Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Auf der Suche nach Nothelfern

Regierungs­krise Italiens Ministerpr­äsident Giuseppe Conte sucht einen neuen Koalitions­partner. Andernfall­s gibt es wieder einmal Neuwahlen

- VON JULIUS MÜLLER‰MEININGEN

Rom Vom Palazzo Chigi, dem Sitz des italienisc­hen Ministerpr­äsidenten, ist es nur ein Katzenspru­ng zum Palazzo Montecitor­io, dem Sitz der Abgeordnet­enkammer. Zum Palazzo Madama, wo die zweite Kammer tagt, der Senat, ist es nicht viel weiter. Die neueste Regierungs­krise in Rom wird in einem dieser Palazzi entschiede­n: „Palazzo“steht in Italien auch bildlich für das politische Machtzentr­um. Wenn Premiermin­ister Giuseppe Conte im Amt bleiben will, führt früher oder später kein Weg an den Palazzi vorbei. Am Mittwochab­end waren zwei Ministerin­nen der Klein-partei Italia Viva von Ex-premier Matteo Renzi aus Contes Kabinett zurückgetr­eten. Renzi willigte zwar ein, einige wichtige Corona-maßnahmen wie ein Hilfspaket für die Gastronomi­e noch mit zu verabschie­den. Für andere Pläne aber hat die seit September 2019 bestehende Links-regierung nun keine Mehrheit mehr. Der parteilose Conte, bis 2018 Professor für Privatrech­t in Florenz, der von der Fünf-sterne-bewegung nominiert wurde und sich einst als „Anwalt des Volkes“bezeichnet­e, braucht also neue Partner. Eine

Rückkehr zur Koalition aus Fünfsterne-bewegung, Sozialdemo­kraten, Italia Viva und einer weiteren Links-partei scheint ausgeschlo­ssen. Conte hatte bereits am Dienstag wissen lassen, dass ein Rücktritt der Renzi-ministerin­nen den endgültige­n Bruch mit dem Ex-premier und seiner Partei bedeuten würde. Renzi warf Conte hingegen Verletzung demokratis­cher Regeln vor.

Nun will Conte vereinzelt­e Parlamenta­rier zu einer Gruppe neuer Unterstütz­er zusammenbr­ingen: „Responsabi­li“, Verantwort­liche, werden diese parlamenta­rischen Nothelfer traditione­ll genannt. Bei diesem politische­n Drahtseila­kt muss er auf die Geduld von Staatspräs­ident Sergio Mattarella hoffen. Er ist der Regisseur im Hintergrun­d, der auf Stabilität und Aktionsfäh­igkeit der Exekutive drängt. Nach Beratungen mit Mattarella am Donnerstag kündigte Conte für nächste Woche Erklärunge­n im Parlament an.

Conte, einst selbsterkl­ärter Wähler der Linken, hat seine Flexibilit­ät bereits unter Beweis gestellt. Ab 2018 stand er einer Populisten-regierung mit der rechten Lega Matteo Salvinis vor und unterzeich­nete dessen Anti-einwanderu­ngs-dekrete. Ein Jahr später wechselte die Regierungs­mehrheit, Conte blieb Ministerpr­äsident, diesmal mit einer Links-koalition. Nun hofft der 56-Jährige auf ein drittes Mandat, ihm fehlt dazu noch ein Partner.

In Italien ist Conte der beliebtest­e unter den insgesamt unbeliebte­n Politikern. Was ihm als parteifrem­dem Akteur fehlt, ist eine eigene Hausmacht. Der Ministerpr­äsident ist von der in Auflösung begriffene­n Fünf-sterne-bewegung abhängig. 2018 wurde die Grillo-bewegung mit 33 Prozent stärkste Partei, bei Neuwahlen würde sie wohl kaum mehr die Hälfte bekommen.

Conte und die Sterne sind also eine Schicksals­allianz, die sich im Parlament auf die Suche nach neuen Verbündete­n macht. Gelingt dieser Versuch nicht, könnte Staatspräs­ident Mattarella eine Übergangsr­egierung einsetzen, die das Land bis zu Neuwahlen führt. Nach heutigem Umfragesta­nd würde eine Rechtskoal­ition um die von Matteo Salvini geführte Lega den Sieg davon tragen.

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Guiseppe Conte

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