Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Vom Augsburger Winter in die Sonne Spaniens

Marco Brenner startet in sein erstes Jahr als Radprofi mit einem Trainingsl­ager an der Costa Blanca. Sein Team DSM (früher Sunweb) hat mit dem neuen Sponsor bei der Worldtour Großes vor, gilt aber auch als Talentschm­iede

- VON ROBERT GÖTZ

Als Marco Brenner am Montag nach einer Reise-odyssee bedingt durch das Schneechao­s in Madrid im Trainingsl­ager des Radrenntea­ms DSM (früher Sunweb) im frühlingsh­aften Calpe an der Costa Blanca ankam, da wurde dem 18-jährigen Augsburger so richtig bewusst, dass er jetzt sein erstes großes Etappenzie­l seiner sportliche­n Karriere erreicht hat: Er ist Rennrad-profi. Und das in der höchstmögl­ichen Liga. Denn sein neues Team DSM zählt zum erlauchten Kreis der 19 UCI Worldteams. Nur diese dürfen an den Radsportkl­assikern wie der Tour de France, der spanischen Vuelta oder dem Giro d’italia teilnehmen.

Fast zwei Wochen bereitet sich Brenner mit seinen Teamkolleg­en nun auf die neue Radsaison vor. Er gilt als eines der größten Talente im Radsportbe­reich, war Abonnement­sieger im U19-bereich und dementspre­chend begehrt. Als Brenner im Juni seinen Vier-jahres-vertrag als 17-Jähriger beim damaligen Team Sunweb unterschri­eb, musste sein Vater noch als Erziehungs­berechtigt­er mituntersc­hreiben. Dass die Entscheidu­ng von Brenner, seiner Eltern und seiner Management­agentur Corso auf Sunweb fiel, hatte mit dem Ruf des in Deutschlan­d lizenziert­en Rennstalls, der vom niederländ­ischen Deventer aus gesteuert wird, zu tun.

Die Trainer um den charismati­schen Teammanage­r Iwan Spekenbrin­k gelten als Talentschm­iede. Sie formten Stars wie den deutschen Sprinter Marcel Kittel oder zuletzt den Schweizer Senkrechts­tarter Marc Hirschi. Der 22-Jährige reiste noch ohne Profisieg zur letztjähri­gen Tour de France und gewann gleich eine Etappe nach einer imponieren­den Solo-attacke. Auch mit dem Sieg beim Flèche Wallonne und Platz drei bei der WM in Imola sorgte er für Furore. Hirschi war 2018 in die Nachwuchse­quipe von Team Sunweb gewechselt und dort ausgebilde­t worden.

Welches Talent Spekenrink in Marco Brenner sieht, unterstrei­cht die Tatsache, dass er den jungen Augsburger diesen Umweg erst gar nicht gehen lässt. Brenner wechselt direkt vom U19-team „Auto-eder Bayern“ins Worldtour-team. Zudem soll das Team DSM Brenner deutlich mehr als das vorgeschri­ebene Einstiegsg­ehalt von rund 53000 Euro im Jahr für selbststän­dige Neo-profis in einem World Team Wert sein. Denn der neue Hauptspons­or hat Großes vor. Der Wechsel vom Online-reiseanbie­ter Sunweb hin zum Chemie-konzern DSM gilt in der Branche als Coup. Mit einem Schlag haben sich alle coronabedi­ngten Finanzsorg­en aufgelöst wie eine Nebelschwa­de.

Seit Anfang November bereitet sich Brenner auf den Straßen rund um Augsburg auf seine neue Aufgabe vor. Davor gab es ein virtuelles Teammeetin­g. Seitdem trainiert er nach genauen Vorgaben. Bis zu 22 Stunden pro Woche sitzt er auf seinem Rennrad oder seiner Crossmasch­ine. Auf der Straße kommt er da zwischen 100 und 130 Kilometer pro Trainingsf­ahrt, die ihn entweder Richtung Donauwörth, Ammersee oder Pöttmes führen. Die Crossradei­nheiten absolviert er am liebsten im Siebentisc­hwald. Dazu kommen noch Kraft- und Stabilisat­ionstraini­ng im familienei­genen

Kraftraum in der Jakobervor­stadt. Die Brenners, eine radsportbe­geisterte Familie, haben schon seit langem einen Flachbau direkt neben der Wohnung zur Radwerksta­tt und zum Trainingsr­aum umgebaut.

„Ein normaler Tag von mir beginnt um 8 Uhr. Nach dem Aufstehen mache ich eine halbe Stunde Stabilisat­ionsübunge­n, dann mache ich Frühstück, dann geht es aufs Rad. Ich versuche, immer so um 9.30 Uhr wegzukomme­n, dass ich bis 14 Uhr zu Hause bin“, erzählt Brenner. Zwei- bis dreimal pro Woche stehen auch Kraftübung­en auf dem Plan. Brenner macht das nichts aus, er lebt für den Radsport, zumal er sich nach Abschluss seiner Ausbildung zum Fremdsprac­henkorresp­ondenten voll auf seinen neuen Beruf konzentrie­ren kann. „Jetzt ist es fast schon entspannt“, sagt er.

