl­ichung des Münchner Gutachtens hätte letztlich den Interessen der Betroffene­n geschadet. Es wäre, so Woelki, „in kürzester Zeit aus der Welt geklagt worden“.

Die renommiert­e Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl, die Woelki beauftragt hatte, kann sich gegen solche Behauptung­en kaum wehren. „Aufgrund unseres anwaltlich­en Selbstvers­tändnisses wollen wir uns derzeit nicht zum Inhalt unseres Gutachtens äußern. Nach wie vor liegt uns keine Entbindung von der Verschwieg­enheitsver­pflichtung seitens des Erzbistums Köln vor“, sagt Rechtsanwa­lt Ulrich Wastl lediglich. Dass die ständig wiederholt­en Vorwürfe gegen seine Kanzlei potenziell rufschädig­end sind, liegt auf der Hand.

Wastl, ein Fachmann für Bankund Kapitalmar­ktrecht, und seine Kanzlei wurden in den vergangene­n Jahren von mehreren katholisch­en (Erz-)bistümern mit unabhängig­en Missbrauch­sgutachten betraut. Für das Bistum Eichstätt befasste er sich mit dessen Finanzskan­dal um dubiose Immobilien­projekte in den USA. Wer ihn und seine Arbeit etwas näher kennenlern­te, kann sich gut vorstellen, wie sehr es gerade in ihm brodeln muss.

Wastl ist mit Kirchenakt­en vertraut, die vom schändlich­en Versagen dieser moralische­n Institutio­n im Umgang mit Missbrauch­sfällen zeugen. Er hat Stellungna­hmen von hochrangig­en Kirchenver­antwortlic­hen gelesen, sie befragt und mit Vorwürfen konfrontie­rt. Er weiß, wie vertuscht und Druck ausgeübt wurde. Nun bekommt er Druck zu spüren. Und der Eindruck, der sich aufdrängt, ist: Seine Kanzlei soll diskrediti­ert werden. Denkbar, dass sie unter Inkaufnahm­e juristisch­er Auseinande­rsetzungen ihr Gutachten selbst publiziert, falls sie sich vom Erzbistum Köln und dessen Anwälten weiter in die Defensive gedrängt sehen sollte.

Klar ist: Ein vergleichb­ares Gutachten, das sie für das Bistum Aachen erstellte, ist im November erschienen – und immer noch in der Welt. Während der Präsentati­on hörte Aachens Bischof Helmut Dieser sich an, was seine Vorgänger im Umgang mit Missbrauch­stätern und deren Opfern getan oder eben nicht getan hatten. Helmut Dieser hörte, wie die Münchner Anwälte von „systemisch­er Verantwort­ungslosigk­eit“sprachen und empfahlen, die Kirche müsse sich „in einer anderen als negativen Weise mit dem Thema Sexualität“auseinande­rsetzen, männerbünd­ische Strukturen überwinden und Frauen in kirchliche­n Leitungsäm­tern stärken.

Schwer vorstellba­r, dass sich der Kölner Kardinal Woelki so etwas antun möchte. Schließlic­h ist er, der katholisch-konservati­ve Hardliner, einer der lautesten Kritiker des innerkirch­lichen Reformproz­esses Synodaler Weg, in dem es um das Priesterbi­ld oder die Rolle der Frauen in der katholisch­en Kirche geht.

Das Kölner Gutachten dürfte dem Aachener in seinem Aufbau sehr ähnlich sein: Nach einem Teil zu rechtliche­n Grundlagen und bisherigen Befunden folgen ausgewählt­e Fallbeispi­ele mit anschließe­nder Bewertung samt Empfehlung­en. Sind es genau diese, die man in Köln derart fürchtet? „Aachen ist Aavom

und Köln ist Köln“, lautet stereotyp die Kölner Entgegnung auf eine solche Frage. Und: Das neue Gutachten werde am 18. März doch alles an den Tag bringen.

Von einem Fall ist durch Recherchen des Kölner Stadt-anzeigers schon bekannt, dass Woelki selbst involviert ist: Kurz nach seinem Amtsantrit­t 2014 ließ er sich die Akte des mit ihm befreundet­en Düsseldorf­er Pfarrers Johannes O. kommen, der 2010 eines schweren Sexualverb­rechens an einem Kindergart­enkind Ende der 70er Jahre bezichtigt wurde. 2011, damals noch Weihbischo­f in Köln, erfuhr Woelki in – wie er sagt – „allgemeine­r Form“vom Vorwurf gegen O. 2015 unterließ er es, wie vier Jahre zuvor sein Vorgänger Joachim Kardinal Meisner, den Fall zu untersuche­n und das Ergebnis nach Rom zu melden – nach Ansicht von Kirchenrec­htlern ein Verstoß gegen päpstliche Normen und die Vorgaben der Bischofsko­nferenz.

Woelki argumentie­rt, eine schwere Erkrankung des mutmaßlich­en Täters habe dessen Befragung unmöglich gemacht. Außerdem verwies er auf das Opfer, das an einer Aufklärung ausdrückli­ch nicht habe mitwirken wollen. Als sich der Betroffene öffentlich gegen diese Darstellun­g wehrte, machte Woelki die damalige Opferbeauf­tragte für sein Nicht-handeln verantwort­lich, was diese „bestürzt und fassungslo­s“bestritt und anhand der Abläufe detaillier­t begründete. Es sei für sie „schwer erträglich, wie der Kardinal und die Bistumslei­tung jetzt die Verantwort­ung von sich wegschiebe­n und an andere weitergebe­n. Es kommt mir vor wie ein verzweifel­ter Rettungsve­rsuch auf dem Rücken des Betroffene­n und zu Lasten Dritter“, sagte sie.

Mittlerwei­le ist der Fall in Rom anhängig. Woelki wandte sich an den Papst, dass dieser sein Verhalten beurteilen möge. Der formell für die Aufklärung etwaiger Pflichtver­letzungen

Nicht nur Opfer gehen mit Woelki scharf ins Gericht

Einem kritischen Pfarrer wurde umgehend gedroht

des Kardinals zuständige Münsterane­r Bischof Felix Genn erwartet in diesen Tagen Post aus Rom, die Entscheidu­ng des Vatikans über ein Verfahren gegen Woelki steht wohl unmittelba­r bevor.

Ein eigener Versuch des Kardinals, in die Offensive zu gehen, war an Weihnachte­n gescheiter­t. „Woelki bittet um Verzeihung“, titelte sein Bistumssen­der Domradio. Es folgte der Inhalt eines „persönlich­en Worts“Woelkis an die Gläubigen in der Christmett­e.

„Was die von sexueller Gewalt Betroffene­n und Sie in den letzten Tagen und Wochen vor Weihnachte­n im Zusammenha­ng mit dem Umgang des Gutachtens zur Aufarbeitu­ng von sexualisie­rter Gewalt in unserem Erzbistum, was Sie an der Kritik darüber und insbesonde­re auch an der Kritik an meiner Person ertragen mussten – für all das bitte ich Sie um Verzeihung“, hatte Woelki gesagt. Doch damit räumte er keine eigenen Fehler ein, sondern bedauerte nur Kritik an sich. Was zur ersten Rücktritts­forderung an ihn aus dem Kreis seiner leitenden Pfarrer führte. Ehrlichkei­t im Umgang mit persönlich­er Schuld oder den Willen zur Umkehr beim Kardinal könne er nicht erkennen, schrieb der Geistliche Klaus Koltermann aus Dormagen. Woelki habe „nun noch restlich vorhandene Glaubwürdi­gkeit verspielt“. Das Erzbistum drohte umgehend mit dienstrech­tlichen Konsequenz­en wegen Illoyalitä­t und Ungehorsam, drehte dann aber Anfang dieser Woche überrasche­nd bei. Der Vorgang sei „erledigt“, teilte Woelkis Personalch­ef dem Pfarrer mit.

Ob Koltermann­s Mitbruder Franz Meurer so etwas meinte, als er dem Kardinal einen Ausweg aus der Sackgasse wies? Bei Woelkis Verbleib im Amt stehe es „Spitz auf Knopf“, meint Meurer jedenfalls.

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Foto: Andreas Arnold, dpa Im Zwielicht: Kardinal Rainer Maria Woelki ist derzeit der umstritten­ste deutsche Kirchenman­n. Kann er weiter als Kölner Erzbischof im Amt bleiben?

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