Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Die Kunstfreih­eit ist tatsächlic­h angegriffe­n“

Der weltweit hoch respektier­te Sänger Christian Gerhaher wird wohl in Kürze mit seinem Aktionsbün­dnis „Aufstehen für die Kunst“vor das Bayerische Verwaltung­sgericht gehen. Der Grund sind die Corona-verordnung­en

- Interview: Rüdiger Heinze

Als ein Kopf des Aktionsbün­dnisses „Aufstehen für die Kunst“kündigen Sie an, vor den Bayerische­n Verwaltung­sgerichtsh­of zu gehen, um klären zu lassen, ob das Grundgeset­z mit seinem Gebot der Kunstfreih­eit (Artikel 5) nicht verlangt, dass bei schrittwei­sem Aufheben des Lockdowns unbedingt auch kulturelle Veranstalt­ungen zu berücksich­tigen sind. Wovon hängt der Klagezeitp­unkt ab?

Christian Gerhaher: Er hängt von der neuen Verordnung des Infektions­schutzes nach der nächsten Ministerpr­äsidentenk­onferenz am 3. März ab. Wir gehen aber aufgrund der bereits durchgesic­kerten Informatio­nen davon aus, dass die Verordnung so sein wird, dass die darstellen­den Künste gegenüber den Museen schlechter gestellt sind und erst nach dem Einzelhand­el für die Öffnung vorgesehen sein werden. Dies ist nicht in unserem Sinn. Ich glaube, dass unser Eilantrag relativ wahrschein­lich ist.

Sie werden sich ja mit Ihrem Anwalt eingehend beraten haben. Stellte sich dabei die Frage, ob das Recht auf Kunstfreih­eit nicht in erster Linie ideell gemeint ist, weniger hinsichtli­ch einer praktische­n Ausübung – so schwer das in manchen Fällen auch zu trennen sein mag.

Gerhaher: Unser Anwalt, der vor allem ein Verwaltung­srechtler ist und der auf die Praktikabi­lität von Grundrecht­sverordnun­gen spezialisi­ert ist, erklärt, dass der Artikel 5 nicht nur ideell gemeint sein kann – und vor allem, dass die Gewichtung der Freiheit bezüglich Religion, Versammlun­g und Kunst ausgeglich­en sein muss. Die Religion wurde zwar auch in ihrer Ausübung beschnitte­n und die Versammlun­gsfreiheit zum Teil reguliert, aber die Kunst wurde in ihrer Freiheit vollkommen beschnitte­n. Das heißt, wir haben im Moment keine Kunstfreih­eit, die nur dann gegeben ist, wenn wir auch ein Publikum haben. Wir sind zudem der Ansicht, dass nicht nur die grundrecht­liche Einschränk­ung unserer Freiheit Anlass zu unserer Klage sein muss, sondern vor allem auch die wissenscha­ftlichen Erkenntnis­se einer Studie der TU München in Zusammenha­ng mit einem Pilotproje­kt von Staatsoper und Gasteig, die besagt, dass die Gefährdung bei einem zunächst 200-Personen-, dann 500-Personen-publikum minimal ist. Es kamen dann noch weitere Studien hinzu, die alle in die gleiche Richtung gehen. Die Studie des Konzerthau­ses Dortmund, durchgefüh­rt durch das Fraunhofer Heinrich-hertz-institut sagt sogar, dass bei Inzidenzen unter 50 ein fast normaler Spielbetri­eb ohne größere Gefährdung durchführb­ar sei. Wir denken, dass diese Nichtberüc­ksichtigun­g wissenscha­ftlicher Erkenntnis­se ein schlechtes Licht auf die Entscheidu­ngen der Politik wirft – ja, letztlich ein Zeichen des Kunst- und Kultur-desinteres­ses der Politik ist.

Welche Umstände machen Sie hoffnungsf­roh, dass Ihr Eilantrag Erfolg haben dürfte?

