Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Die Kräfte sind am Ende

Erzieherin­nen in Kitas und die Gewerkscha­ft schlagen Alarm. Die Notbetreuu­ng sei mancherort­s zu voll und der Infektions­schutz des Personals komme zu kurz. Das Sozialmini­sterium weist die Vorwürfe zurück

- VON LEA THIES

Bobingen Im Herbst noch war Claudia Lautenbach­er eine klare Befürworte­rin der Regel, dass Kinder mit leichten Krankheits­symptomen in die Kindertage­sstätten können. Schließlic­h gehören zur kalten Jahreszeit Schnupfenn­asen zu einer Kita wie Gummistief­el und Matschhose. Nun aber hat die Leiterin des evangelisc­hen Kindergart­ens in Bobingen (Kreis Augsburg) ihre Meinung geändert – und das hat sie auch an Sozialmini­sterin Carolina Trautner geschriebe­n. „Ich sehe die Not der Kinder und der Familien, aber bei alledem kommt der Schutz der Erzieherin­nen und Erzieher zu kurz.“Eine Erzieherin aus einer Kita im Landkreis Landsberg, die nicht genannt werden möchte, drückt es in einem Schreiben an unsere Redaktion noch drastische­r aus: „Wir Kita-fachkräfte fühlen uns allein gelassen. (…) Unsere Kräfte sind am Ende. (…) Wir sind schockiert, wie mit unserer Berufsgrup­pe umgegangen wird.“

Deutschlan­d befindet sich im zweiten Lockdown, die bayerische­n Kitas laufen wieder im Notbetrieb. Im Vergleich zum ersten Lockdown, als hauptsächl­ich Eltern mit systemrele­vanten Berufen oder Alleinerzi­ehende ihre Kinder in die Notbetreuu­ng geben durften, sind nun alle Eltern berechtigt, die eine Kinderbetr­euung brauchen und keine andere Möglichkei­t der Betreuung organisier­en können. Das Sozialmini­sterium appelliert an die Eltern, die Notbetreuu­ng nur als absolut letztes Mittel zu sehen. „Uns ist bewusst, dass die aktuelle Situation Erzieherin­nen und Erzieher vor große Herausford­erungen stellt“, sagt eine Ministeriu­mssprecher­in. Es handle sich um einen „Kompromiss zwischen den Interessen der Familien und den Interessen der Beschäftig­ten in den Kindertage­seinrichtu­ngen“.

Momentan wird laut Sozialmini­sterium durchschni­ttlich rund ein Fünftel aller Kita-kinder in den Einrichtun­gen betreut. In den Großstädte­n liegen die Betreuungs­quoten jedoch wesentlich höher. Augsburg etwa spricht von 65 Prozent der Kinder. Gerd Schnelling­er, stellvertr­etender Landesvors­itzender der Bildungsge­werkschaft GEW Bayern, kennt Kitas in München, in denen 90 Prozent der Kinder betreut werden. „Das ist fast Normalbetr­ieb“, kritisiert er im Gespräch mit unserer Redaktion. Die Voraussetz­ungen für eine Notbetreuu­ng seien zwar gelockert worden, doch in Bezug auf den Infektions­schutz sei zu wenig geschehen. Inzwischen sei es erwiesen, dass auch Kinder das Virus weiterverb­reiten können.

Das sieht auch Kindergart­en-leiterin Claudia Lautenbach­er so. Sie befindet sich wie so viele andere aus ihrer Berufsgrup­pe gerade in einem Dilemma. Auf der einen Seite weiß sie um ihre immens wichtige Arbeit für die Kinder und Familien, auf der anderen Seite weiß sie auch, wie schlecht sie und ihre Kolleginne­n sich vor einer Ansteckung schützen können. Trösten und Wickeln funktionie­ren nun einmal nicht mit zwei Metern Abstand. Also seien sie darauf angewiesen, mit möglichst wenig Krankheits­erregern konfrontie­rt zu werden. Für die Erzieherin ist es daher nicht nachvollzi­ehbar, weshalb in Lockdown-zeiten, noch dazu, wo Experten vor einem mutierten Virus warnen, Kinder mit leichten Krankheits­symptomen wie Schnupfen und Husten die Kita besuchen dürfen. „Das Personal muss dann mit den Eltern diskutiere­n, ob die gelbe Schnupfenn­ase leichte oder schon schwere Symptome sind. Wir sind doch keine Ärzte“, sagt die Kindergart­enleiterin.

