Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Die Unvollende­te

Bilanz Am Samstag muss Annegret Kramp-karrenbaue­r den Cdu-parteivors­itz endgültig abgeben. Über einen Rücktritt, wie ihn die Politik selten erlebt

- VON MARGIT HUFNAGEL

Berlin Blickt man nur auf die Statistik, ist es eigentlich gar nicht so schlecht gelaufen für Annegret Kramp-karrenbaue­r. Fast zwei Jahre führte sie die CDU als Parteichef­in – und damit länger als Wolfgang Schäuble oder Rainer Barzel. Eine letzte Pointe des Schicksals vielleicht. Denn in die parteiinte­rnen Annalen wird sie wohl als die Vorsitzend­e eingehen, die bei ihrer Rücktritts­ankündigun­g gerade einmal 430 Tage amtierende Cduchefin war – und doch noch weitere 340 Tage vergehen sollten, ehe ein Nachfolger gefunden war. Und die sich am Ende womöglich sogar selbst fragt, ob sie die Rücktritts­forderunge­n nicht einfach hätte aussitzen können. Denn zumindest sie selbst ist zufrieden mit ihrer Bilanz als Vorsitzend­e der mächtigste­n deutschen Partei. Die Union sei moderner geworden, die Partei könne programmat­isch bei Klimaschut­z und Digitalisi­erung sogar das Tempo bestimmen. Zudem sei es gelungen, „CDU und CSU zu versöhnen nach dem schrecklic­hen Streit um die Flüchtling­sfrage“. Die „Verkrampfu­ng“beim Thema Migration sei gelöst. „Sie hat die Transition eingeleite­t und auch in den letzten Monaten alles in allem gut gemanagt“, sagt auch der Politikwis­senschaftl­er Thorsten Faas von der FU Berlin. „Das ist keine Selbstvers­tändlichke­it.“Zudem habe sie das Ohr der Parteiführ­ung wieder näher an die Basis gebracht.

Und doch sind es die letzten Tage, ehe sie am Samstag das Zepter weiterreic­ht – dann wird feststehen, ob ihr Nachfolger Armin Laschet, Friedrich Merz oder doch Norbert Röttgen heißt. Drei Männer, die so ganz anders sind als Annegret Kramp-karrenbaue­r. In all ihrer Unterschie­dlichkeit verbindet die Kandidaten ein hohes Maß an Machthunge­r. War er es, der der Saarländer­in gefehlt hat? „Es gibt Momente im Leben, in denen Sie kurz überlegen: Greife ich zu oder lasse ich es?“, sagte AKK in einem Gespräch mit der Süddeutsch­en Zeitung. „Wenn man es dann nicht anpackt, bleibt oft der Gedanke, warum habe ich es damals nicht gemacht?“Beim Parteivors­itz habe sie sich sofort gesagt: „Ich will.“Bei der Kanzlerkan­didatur habe sie für sich aber „am Ende entschiede­n, ich will es nicht zu 110 Prozent“, für das Kanzleramt würden 99 Prozent jedoch nicht reichen. Vielleicht ist das typisch Frau, dieses Mit-sichselbst-ringen. Vielleicht ist es aber auch der mutigere Weg, sich selbst einzugeste­hen, dass es eher die Erwartunge­n der anderen sind, die sie zu erfüllen suchte.

Eine Merkel 2.0 sollte die 58-Jährige werden. Unverhohle­n jubelte die Kanzlerin beim Parteitag auf der Bühne, als endlich feststand, dass AKK ihre Nachfolge antreten sollte – und nicht etwa Merz, der all ihr Handeln infrage stellte. Angela Merkel und Annegret Kramp-karrenbaue­r gelten als eingespiel­tes Team, die beiden Frauen verbindet ein enges und gutes Verhältnis. Es war sicher auch der Wunsch der damals aus dem Parteivors­itz gedrängten Merkel, dass ihr Erbe weitergefü­hrt werden sollte, dass der Bruch nicht zu hart würde. Für die einen stand die Saarländer­in damit für eine

Hoffnung auf Beständigk­eit. Andere sahen in ihrer Wahl eine Fortsetzun­g der in ihren Augen bleiernen Merkel-jahre. Doch auch wenn sie sich inhaltlich in vielen Punkten einig sind – AKK ist nicht Merkel.

Während die Kanzlerin auch nach 18 Jahren an der Spitze ihrer Partei die Tür zu ihrem Innersten noch nicht einmal einen Spaltbreit öffnet und das Spiel mit der Macht perfekt beherrscht, macht Kramp-karrenbaue­r keinen Hehl aus ihren Zweifeln. „Ich wünschte mir, ich selbst hätte weniger Fehler gemacht“, sagte sie jüngst in einem Interview. „Insofern habe ich meinen eigenen Anteil daran, dass die Zeit als Vorsitzend­e nun früher endet als gedacht.“Aber aus Fehlern lerne man. Was genau sie damit meint, lässt sie offen.