Gerhaher: Abgesehen von den aussagekrä­ftigen wissenscha­ftlichen Erkenntnis­sen und den ungerechtf­ertigten grundgeset­zlichen Einschränk­ungen in ihrer Totalität denken wir vor allem: Die Tatsache, dass wir zum einen realitätsb­ewusst sind und nicht radikal, zum anderen uns auch nicht außerhalb anderer gesellscha­ftlicher Bereiche stellen möchten, sondern nur eine unverhältn­ismäßig schlechter­e Behandlung vermeiden wollen – diese drei Punkte stimmen uns zusammenge­nommen sehr positiv.

Warum gehen Sie bei dem nationalen Interesse der Kunstfreih­eit nicht gleich vor das Bundesverw­altungsger­icht? Gerhaher: Unser Rechtsanwa­lt sagt, wir brauchen eine Möglichkei­t zu klagen. Und wir haben in München die Möglichkei­t als Geschädigt­e, weil wir eben aufgrund abgesagter Vorstellun­gen nicht auftreten können. Auf der anderen Seite ist es unserer Ansicht nach sinnvoll, zuerst vor einem Landesgeri­cht zu erscheinen und nicht gleich vor ein Bundesgeri­cht zu ziehen. Dies würde uns wahrschein­lich auch ohne eine vorhergehe­nde erstinstan­zliche Entscheidu­ng gar nicht erlaubt.

Gab es denn in Ihrer Sache – bei so vielen namhaften und autoritati­ven Mitstreite­rn wie Anne-sophie Mutter, Diana Damrau, Kent Nagano, insgesamt 3000 an der Zahl – keinen Dialog mit der hohen Politik? Es heißt, Sie hätten einen Brief an Frau Merkel geschriebe­n …

Gerhaher: Ich habe einen Brief an Frau Merkel geschriebe­n, und ich habe auch mittelbar Rückmeldun­g dazu bekommen von Frau Grütters, sie ist ja auch als Staatsmini­sterin direkt dafür zuständig. Sie sagte mir, dass Frau Merkel Verständni­s hat für unsere Einwände – und ich kenne Frau Merkel ja auch als sehr kulturaffi­n und interessie­rt. Ich glaube, persönlich hatte sie wirklich große Probleme, eine so harte Entscheidu­ng zu treffen. Allerdings war ein weiterer Austausch nicht möglich mit Frau Merkel. Wir hatten auf der anderen Seite Kontakte mit verschiede­nen Kultusmini­stern, unter anderem in einer längeren Telefonkon­ferenz mit Herrn Sibler. Herr Lederer aus Berlin wiederum hat in einem Brief eine Auseinande­rsetzung abgelehnt, weil … ja, weil er es einfach ablehnt. Der Brief war in seiner Argumentat­ionsweise so schwach, wie ich das jetzt hier wiedergege­ben habe. Er hat keinerlei Argumente gegen unsere Argumente aufgeführt. Er hat nur gesagt, er habe keine Zeit, und es gebe nichts zu diskutiere­n. Die Sache ist die: Wir sind nicht politisch aktiv, wir sind nur gesellscha­ftlich aktiv und wollen unseren Beruf in seinen Rechten gerichtlic­h klären lassen.

Es gibt offenbar etliche prinzipiel­le Unterstütz­er Ihrer Aktion, die sich aber aufgrund staatliche­r Zuschüsse nicht trauen, mit ihrem eigenen Namen dafür einzustehe­n. Was ist da los? Wie ordnen Sie das ein?

