Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Kaufen wir Lebensmittel bald viel öfter im Internet?
Der Onlinehandel gehört zu den großen Gewinnern der Krise. Nur bei Supermärkten und Discountern ist das Bestellen im Internet noch immer die Ausnahme. Corona könnte das ändern und einen Milliardenmarkt neu verteilen. Es gibt aber noch Schwierigkeiten
Köln/leipheim Jetzt auch noch Ffp2-masken. Das mag sich so mancher Verbraucher in Bayern denken, wo ab dem kommenden Montag die verschärfte Maskenpflicht auch beim Einkaufen in Kraft treten soll. Sicherer wird das Einkaufen dadurch womöglich – angenehmer sicher nicht. Doch es gibt nur wenige Alternativen zum Einkaufen im Geschäft. Denn während man im Lockdown Sportgeräte, Hausschuhe, Laptops und noch viel mehr online kaufen kann, muss man zum Auffüllen des Kühlschranks meist noch immer das Haus verlassen.
„Die Bereitschaft der Kundinnen und Kunden, Lebensmittel online zu kaufen, ist da. Sie wird allerdings derzeit noch vom fehlenden oder beschränkten Angebot ausgebremst“, sagt Eva Stüber, Expertin für den Onlinelebensmittelhandel beim Institut für Handelsforschung IFH Köln. Von den deutschlandweit vertretenen Supermarkt- und Discounterketten bietet bislang nur Rewe mehr oder weniger flächendeckend die Möglichkeit an, auch frische Lebensmittel nach Hause zu liefern. Edeka arbeitet mit mehreren Start-ups wie dem derzeit sehr erfolgreichen Picnic zusammen, um nun schnell aufzuholen. Lidl und Aldi Süd haben zwar eigene Onlineshops. Lebensmittel sucht man dort, mit Ausnahme von Wein und Spirituosen, aber vergebens. Ob sich das bald ändern könnte, dazu hüllen sich die Unternehmen in Schweigen. Aldi Süd antwortet auf Anfrage immerhin, man verfolge „die Entwicklungen im Onlinehandel sehr genau“und und prüfe „darüber hinausgehende Möglichkeiten im Bereich E-commerce“. Lidl will gar nichts dazu sagen.
Es gibt auch eine Reihe handfester Gründe, warum selbst solche Handelsriesen bisher vor der Entwicklung des Onlinemarktes zurückgeschreckt sind. Die Margen im Lebensmittelhandel in Deutschland sind extrem schmal. Erst recht gilt das für die Discounter, bei denen die Aktionsware darum nicht wegzudenken ist. Online-lebensmittelhandel kostet aber erst mal Geld: Die Ware muss kommissioniert, Kühlketten eingehalten und alles für den Versand verpackt werden. Zudem war die Bereitschaft der Kunden, ihre Einkaufsgewohnheiten zu ändern, bislang nicht sehr ausgeprägt. „Wir haben ein extrem dichtes Netz an stationären Märkten in Deutschland, es ist sehr einfach, seine Einkäufe zu erledigen“, erklärt
Hinzu kommt das Thema Vertrauen: „Die meisten Kundinnen und Kunden wollen ihrer Gewohnheit nachgehen und frische Ware selbst prüfen, bevor sie sie kaufen“, so Stüber weiter. Doch das Jahr 2020 hat vieles verändert.
Es gab einen ersten Lockdown im Frühjahr und die Kunden haben plötzlich gemerkt, dass es bequem ist, sich auch Lebensmittel liefern zu lassen. Und: Nudeln und andere Lebensmittel waren zeitweise knapp. „Die Gewohnheiten wurden zwangsweise etwas aufgebrochen“, fasst Stüber dies zusammen. Nun ist das Interesse der Kunden da. Aber die Händler sind noch nicht so weit.
„Der Markt für Lebensmittel ist online eines der kleinsten Segmente, aber mit dem größten Potenzial“, sagt Lars Hofacker, E-commercespezialist des Kölner Handelsforschungsinstituts EHI. Viele neue Anbieter versuchen derzeit, teils sehr erfolgreich, ein Stück davon zu erobern. Flaschenpost heißt so ein Start-up, das sich auf den digitalen Vertrieb von Getränken spezialisiert hat und dabei so erfolgreich war, dass es nun von der Dr. Oetkergruppe übernommen wurde. Doch das ganze Vollsortiment eines Supermarktes online anzubieten, ist eine ungleich größere Herausforderung als das Bedienen einer Nische. „Momentan sehen das die großen Händler meiner Meinung nach vor allem als eine Investition in die Zukunft. Wenn das Geschäft richtig Fahrt aufnimmt, muss man dabei sein, sonst wird es ganz schwierig“, sagt Hofacker. Potenzial sieht er: „Die Rentner von morgen werden Lebensmittel online kaufen, da entstehen erst ganz neue Käuferschichten“, ist sich der Handelsexperte sicher. Für die breite Masse werde der Onlinehandel in naher Zukunft aber zu teuer bleiben. „Es ist einfach günstiger, wenn die Kunden durch den Supermarkt gehen und die Ware selbst kommissionieren.“
Doch es gibt noch andere Möglichkeiten. Eine davon hat der Leipheimer Ladenbau-spezialist Wanzl erst vor kurzem für einen Kunden in Oldenburg verwirklicht. Angegliedert an einen Supermarkt können Kunden dort an einem Automaten rund um die Uhr an sieben Tagen die Woche einkaufen – ohne sich Gedanken um Abstandsregeln zu machen. Aus rund 500 Artikeln können die Kunden an einem Disstüber. play auswählen, darunter auch gekühlte Frischware, Obst und Gemüse. Ein Roboter übernimmt dann das Kommissionieren und über eine Lucke kommt der Einkauf zum Kunden. „In Zukunft wird es darum gehen, die Offline- und die Onlinewelt noch viel stärker zu verzahnen. Für den Händler ist es nicht wichtig, ob er auf Kanal eins oder Kanal zwei Geld mit dem Kunden verdient. Für ihn kommt es darauf an, dass der Kunde zu ihm kommt, in seinem Ökosystem bleibt“, ist Jürgen Frank, der Geschäftsbereichsleiter bei Wanzl, überzeugt.
Damit er das tut, könnten die Händler nicht mehr nur eine Lösung bieten. Das beweise auch das Beispiel Amazon. Der Us-gigant öffnet auch immer mehr Läden in Innenstädten. Außerdem hat Amazon vor wenigen Jahren mit Whole Foods sogar eine ganze Frische-supermarktkette gekauft. Am Ende gehe es immer auch um das Einkaufserlebnis, sagt Frank. „Dafür ist es sicher sinnvoll, eine lokale Präsenz zu haben.“Für den Kunden wird der Einkauf in Zukunft also wohl bequemer. Es dauert nur noch ein wenig, denn auch für die Händler ist es schwierig, während der Krise an neuen Projekten zu arbeiten, ergänzt Frank.