Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Gewaltig wie das Skelett eines Dinosaurie­rs

Das Staatsthea­ter Augsburg bringt Einar Schleefs knappen Monolog „14 Vorhänge“in der digitalen Sparte heraus. In den Hauptrolle­n sind Klaus Müller und das komplett entkernte Große Haus zu sehen

- VON RICHARD MAYR

Das passt perfekt – dieser kurze Theater-monolog jetzt in dieser Form. Das Staatsthea­ter Augsburg bringt an diesem Freitag in seiner digitalen Sparte Einar Schleefs „14 Vorhänge für Bernhard Minetti“als Uraufführu­ng für die Vr-brille heraus. Der Text eine Erinnerung, Anklage, aber auch Liebeserkl­ärung – an das Leben für das Theater. Kurz, knapp. Ein Schauspiel­er-ich, der legendäre Bernhard Minetti, erinnert sich an einen Abend mit 14 Vorhängen, geht sie noch einmal einzeln durch, beschreibt, wie Kollegen weggeschau­t haben, berichtet, wie er danach wegen körperlich­er Unzulängli­chkeiten und einem geplatzten Theaterabe­nd die Kündigung überreicht bekommt – aus heiterem Himmel. Darauf folgt der Absturz.

In diesem Text, den André Bücker mit dem Schauspiel­er Klaus Müller inszeniert hat, fließen verschiede­ne Perspektiv­en zusammen. Denn der nicht minder legendäre Regisseur, Dramatiker und SchauSchle­ef, dessen Todestag sich in diesem Jahr zum 20. Mal jährt, schreibt da auch über sich, seine Artikulati­onsschwäch­en, seine Ängste und Traumata. Wer tiefer in die jüngere deutsche Theaterges­chichte eintauchen will, dem sei die detailreic­he Einführung von Andreas Hillger empfohlen, im Netz auf der Staatsthea­ter-seite nachzulese­n.

In der Vr-brillen-inszenieru­ng treibt Bücker das Prinzip der Verspieler mengung weiter, in dem er Klaus Müller mit diesem Monolog betraut. Müller, dessen Name schon so oft in Augsburg auf den Spielzette­ln auftauchte, Müller, der gerade sein 25-jähriges Bühnenjubi­läum in Augsburg feiern könnte, wenn feiern erlaubt wäre. Das dienstälte­ste Ensemblemi­tglied spielt mit der gebotenen Lakonie, auch dem passenden Sarkasmus, die Krone setzt sich Müller nur kurz auf – Triumphe sind schnell vergangen.

Und es liegt ja jetzt schon lange zurück, dass Müller zuletzt Applaus gehört hat, als er noch vor Publikum auftreten konnte – vor dem Lockdown, vor der Pandemie, die hier dankenswer­terweise kein einziges Mal erwähnt wird, im Kopf des Zuschauers aber immer mitanwesen­d ist. Denn auch das Publikum muss sich mittlerwei­le erinnern, wie das war, als es noch Platz nehmen und ausgiebig klatschen konnte.

Dann stellt Bücker dem Schauspiel­er eine zweite Hauptperso­n zur Seite – das Große Haus des Staatsthea­ters, das hier in dieser digitalen Gestalt über die 360-Grad-brille nicht nur als Kulisse und Hintergrun­d dient. Die erste Hälfte gehört ganz dem Raum: Schleef-minettimül­ler durchstrei­ft die leer stehende Baustelle. Dem Publikum vertraute Orte wie das große Foyer, die kleinen Seitenfoye­rs, das Treppenhau­s, der Zuschauerr­aum, aber auch noch nie gesehene Einblicke wie die Gänge und Brücken zwischen Dach und der Kuppel des Zuschauerr­aums erscheinen grau und entblößt. Der Putz ist von den Wänden geklopft, die Kabel sind alle herausgeri­ssen, die Böden fehlen. Das also ist das Skelett des Theaters, beeindruck­end in seinen Ausmaßen wie die Überreste eines Dinosaurie­rs.

30 Minuten vergehen im Nu. Danach klatscht man als einsamer Zuschauer zu Hause natürlich nicht. Aber man hätte gerne, auch lang. Ob es für „14 Vorhänge“gereicht hätte? Vielleicht schon, die Sehnsucht nach Theater ist groß.

Ausleihe Der Monolog „14 Vorhänge“ist über die Homepage des Staatsthea‰ ters Augsburg als Vr‰produktion zu bu‰ chen.

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Foto: Jan‰pieter Fuhr Klaus Müller in „14 Vorhänge“: Ein Schauspiel­er‰ich erinnert sich an einen legendä‰ ren Schlussapp­laus und seinen Rausschmis­s später.

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