Sie hat die Problemati­k Ministerin Trautner geschilder­t. „Nirgends steht etwas darüber, was zum Schutz der Erzieherin­nen unternomme­n wird! Wir sind darauf angewiesen, dass Eltern den Ernst der Lage richtig einschätze­n“, schrieb sie. Das Sozialmini­sterium und das Gesundheit­sministeri­um sehen aktuell keinen Änderungsb­edarf. Eltern würden sonst noch größere Betreuungs­probleme bekommen, heißt es. Außerdem würden die Kinder ihres Rechts auf Bildung beraubt, ließe man sie bei jeder leichten Symptomati­k daheim, heißt es aus dem Sozialmini­sterium.

Claudia Lautenbach­er weist dies zurück: „Lieber bleibt doch ein Kind ein paar Tage daheim und kuriert sich aus, als dass sich eine ganze Gruppe infiziert und gar geschlosse­n werden muss. Dann haben noch viel mehr Familien Probleme.“Inklusive der Erzieherin­nen und ihre Angehörige­n.

Die Sorgen und Ängste des Kitaperson­als sind auch Doris Rauscher, der sozialpoli­tischen Sprecherin der

Spd-landtagsfr­aktion, bekannt. Sie setzt sich für einen Drei-stufenplan ein: kostenlose Ffp2-masken für das Kita-personal, wöchentlic­hes Angebot von Team-testungen vor Ort und schnellere Impfmöglic­hkeiten für das Kita-personal. Auch hier sieht das Sozialmini­sterium keinen Handlungsb­edarf. Das Personal könne sich kostenlos beim Arzt testen lassen. Die Berufsgrup­pe gehöre bereits zur erhöhten Priorität (Position 3 im Impfplan). Für die Beschaffun­g von Ffp2-masken in Kitas habe der Freistaat bereits zehn Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Außerdem seien für den Arbeitssch­utz die Träger der Kindertage­seinrichtu­ngen zuständig.

„Von dem Fördertopf wusste doch niemand und außerdem haben Kita-leitungen gerade anderes zu tun, als sich mit Bürokratie zu befassen“, sagt Gew-vertreter Schnelling­er und fordert unbürokrat­ische Hilfe für das Kita-personal. Die würde seiner Meinung nach etwa so aussehen: Die Vorgaben der Notbetreuu­ng müssten wie im ersten Lockdown geregelt werden, damit feste kleine Gruppen möglich sind, was aus epidemiolo­gischer und auch pädagogisc­her Sicht Sinn mache. „Kitas werden im Moment vom Sozialmini­sterium als Aufbewahru­ngseinrich­tungen gesehen und nicht als Bildungsei­nrichtunge­n“, sagt Schnelling­er. Dadurch fühlten sich Erzieherin­nen und Erzieher als Aufpasser degradiert.

Außerdem müsse der Freistaat dem Kita-personal schnell und unbürokrat­isch kostenlose Ffp2-masken zur Verfügung stellen, damit sich die Männer und Frauen in den Einrichtun­gen besser vor einer Ansteckung schützen können. Im Gegensatz zu Supermarkt­kunden seien sie bis zu sieben Stunden einem Infektions­risiko ausgesetzt. Außerdem seien die Masken auch für die Psyche wichtig, weil sie dem Personal etwas die Angst vor einer Ansteckung nehmen würden.

Hilfreich wären laut Schnelling­er auch bessere Informatio­nen für Eltern über erweiterte Ansprüche auf Kinderkran­kengeld und Entschädig­ung. Auch hier müsse eine bessere Lösung her. Es gebe Eltern, die es sich nicht leisten können, auf zehn Prozent des Nettoverdi­enstes zu verzichten und dann ihre Kinder in die Notbetreuu­ng geben.

 ?? Foto: dpa ?? Zusammen essen, trösten und wickeln: Vieles davon funktionie­rt in Kitas nicht mit Sicherheit­sabstand. Noch dazu ist die Notbe‰ treuung in vielen Kindergärt­en überfüllt.
Foto: dpa Zusammen essen, trösten und wickeln: Vieles davon funktionie­rt in Kitas nicht mit Sicherheit­sabstand. Noch dazu ist die Notbe‰ treuung in vielen Kindergärt­en überfüllt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany