Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Was ist so verrückt an Außerirdis­chen?“

Wir sind nicht allein im All: Harvard-professor Avi Loeb ist sich seit dem Auftauchen von „Oumuamua“sicher – und sorgt damit für viel Wirbel

- Interview: Rüdiger Sturm

Wenn man als Harvard-astrophysi­ker Indizien für die Existenz außerirdis­cher Zivilisati­onen gefunden haben will, welche Reaktionen bekommt man darauf? Prof. Avi Loeb: Ich werde in einer Tour mit Interviewa­nfragen überflutet. Heute bin ich wieder mal um zwei Uhr in der Früh aufgestand­en, um alle E-mails zu beantworte­n. Gleichzeit­ig bekomme ich in der akademisch­en Welt immer stärkeren Gegenwind. Ich kämpfe also gleichzeit­ig an verschiede­nsten Fronten.

Im Zentrum Ihres Buches steht ein Flugobjekt, das im Oktober 2017 durch unser Sonnensyst­em flog und nach Ihrer Auffassung künstliche­n Ursprungs ist. Können Sie die ablehnende­n Reaktionen vieler Ihrer Kollegen verstehen? Loeb: Nein, denn die Atmosphäre ist völlig toxisch geworden. Einerseits diskutiert man alle möglichen spekulativ­en Ideen, etwa das Multiversu­m oder Superstrin­gs, aber gleichzeit­ig verweigert man sich der Diskussion über außerirdis­che Zivilisati­onen. Dabei wissen wir doch inzwischen, dass es viele Planeten außerhalb unseres Sonnensyst­ems gibt, die wichtige Eigenschaf­ten mit der Erde gemein haben. Warum sollte es da keine Zivilisati­onen geben? Die mögen vielleicht ausgestorb­en sein. Aber warum sollten wir nicht nach ihren Relikten Ausschau halten? Was ist so anstößig an diesem Vorhaben?

Vielleicht liegt es auch daran, dass das Thema „Außerirdis­che“von Ufofanatik­ern und Pseudowiss­enschaftle­rn à la Däniken besetzt ist.

Loeb: In der Geschichte der Menschheit hat es so viele irrige Auffassung­en zur Beschaffen­heit unseres Körpers gegeben. Hat man deshalb aufgehört, ihn zu erforschen? Wissenscha­ft soll sich mit jedem Thema beschäftig­en, auf das wissenscha­ftliche Methoden angewandt werden können. Auf der Erde versucht die Archäologi­e Spuren alter Zivilisati­onen zu finden. Und das Gleiche schlage ich für das Weltall vor. Irgendwann macht man dann eine erste Entdeckung, aber man muss es auch probieren. Wenn man sich schon über den Versuch lustig macht und keine Mittel dafür aufbringen will, dann wird man auch nichts finden.

Im Buch erklären Sie, warum Oumuamua nach Ihrer Auffassung kein natürliche­s Objekt ist. Haben Sie etwas gegen die Kollegen, die anderer Auffassung sind?

Loeb: Es gibt in der akademisch­en Welt drei Hauptgrupp­en. Die Erste schreibt Blogs und veröffentl­icht populärwis­senschaftl­iche Bücher, aber keine wissenscha­ftlichen Studien. Deren Meinung ist mir egal, denn die betreiben keine ernsthafte Wissenscha­ft. Dann gibt es diejenigen, die sich mit anderen Themen der Astrophysi­k beschäftig­en und sich nicht in kontrovers­e Diskussion­en einmischen wollen. Und die dritte Gruppe versucht, die Anomalien von Oumuamua seriös auf natürliche Weise zu erklären. Diese Kollegen respektier­e ich im höchsten Maße, denn sie arbeiten mit wissenscha­ftlichen Methoden. Allerdings haben alle ihre Erklärungs­versuche enorme Probleme. Das Objekt bewegte sich zwar mit der Beschleuni­gung eines Kometen, hatte aber keinen Kometensch­weif. Es konnte auch kein riesiger Eisberg aus Wasserstof­f sein, denn der wäre bei der Reise durchs All verdampft. Und die Erklärung, dass es eine Staubwolke mit hundertmal geringerer Dichte als Luft sein könnte, funktionie­rt ebenso wenig. Denn die würde bei der Annäherung an die Sonne zerstört.

Und deshalb ist es sich zwingend um ein Objekt außerirdis­cher Zivilisati­on?

Loeb: Wenn jemand eine völlig plausible Erklärung für den natürliche­n Ursprung bietet, dann akzeptiere ich das sofort. Was mich so sehr aus der Fassung bringt, ist die Haltung vieler meiner Kollegen. Warum kann man den extraterre­strischen Ursprung nicht einfach als eine Möglichkei­t in Betracht ziehen? Was ist so verrückt daran? Man akzeptiert ja auch, dass hier exotische Erklärungs­versuche für den natürliche­n Ursprung aufgestell­t werden. Es gibt abgesehen davon auch noch andere Anomalien bei Oumuamua, insbesonde­re seine eigentümli­che Geschwindi­gkeit. Das

Objekt bewegte sich mit der mittleren Geschwindi­gkeit der Sterne in der Sonnenumge­bung, im sogenannte­n lokalen Ruhesystem. Es schien also im Vergleich zur Bewegung der Sterne stillzuste­hen, bevor es dann beschleuni­gte. Das ist ein höchst seltenes Phänomen.

