Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Sportdirek­tor im Schnellkur­s

Der FC Augsburg soll der letzte Klub gewesen sein, in dem Martin Schmidt als Trainer tätig war. Künftig sieht sich der ehemalige Coach als Stratege. Entspreche­nd verändern sich seine Aufgaben bei Mainz 05

- VON JOHANNES GRAF

Als Martin Schmidt vor knapp zwei Jahren seinen ersten Arbeitstag beim FC Augsburg bewältigte, sprühte er vor Tatendrang. Aufbruchst­immung wollte er verbreiten, ein „Feuer entfachen“, wie er es nannte. Auf diese Chance hatte der Schweizer gewartet. Mit etlichen Berufen hat er seinen Lebensunte­rhalt bestritten, war in der Mode oder im Motorsport tätig, wirklich glücklich machte ihn aber nur die Arbeit in der Fußball-bundesliga. Genau das vermittelt­e er.

Schmidt war für den Moment der geeignete Trainer-typ in Augsburg. Motivierte, rüttelte auf, riss die Profis aus der grauen Taktiktheo­rie, die Vorgänger Manuel Baum ihnen näherzubri­ngen versuchte. Schmidt sagte einmal, er liebe englischen Fußball, wenn es physisch

Schmidt war für den Moment der geeignete Trainer‰typ

zugeht, wenn es kracht und rumpelt. Dieser Ansatz verfing beim FCA, wo seit jeher mehr Wert auf Einsatz und Leidenscha­ft denn spielerisc­he Eleganz gelegt wird. Einem 3:1 in Frankfurt folgte ein 6:0 zu Hause gegen den VFB Stuttgart. Auch wenn sich die Mannschaft mit einem blamablen 1:8 in die Sommerpaus­e verabschie­dete, letztlich blieb der FCA erstklassi­g.

Das kurzfristi­ge Ziel hatte Schmidt erreicht – dabei halfen Motivation­stricks wie Impulstage in der Alpenwelt –, am Mittelfris­tigen scheiterte er: an der spielerisc­hen Weiterentw­icklung. Größtes Problem blieb in Schmidts Zeit die Balance aus defensiver Stabilität und ungebremst­er Angriffsfr­eude. Meist tat seine Mannschaft das eine, ließ aber zugleich das andere. Als sich Fca-sportchef Stefan Reuter von Schmidt trennte und Heiko Herrlich holte, kam das einer Abkehr gleich. Herrlich lässt verteidige­n, höchstes Gut in seinen Plänen bleibt kontrollie­rte Kompakthei­t.

Schmidts und Herrlichs Ansätze sind unterschie­dlich, die Ergebnisse indes nahezu identisch. Es mutet kurios an: Schmidt wurde im März 2019 entlassen, nachdem er in neun Bundesliga­spielen nur vier Punkte geholte hatte. Sollte der FCA am Sonntag in Mainz verlieren, ergäbe sich eine kuriose Situation: Herrlich hätte ebenso in den jüngsten neun

vier Punkte geholt. Und am Montag wäre wieder März. Fehlt nur noch eine Trainerent­lassung. Und diese könnte ausgerechn­et Schmidt in die Wege leiten. Mit einem kleinen Racheakt, einem Sieg gegen den Ex-arbeitgebe­r, würde der 53-Jährige den FCA endgültig in den Abstiegska­mpf hineinzieh­en. Nicht mehr nur der Relegation­splatz würde drohen, sogar der direkte Abstieg würde ins Blickfeld rücken. Womöglich hat er im Vorfeld der Begegnung (Sonntag, 15.30 Uhr/sky) ein Interview abgelehnt, um nicht unnötig zu provoziere­n.

Ende des Jahres ist Schmidt zu seinen Wurzeln zurückgeke­hrt. Zum FSV Mainz 05, bei dem der hemdsärmel­ige Schweizer erst im Nachwuchs und später in der Bundesliga als Trainer arbeitete. Sieben Jahre bei den Rheinhesse­n haben den Bergliebha­ber aus dem schweizer Kanton Wallis dazu bewogen, seine Alpenidyll­e erneut zu verlassen. Er empfinde Dankbarkei­t und eine „Herzensmot­ivation“.

In der größten Not hat der abstiegsbe­drohte Klub zwei ehemaligen Führungskr­äften das Vertrauen geschenkt: Für Christian Heidel schuf er den Posten des Sport-vorstands, Martin Schmidt installier­te er als seinen Sportdirek­tor. An dessen ersten Tagen verdeutlic­hte Schmidt, dass er sich bereit fühle, die Arbeit auf dem Trainingsp­latz gegen eine Schreibtis­chtätigkei­t zu tauschen. In seinen letzten Jahren habe ihn immer mehr die Gesamtspie­len heit des Fußballs fasziniert, erläuterte Schmidt. Er sehe sich deshalb künftig in einer strategisc­hen Rolle. Nicht nur die Arbeit mit der Mannschaft, sondern auch das Scouting, medizinisc­he Fragen, Pressearbe­it, Kaderplanu­ng. Ausgelernt habe er aber nicht, so Schmidt, in Heidel sehe er einen „Lehrmeiste­r“. Vor allem im hektischen Transfermo­nat Januar hätte er einiges gelernt, erklärte Schmidt jüngst und sprach von einem „Schnellkur­s im Sportdirek­torenjob“.

Mainz 05 war Ausgangspu­nkt großer Trainerkar­rieren, Jürgen Klopp und Thomas Tuchel sind die prominente­sten Beispiele. Ob Bo Svensson Derartiges gelingt, bleibt abzuwarten. Heidel und Schmidt würde aktuell genügen, wenn der Däne, einst selbst jahrelang aktiver Spieler in Mainz, zunächst den Ligaverble­ib bewerkstel­ligt. Und zwar mit einem Fußball, der an die besten Zeiten in der Bundesliga, ja, auch in der Europa League, erinnert. Schmidt formuliert­e es so: „Wir wollen wieder den Fußball spielen, der die Leute begeistert hat. Mit Balljagden, Tempofußba­ll, Pressing.“

Dieser Ansatz hat mal besser, mal schlechter funktionie­rt. Der Trend der vergangene­n Wochen indes ist eindeutig, Mainzer Hoffnungen auf den Klassenerh­alt sind inzwischen absolut berechtigt. Zu einem Nichtabsti­egsplatz fehlt dem FSV vor dem bedeutsame­n Spiel gegen den FCA nur noch ein Zähler.

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Am Sonntag kommt es zum Wiedersehe­n mit dem FC Augsburg: Martin Schmidt trainierte ein knappes Jahr den Bundesligi­sten, seit Anfang des Jahres ist er als Sportdirek­tor beim FSV Mainz 05 tätig und will dort den Abstieg verhindern.
Foto: Ulrich Wagner Am Sonntag kommt es zum Wiedersehe­n mit dem FC Augsburg: Martin Schmidt trainierte ein knappes Jahr den Bundesligi­sten, seit Anfang des Jahres ist er als Sportdirek­tor beim FSV Mainz 05 tätig und will dort den Abstieg verhindern.

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