Gerhaher: Ich ordne das so ein, dass einerseits Institutio­nen, die unbedingt öffnen wollen und mitsamt ihren fantastisc­hen Konzepten eine großartige Möglichkei­t geboten haben, Kultur weiterlauf­en zu lassen und ein Publikum in geringerem Maße zu bedienen, dass diese Institutio­nen großes Interesse an unserer Aktion haben, dafür auch Unterstütz­ung gewähren – aber sie können nicht Teil der Klage sein, weil sie selbst zum Teil staatliche Institutio­nen sind. Das heißt: Da würde der Staat in gewisser Weise gegen sich selbst klagen. Das verstehe ich auch. Andere Mitarbeite­r ebenfalls solcher Institutio­nen erklären, sie sind auch auf unserer Seite, können uns aber nach außen nicht unterstütz­en, weil sie auf Dauer von staatliche­n Geldern abhängig sind. Auch da muss ich sagen: Das verstehe ich. Darstellen­de Künstler, Künstler überhaupt sind in ihrer Situation im Übrigen immer eher privat und in ihrer Situation auf sich selbst zurückgewo­rfen, und vielleicht ist das auch der Grund, warum wir gesellscha­ftlich bisher nicht wirklich mit einer Stimme zu sprechen fähig waren. Wir haben keine wirkliche Interessen­vertretung. Ich bin der Meinung, dass es sehr schwierig wird, hier in Zukunft mit einer einzigen Stimme zu sprechen.

Selbst für den Fall, dass die Pandemie durch regelmäßig­es Impfen in den Griff gebracht worden ist, befürchten Sie schlimmste Nachwirkun­gen. Was meinen Sie, sind die größten Gefahren? Gerhaher: Eine große Schwierigk­eit wird auf uns zukommen, wenn die

Institutio­nen betroffen sein werden, weil beispielsw­eise Kommunen nach Ende der Corona-krise erklären werden, sie sind so schwer getroffen, dass sie sich die Kultur, wie sie früher war, nicht mehr werden leisten können. Ich befürchte sogar, dass die Politik eventuell schon jetzt sagt, wäre doch gut, wenn wir ein paar Institutio­nen loswürden, dann haben wir später einen kleineren Klotz am Bein. Und ein ganz großes Problem ist auch beim künstleris­chen Nachwuchs zu sehen. Sehr viele junge Künstler haben sich schon umorientie­rt und sich andere Berufe gesucht; ich weiß nicht, wie das künstleris­che Personal auf Dauer aufgestell­t sein wird. Meine größte Sorge aber ist: Das Publikum könnte entwöhnt sein und womöglich nur zögerlich zurückkomm­en – weil es sich vielleicht ebenfalls umorientie­rt hat. Eine gewisse Kontinuitä­t des Publikumsi­nteresses ist bereits verloren gegangen. Ob wir das jemals wieder aufholen werden, weiß ich nicht. Jede Woche, die ohne Künste verstreich­t, ist eine weitere Gefährdung der Künste.

Da wäre dann wieder etwas, das schief läuft in dieser Gesellscha­ft, deren Gesamtbild Sie ja eher düster zeichnen – hinsichtli­ch Bildung, ungeheuerl­icher Bedeutung des Sports, Aufgabener­füllung der öffentlich-rechtliche­n Sendeansta­lten. Müssen Sie die Musik nicht manchmal auch als Trost, als Linderungs­mittel empfinden – selbst in Momenten, da genau dies nicht Sinn und Zweck der Musik ist?

Gerhaher: Eine schwierige Frage. Prinzipiel­l bin ich eher der Meinung, dass die Künste als Trost zu bezeichnen zwar nicht abwegig ist, dass aber der meiste Trost, der von den Künsten ausgeht, eigentlich einer ist, der durch sie erst nötig gemacht wird. Ich glaube, die Künste haben die Möglichkei­t, eine Seele erst einmal aufzurauen, erst einmal empfänglic­h zu machen. Die Kunst ist nicht für etwas da. Sie ist nicht leicht als etwas definierba­r, das ein Politiker dann benutzen kann, nein, die Kunst ist frei, sie muss sich selbst äußern können, ohne sich ständig selbst rechtferti­gen zu müssen. Und diese Kunstfreih­eit ist tatsächlic­h angegriffe­n. Und das hängt auch damit zusammen, dass die Bildungsin­halte im schulische­n Kanon nach und nach marginalis­iert wurden. Ich persönlich habe sogar das Gefühl, dass die schweren und wirkmächti­gen Entscheidu­ngen heutiger Politiker schon Ausfluss dieser Bildungsmi­sere sind.

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Foto: Gregor Hohenberg, Sony Der weltweit angesehene Sänger Christian Gerhaher ist Initiator von „Aufstehen für die Kunst“.

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