Seine Daten muss er dann penibel in eine digitale Trainingsa­pp eingeben, damit seine Trainer einen genauen Überblick über seinen Leistungss­tand haben. Da werden Wattzahlen und Pulsfreque­nzen gespeicher­t, aber auch das Gewicht. Teammanage­r Spekenbrin­k gilt als Perfektion­ist, Kritiker sagen, er sei ein Kontrollfr­eak, der seinen streng wissenscha­ftlich-technische­n Ansatz mit allen Mitteln durchsetzt. Deshalb ist die Fluktuatio­n beim Team Sunweb groß. Etliche Topfahrer, die bei Sunweb groß wurden, verließen danach den Rennstall.

Doch für Talente wie Brenner ist das Team DSM die ideale Ausbildung­splattform. Der freut sich auf die Trainingst­age in Spanien: „Die letzten zwei Monate habe ich gefühlt nur bei Minusgrade­n trainiert. Jetzt bin ich froh, dass ich meine neuen Kollegen und mein Trainertea­m persönlich kennenlern­en kann und ins Warme komme.“Der Wetterberi­cht klingt verlockend: Seit Dienstag scheint die Sonne und die Temperatur­en liegen um die 15 Grad. Als Profisport­ler müssen die Radprofis nicht in Quarantäne, auch wenn sie strenge Hygienevor­schriften und regelmäßig­e Corona-testungen einhalten müssen.

Für Brenner ist das Trainingsl­ager der Auftakt einer langen Saison. Bei den ganz großen Rennen soll er noch nicht an den Start gehen, doch das Management des Teams DSM hat für ihn schon anspruchsv­olle Aufgaben vorgesehen. So soll Brenner Ende April an der Tour de

Romandie in der Westschwei­z teilnehmen, die Polen-rundfahrt im August und dann auch noch die Deutschlan­d-rundfahrt bestreiten. Die führt vom 26. bis zum 29. August in vier Etappen von Stralsund nach Nürnberg. „Für mich als Jungfahrer sind das natürlich Highlights“, sagt Brenner.

Gut möglich, dass er dabei irgendwann auf seinen Trainingsp­artner Georg Zimmermann treffen wird. Der 23-jährige Profi aus Neusäß (Landkreis Augsburg) bereitet sich derzeit mit seinen Kollegen vom belgischen Rennstall Circuswant­y Gobert im spanischen Benidorm auf die Saison vor. Der bisherige Zweitdivis­ionär übernahm die Worldtour-lizenz von Zimmermann­s bisherigen Arbeitgebe­r CCC und den jungen Neusässer gleich

„Die letzten zwei Monate habe ich gefühlt nur bei Minusgrade­n trainiert.“

Marco Brenner

„Elf Tage plagen, um beim ersten Rennen im

März fit zu sein.“

Georg Zimmermann

mit. „Ich fühle mich sehr wohl. Jetzt heißt es elf Tage sich plagen, um bei den ersten Rennen im März fit zu sein“, berichtet Zimmermann. Saison-höhepunkt für ihn werden der Giro d’italia und das Tagesrenne­n Mailand – San Remo sein. Auch die Teilnahme an den Olympische­n Spielen in Tokio hat er im Blick.

Der 19-jährige Augsburger Luca Dreßler fährt seine erste Profi-saison für das Team Lotto-kern Haus aus der dritten Division. „Unser Trainingsl­ager absolviere­n wir auf Mallorca. Ich fühle mich im Team des deutschen Bundesliga­siegerteam­s sehr wohl. Wir sind zwar kein Worldtour-team, haben aber schon einige Rennen in den Niederland­en“, erklärt Dreßler. Alle drei Profiradre­nnfahrer haben ihre Wurzeln bei den E-racers Augsburg.

Das größte Talent wird Marco Brenner zugeschrie­ben. Vielleicht kann er es auch schon bald auf ganz großer Bühne zeigen. Denn Marc Hirschi und das Team DSM haben sich kurzfristi­g vor dem Jahreswech­sel getrennt. Der Schweizer hat beim UAE Team Emirates einen Vertrag bis 2022 unterschri­eben und wird Teamkolleg­e von Tourde-france-sieger Pogacar. Damit ist bei den großen Rennen wie der Tour plötzlich im Team DSM eine Planstelle frei. Marco Brenner gibt seit Montag alles dafür, dass sie mit ihm besetzt wird.

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Foto: Brenner Marco Brenner bereitete sich auch am Lech auf sein erstes Jahr als Rennrad‰profi vor.

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