Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wer hat die größere Hausmacht?

Weder Friedrich Merz noch Armin Laschet haben bisher eine Mehrheit der Delegierte­n hinter sich. Am Ende könnte es auf die Tagesform ankommen. Wieder einmal

- VON RUDI WAIS

Berlin Ein Parteitag ist ein komplexer Organismus – ein nur schwer zu durchschau­endes System aus Sympathien, Abhängigke­iten und Loyalitäte­n. Durch diskrete Absprachen mit anderen Landesverb­änden versuchen Delegierte, ihre Kandidaten durchzubri­ngen, in seltenen Fällen stürzen sie einen Vorsitzend­en buchstäbli­ch über Nacht wie die SPD einst Rudolf Scharping oder lassen ein Parteitref­fen eskalieren wie bei den Grünen 1999 in Bielefeld, als ein wütendes Mitglied Außenminis­ter Joschka Fischer einen Farbbeutel ins Gesicht warf.

Der Parteitag, der am Samstag einen neuen CDU-CHEF wählen soll, ist schon vor der Eröffnungs­rede von Annegret Kramp-karrenbaue­r einer mit eingebaute­r Aufmerksam­keitsgaran­tie. Das liegt vor allem an seiner Unvorherse­hbarkeit. Die 1001 Delegierte­n operieren im virtuellen Raum, weit voneinande­r entfernt und ohne den üblichen Austausch mit anderen Mitglieder­n auf dem Flur, in der Kaffeepaus­e oder beim bierselige­n Delegierte­nabend, wo der eine oder andere Wackelkand­idat noch bearbeitet wird. Das macht die Absprachen schwierige­r und Prognosen unmöglich. Welcher der drei Kandidaten seine Bataillone wo stehen hat, ist daher seit Wochen eine der am lustvollst­en diskutiert­en Fragen in der CDU.

In den Umfragen unter den Mitglieder­n und Sympathisa­nten der Union führt zwar nach wie vor der frühere Fraktionsv­orsitzende Friedrich Merz. Entscheide­n aber werden allein die Delegierte­n an ihren Computern – und dort ist das Meinungsbi­ld nicht ganz so eindeutig. Nach einer Studie des Internetpo­rtals The European, dem bislang einzigen Anhaltspun­kt dieser Art, sind etwa 170 Stimmberec­htigte noch unentschie­den.

Danach kann der politische Wiedereins­teiger Merz im ersten Wahlgang bislang mit 395 halbwegs sicheren Stimmen rechnen – vor allem aus Baden-württember­g, Niedersach­sen, Hamburg und den ostdeutsch­en Verbänden. Dazu kommen der Wirtschaft­sflügel, die konservati­ve Werteunion und die Junge Union,

deren Delegierte nahezu geschlosse­n für ihn stimmen wollen.

Der nordrhein-westfälisc­he Ministerpr­äsident Armin Laschet liegt bislang bei 310 Stimmen. Er hat nicht nur im eigenen Landesverb­and großen Rückhalt, sondern auch in Rheinland-pfalz und im Saarland. Außerdem werben weite Teile des Partei-establishm­ents von Annegret Kramp-karrenbaue­r über den früheren Generalsek­retär Hermann Gröhe und Kanzleramt­schef Helge Braun bis zum stellvertr­etenden Parteivors­itzenden Volker Bouffier mehr oder weniger direkt für ihn – in einer Partei wie der CDU, die sich üblicherwe­ise loyal hinter ihren Oberen versammelt, ein nicht zu unterschät­zender Faktor. In jedem Fall hat Laschet zuletzt Boden auf Merz gutgemacht.

Für den ehemaligen Umweltmini­ster Norbert Röttgen, den stürmische­n Außenseite­r, würden Stand heute 125 Delegierte stimmen, darunter viele Frauen, eine Reihe von Bundestags­abgeordnet­en aus der zweiten und dritten Reihe sowie die Delegierte­n, denen Merz zu konservati­v und Laschet zu provinziel­l ist. Doch selbst wenn sich alle noch Unentschie­denen am Samstag auf Röttgens Seite schlagen sollten, könnte das noch zu wenig sein, um überhaupt in eine Stichwahl zu kommen. Bei ihm sind die Unterschie­de zwischen den allgemeine­n Umfragen, in denen er teilweise vor Laschet liegt, und der Umfrage des European unter den Delegierte­n am deutlichst­en.

Ein (mit-)entscheide­nder Faktor könnten diesmal die Stimmen der Cdu-frauen sein, die fast ein Drittel der Delegierte­n stellen und beim letzten Parteitag in Hamburg zu großen Teilen Annegret Krampkarre­nbauer gewählt haben. Diesmal hat die Frauen-union nach den Worten ihrer Vorsitzend­en Annette Widmann-mauz „eine klare Präferenz für Armin Laschet und Norbert Röttgen“. Mit dieser deutlichen Absage an Merz allerdings sind längst nicht alle Frauen einverstan­den. „Wir nehmen an der Basis der Frauen-union eine große Unzufriede­nheit und Unsicherhe­it über die öffentlich­e Empfehlung für die Wahl zum Parteivors­itz wahr“, heißt es in einem offenen Brief der „Initiative Frauen für Merz“an Widmann-mauz. Unter anderem plädieren die frühere Frankfurte­r Oberbürger­meisterin Petra Roth und die Spitzenkan­didatin der Südwest-cdu für die Landtagswa­hl, Susanne Eisenmann, für Friedrich Merz.

Am Ende könnte, wie vor gut zwei Jahren auch, die Tagesform entscheide­n. Beim Parteitag in Hamburg ging Friedrich Merz als Favorit in die Stichwahl gegen Annegret Kramp-karrenbaue­r – und verspielte am Ende mit einer für seine Verhältnis­se schwachen Rede doch noch alle Chancen auf den Parteivors­itz.

Umfrage: 170 Delegierte sind noch unentschie­den

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Der etablierte Landesvors­itzende: Armin Laschet.
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Der stürmische Außenseite­r: Norbert Röttgen.
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Fotos: Michael Kappeler, dpa Der populäre Wiedereins­teiger: Fried‰ rich Merz.

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