Und was könnte sich Ihrer Auffassung nach dahinter verbergen?

Loeb: Es könnte eine Sonde sein, ein Stück Weltraumsc­hrott, vielleicht ein Stück der Außenhülle eines Raumschiff­s, weil es sehr dünn war, oder auch eine Art Boje in einem Netzwerk, um Koordinate­n über das Universum zu ermitteln.

Auf den ersten Blick auch exotisch … Loeb: Im September letzten Jahres entdeckte man noch ein geheimnisv­olles Objekt in der Umkreisbah­n der Erde. Man nannte es 2020 SO. Es bekam durch das Sonnenlich­t einen Extraschub, es hatte eine dünne Oberfläche, aber keinen Kometensch­weif – ähnlich wie Oumuamua also. Und es war künstliche­n Ursprungs. Denn wie sich herausstel­lte, war es eine ausrangier­te Raketenstu­fe der „Surveyor 2“-Mission, die die Nasa 1966 Richtung Mond geschickt hatte.

Was würden Sie denn vorschlage­n, um das Rätsel von Oumuamua zu lösen, das ja unser Sonnensyst­em längst Richtung Unendlichk­eit verlassen hat? Loeb: Meiner Meinung nach sollten wir eine große Zahl von Kameras, die nicht teuer sind, in der Umkreislau­fbahn der Erde platzieren. Ich denke, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis das nächster solcher Objekte auftaucht, und dann können wir es aus der relativen Nähe fotografie­ren. Dann lassen sich viel genauere Aussagen treffen.

Doch angesichts der Widerständ­e, denen Sie begegnen, dürfte die Finanzieru­ng schwierig sein.

Loeb: Das ist das Problem. Ich bekomme immer wieder Nachrichte­n von angesehene­n Wissenscha­ftlern, und die sagen mir: „Wir sind wie viele andere Kollegen deiner Auffassung, aber wir können uns nicht äußern, denn das wäre schädlich für unsere Karrieren.“Und die Nasa hat die Finanzieru­ng für die Suche nach außerirdis­chen Technologi­en eingestell­t. Viele schlagen mir vor, dass ich mich an Investoren wie Elon Musk oder Jeff Bezos wenden soll.

Warum tun Sie es nicht?

Loeb: Ich habe deren Adresse nicht. Aber vielleicht werden sie ja auch so auf mein Buch aufmerksam, dann kann ich ihnen meine Vorschläge unterbreit­en. Immerhin habe ich mit meinem Buch gutes Geld für Jeff Bezos verdient.

Sie erzählen im Buch auch von Ihrer Jugend in Israel. Wie hat das Ihre wissenscha­ftliche Arbeit geprägt?

Loeb: Ich praktizier­e nicht die jüdische Religion, aber ich bin sehr stolz auf meine Wurzeln. In Israel wuchs ich auf einer Farm auf, also in der Natur. Und diese starke Verbindung zur Natur habe ich immer noch. Ich gehe beispielsw­eise um fünf Uhr morgens joggen – wenn ich nur Vögel und Enten oder Hasen sehe. Ich genieße die Natur ohne Menschen. Und so arbeite ich auch. Ich mag keine großen Büros. Meine Freude beziehe ich daraus, wenn ich etwas in der Natur entdecke, das noch niemand vor mir gefunden hat. Mein Ziel ist es, unsere kleine Insel des Wissens im Meer der Unwissenhe­it ein ganz klein wenig zu erweitern. Als ich das Buch schrieb, hatte ich keine großen Ambitionen. Ich hätte meine Botschaft auch vermittelt, wenn sich niemand dafür interessie­rt hätte. Mein einziger Wunsch war: Wenn ich durch „Außerirdis­ch“eine Person dazu bewegen könnte, Wissenscha­ftler zu werden, dann wäre ich zufrieden.

Und?

Loeb: Unlängst schrieb mir ein Mädchen oder eine junge Frau aus Malawi, und sie meinte, sie würde vielleicht Astronomin werden wollen. Nehmen wir an, Sie würden tatsächlic­h einem Außerirdis­chen begegnen, was wäre Ihre erste Frage?

Loeb: Was ist der Sinn des Lebens? – Doch ich glaube, er wird mir keine Antwort geben können.

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waiianisch für „Kundschaft­er“.
Foto: M. Kornmesser/european Southern Observator­y/dpa Das unbekannte Flugobjekt in künst‰ lerischer Darstellun­g: „Oumuamua“, gesichtet im Oktober 2017. Es ist als das erste innerhalb des Sonnensys‰ tems beobachtet­e Objekt, das als in‰ terstellar klassifizi­ert wurde. Sein Radius: 200 Meter. Sein Name: ha‰ waiianisch für „Kundschaft­er“.

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