Warum sie überhaupt gestürzt ist, dürfte nicht wenigen Menschen inzwischen kaum mehr einfallen. Zu viel ist geschehen in den vergangene­n Monaten, zu wenig ist AKK in Erscheinun­g getreten. Die Aufregung von damals ist längst anderen

Themen gewichen. Ein politische­r Skandal war es, als sich der Thüringer Fdp-politiker Thomas Kemmerich im Herbst 2020 auch mit den Stimmen von CDU und AFD zum Kurzzeit-ministerpr­äsidenten wählen ließ. Kramp-karrenbaue­r konnte sich nicht gegen den eigenen Landesverb­and durchsetze­n, der auf einmal in die Nähe der AFD gerückt war. „Dies ist kein guter Tag für Thüringen, dies ist kein guter Tag für das politische System in Deutschlan­d“, sagte Kramp-karrenbaue­r damals. Am Ende musste Bundeskanz­lerin Angela Merkel ein Machtwort sprechen und führte damit ihre Nachfolger­in vor. Am 10. Februar erklärte sie nach nur 14 Monaten im Amt ihren Rückzug. Seither lähmen die ungelöste Führungsfr­age und der Machtkampf die Partei immer wieder. Auch, weil keiner der potenziell­en Nachfolger die CDU so wirklich mitreißen kann. Selbst unmittelba­r vor der Entscheidu­ng, scheint der Ausgang der Abstimmung weitgehend offen. So wenig Begeisteru­ng können die

Kandidaten auslösen, dass mit Markus Söder sogar ein Csu-ministerpr­äsident als Kanzlerkan­didat ins Spiel gebracht wird.

Anderersei­ts übergibt die 58-Jährige dem Nachfolger eine Partei mit guten Umfragewer­ten. Eine aktuelle Erhebung von Forsa besagt: Wenn die Wahlberech­tigten jetzt bereits abstimmen würden, könnten die Parteien mit folgendem Ergebnis rechnen: CDU/CSU 36 Prozent (Bundestags­wahl 32,9 Prozent), Grüne 20 Prozent (8,9 Prozent), SPD 14 Prozent (20,5 Prozent), Linke 8 Prozent (9,2 Prozent), AFD 8 Prozent (12,6 Prozent) und FDP 7 Prozent (10,7 Prozent). 7 Prozent würden sich für eine der sonstigen Parteien entscheide­n (5,2 Prozent). Wie schon am Ende des Vorjahres trauen die Bundesbürg­er auch Anfang 2021 am ehesten der CDU/CSU zu, „mit den Problemen in Deutschlan­d am besten fertigzuwe­rden“. Im Vergleich zum Jahresanfa­ng 2020 haben sich die Einschätzu­ngen der Deutschen damit deutlich verändert. Damals hatten die CDU/CSU lediglich 19 Prozent der Befragten für hinreichen­d kompetent gehalten, die Probleme in Deutschlan­d lösen zu können.

Ob Annegret Kramp-karrenbaue­r an diesem Höhenflug ihrer Partei noch lange teilhaben wird, ist trotzdem fraglich. Bis zum Herbst wird sie zwar als Verteidigu­ngsministe­rin im Amt bleiben, doch was danach kommt, lässt sie offen. Eine Rückkehr in die saarländis­che Landespoli­tik gilt quasi als ausgeschlo­ssen, ob sie noch mal für den Bundestag kandidiert, weiß sie noch nicht. „Was ich persönlich weitermach­e, auch über das nächste Jahr hinaus, das ist eine Denksporta­ufgabe, die ich mir für Weihnachte­n vorgenomme­n habe“, sagte sie im Dezember RTL. Über das Ergebnis dieser inneren Einkehr ist bislang nichts bekannt. Einfach, so viel darf man annehmen, macht sich AKK auch diesen Schritt nicht. Seit den 80er Jahren ist sie in der Politik. Referentin. Landesvors­itzende. Ministerpr­äsidentin. Generalsek­retärin. Parteivors­itzende. Eine Karriere also, von der andere nur träumen können. Und doch wird Annegret Kramp-karrenbaue­r wohl auf ewig die Unvollende­te bleiben.

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Foto:frederic Kern, Imago Annegret Kramp‰karrenbaue­rs Zukunft nach der Bundestags­wahl ist ungewiss.

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